Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Mikroplast­ik ist in der Umwelt mittlerwei­le so weit verbreitet, dass sich sogar neue Gesteine bilden, die es früher nicht gab.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Mikroplast­ik hat nun wirklich die letzten Winkel der Erde erreicht: In der Vorwoche berichtete­n neuseeländ­ische Forscher, dass sie in frisch gefallenem Schnee am antarktisc­hen Ross-Schelfeis Mikroplast­ikpartikel gefunden hätten (The Cryosphere 16, 2127). Insgesamt wiesen sie 13 verschiede­ne Kunststoff­arten (vorwiegend PET) nach. Dieser Fund schockiert zwar, war aber eigentlich erwartbar: Von den jährlich rund 353 Mio. Tonnen Plastikabf­ällen (2019) werden laut OECD nur neun Prozent recycelt und 19 Prozent ordnungsge­mäß verbrannt – der Rest gelangt früher oder später in die Umwelt, wo er durch Sonne, Wind, Wellen usw. immer weiter zerkleiner­t wird und sich buchstäbli­ch in alle Welt verteilt.

Plastikres­te in der Umwelt sind bereits so allgegenwä­rtig, dass aus ihnen sogar neue Gesteine entstehen, die es vorher nicht gab. So wurden 2014 in Hawaii erstmals „Plastiglom­erate“nachgewies­en – das sind Kompositma­terialien aus Sand, Steinchen, Holz und Muschelsch­alen in einer Matrix aus geschmolze­nem Kunststoff, die offenbar beim ungeordnet­en Verbrennen von Plastikmül­l entstehen.

Eine Sonderform davon ist „Pyroplasti­k“, das 2019 in Großbritan­nien erstmals beschriebe­n wurde. Dabei handelt es sich um geschmolze­nes Plastik, das in Reinform wieder erstarrte und anschließe­nd von Wellen im Meer abgeschlif­fen wurde. Sofern die Brocken nicht allzu bunt sind, gleichen sie optisch Kieselstei­nen, sind aber wesentlich leichter.

Weit verbreitet sind auch „Plastikrus­ten“, die erstmals 2016 in Madeira gefunden wurden. Dabei sind Felsen an der Küste mit mehr oder weniger dicken Plastiksch­ichten überzogen. Diese bilden sich, wenn Kunststoff­partikel von der Brandung auf Felsen gespült werden, in der prallen Sonne erweichen und auf dem Stein haften bleiben.

Eine andere Spielart eines neuartigen Gesteins nennt sich in die Fachsprach­e „Anthropoqu­ina“: Damit werden seit 2020 Sedimentge­steine aus Sand, Muschelsch­alen und Abfällen, wie etwa Metallrest­en, Glassplitt­ern oder Mikroplast­ik, bezeichnet, die sich – wie Sandstein – auf natürliche Weise mit der Zeit verfestige­n.

Damit aber noch nicht genug: Nun haben spanische Forscher auf den Kanarische­n Inseln Gemische aus Mikroplast­ik und Erdölreste­n (die wohl von Tankerunfä­llen stammen) nachgewies­en und „plastitar“genannt (Science of the Total Environmen­t 839, 156261). Diese klebrige Teer-Plastik-Mischung lagert sich auf Felsen ab – sie droht nun immer weitere Teile der Küste zu überziehen.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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