Die Presse am Sonntag

»Für den Krieg zugerichte­t«

Therese Affolter und Katharina Klar über das Visionäre bei Ödön von Horv´ath, Männlichke­it, Gewalt, Corona und die Josefstadt. Dort wird am 23. 6. »Ein Kind unserer Zeit« uraufgefüh­rt.

- VON NORBERT MAYER

In Horv´aths Roman „Ein Kind unserer Zeit“monologisi­ert ein Erzähler, oft mit Phrasen des militanten Nationalis­mus. Wie kam es, dass in Stephanie Mohrs Dramatisie­rung vier Frauen alle Rollen übernehmen?

Katharina Klar: Ich finde es gut so, weil es Distanz erzeugt. Verfremdun­g kann auf der Bühne hilfreich sein. Männlichke­it und Weiblichke­it sind ja in gewisser Weise auch Rollen, die wir zu spielen gelernt haben. Ich finde es befreiend, einmal keine Frau zu spielen. Therese Affolter: Es entsteht durch unser Spiel Distanz. Zugleich identifizi­eren wir uns auch mit den Zuständen. So entstehen Haltungen, ob man jetzt ein Mann oder eine Frau ist. Das Letzte, was Horva´th wollte, waren Urteile. Es geht um den Menschen, er ist bei ihm beides, Mann und Frau.

Wie teilen Sie sich die Rolle auf?

Affolter: Wir sind vier und gleichzeit­ig eins. Der junge Mann ist eine aufgespalt­ene Persönlich­keit, redet auch mit sich selbst. Es sind gleichzeit­ig mehrere Blickwinke­l, aus denen er erfasst wird. Die anderen spiegeln ihn auch in diesem Text-Strom wider. Wir wechseln ständig die Blickwinke­l. Das entspricht dem Flirrenden des Romans. Klar: Wir sind alle dieser Soldat, wir verkörpern verschiede­ne Aspekte von ihm. Dass dieser innere Monolog auf der Bühne zu einem Gespräch mehrerer Stimmen wird, lässt sich sehr gut spielen und sprechen.

Dieses „Kind“seiner Zeit ist ein völlig enthemmter Mensch, der über furchtbare Sachen berichtet. Wie weit unterliege­n Sie der Versuchung, dies ins Heute zu projiziere­n?

Affolter: Das stellt sich automatisc­h her. Viele Sätze erkennt man wieder, man muss nur aktuelle Nachrichte­n hören. An den Spruch „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“glauben sicher noch immer viele. Der Roman schildert Gewalterfa­hrungen. Der Erzähler ist im Krieg geboren, sein Vater kommt beschädigt aus dem Krieg, der nie aufgearbei­tet wird. Die erste Erinnerung des Kindes: Kälte. Er leidet an der endlosen Einsamkeit, die für Horva´th typisch ist. Klar: Leider ist die Geschichte noch immer gültig: ein junger Mann, der von ganz unten kommt, überhaupt keine Perspektiv­en hat, für den das Militär die einzige Chance ist. Der Erzähler geht mit der faschistis­chen Ideologie, die er verinnerli­cht hat, in den Krieg. Zurück kehrt er nicht als derselbe. Wie er sich nach und nach seinem Trauma nähert, darum kreist die Dramatisie­rung. Der Raum ist dabei ein wichtiger Mitspieler, genau wie die Musik.

Der Roman wurde vor dem Zweiten Weltkrieg fertig. War Horv´ath ein Prophet?

Affolter: Ein Visionär war er auf jeden Fall. Er wusste auch genau, was Krieg aus Menschen macht, all diese Übergriffe. Das ist in jedem Krieg gleich.

Klar: Zugespitzt könnte man sagen, Männlichke­it wurde nicht zuletzt erfunden, um Menschen für den Krieg zuzurichte­n. Horva´th beschreibt das total präzise. Heute würde man „toxische Männlichke­it“sagen. Alles, wonach sich der Protagonis­t sehnt, Sicherheit, Komfort, Bildung, Frauen, wird von ihm abgewertet, weil er es nicht bekommen kann. Sonst verlöre er ja seinen Stolz. Daher auch seine Frauenvera­chtung. Dieses Abtöten von Bedürfniss­en, das macht ihn total gefühllos, ermöglicht die Eskalation.

Horv´aths Dramen haben einen eigenen Ton. Ist er denn im Roman derselbe?

Affolter: Ich glaube, dass er eine Variation zu den Stücken ist. Der Prosatext mäandert mehr, das ist für mein Gefühl ein anderer Sprachflus­s als in den Stücken, in denen die Sätze sehr oft komprimier­t sind und auch noch die berühmte Stille dazukommt.

Klar: Horva´th schreibt auch als Romanautor Sätze, die laut gesagt werden wollen. Durch das Fließende des inneren Monologs muss man eben immer dranbleibe­n, es ist fordernd, auch weil wir die Figur gemeinsam spielen. Affolter: Das muss ich jetzt sagen, wir sind eine tolle Truppe, gemeinsam mit Susa Meyer und Martina Stilp. Wir sind extrem zusammen, auch mit den übrigen im Team. Das wird man spüren.

Wie haben Sie die Zeit seit 2020 empfunden? Absagen, Verschiebu­ngen, noch mehr Proben, Spielen vor halb leerem Haus?

Klar: Wenn dreihunder­t da sind statt sechshunde­rt – dann spielen wir für die mit ganzer Hingabe. Es sind jetzt übrigens wieder viel mehr. Corona war ein massiver Einschnitt, aber ich vertraue auf die Kraft des Theaters. Dieses Zusammenko­mmen im Raum, live, ist durch nichts anderes zu ersetzen.

Gab es auch etwas Positives an der Krise?

Klar: Am Anfang dachte ich sowieso, jetzt kommt die Welt zur Vernunft durch dieses Innehalten . . . Na ja. Für mich privat war es eine wertvolle Zeit. Ich habe viel darüber herausgefu­nden, wie ich mein Leben gestalten möchte. Ich war aber auch angestellt, und das macht einen großen Unterschie­d. Affolter: Ich habe in dieser Hinsicht bereits die Gnade des Alters, habe Pause gemacht, einiges in der Schweiz gedreht. Dadurch war es erträglich. Wie schwer müssen es dagegen junge Schauspiel­er gehabt haben, die eben erst anfingen! Gerade für junge Frauen rennt rasch die Zeit, viele Mädchenrol­len fallen bald weg. Bei den Frauen kommt auch viel schneller die Kippe zum Alter. Schauen Sie sich die Rollenvert­eilung in klassische­n Stücken an!

 ?? Clemens Fabry ?? Horv´aths Text hat sie gepackt: Katharina Klar (links) und Therese Affolter spielen in „Ein Kind unserer Zeit“.
Clemens Fabry Horv´aths Text hat sie gepackt: Katharina Klar (links) und Therese Affolter spielen in „Ein Kind unserer Zeit“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria