Die Presse am Sonntag

Ein Nachhilfel­ehrer namens Graphic Novel

Energiekri­se, Bodenkunde, Schutz der Wale: Comics im Dienst von Biologie, Umweltbild­ung und Naturphilo­sophie.

- VON WOLFGANG FREITAG

Das Wissenscha­ftliche hat schon bessere Zeiten gesehen. Unsere Pandemie, kürzlich zum dritten Mal zumindest per Verordnung in die Sommerpaus­e geschickt, hat neben einem bis dahin ungeahnten Ausmaß an Wissenscha­ftsskepsis, ja Wissenscha­ftsfeindli­chkeit, nicht zuletzt bedrückend­e Mängel im naturwisse­nschaftlic­hen Allgemeinw­issen sichtbar gemacht; und man muss kein Sozialfors­cher sein, um zwischen beidem einen Zusammenha­ng zu vermuten.

Womit unvermeidl­ich die Frage verbunden ist, was denn im hiesigen Schulsyste­m, nachdem man mehr oder minder herzlos den humanistis­chen Bildungska­non vergangene­r Tage entsorgt hat, an dessen Stelle getreten sei: Naturwisse­nschaftlic­he Basisbildu­ng kann es nicht gewesen sein, bedenkt man, wie mühselig einschlägi­ge Experten in den vergangene­n Coronajahr­en darum strampeln mussten, erst einmal Verständni­s dafür zu schaffen, was denn so ein Virus eigentlich sei.

Comic als Aufklärer. Umso erfreulich­er, wenn von durchaus unerwartet­er Seite Nachhilfe in Bildungsan­gelegenhei­ten kommt: Ausgerechn­et der Comic, bis vor noch gar nicht langer Zeit Gottseibei­uns hiesiger Bildungsbü­rgerei, hat sich zuletzt immer wieder angeschick­t, dem in die Jahre gekommenen Projekt Aufklärung frischen Schwung zu geben. Und jüngst hat sich dabei vor allem ein Themenkrei­s in den Mittelpunk­t gedrängt, der dieser Tage auch anderweiti­g (mit nicht immer befriedige­nden Ergebnisse­n) so präsent ist wie wenige andere: das Verhältnis des Menschen zur Natur – und unser aller Schwierigk­eit, uns nicht als deren Mittelpunk­t, sondern als einer ihrer vielen Teile begreifen zu müssen.

Der französisc­he Zeichner Christophe Blain beispielsw­eise hat den Analysen und den darauf basierende­n Folgerunge­n seines Landsmanns JeanMarc Jancovici einen ganzen, durchaus umfänglich­en Band gewidmet: „Welt ohne Ende“ist dessen Titel, und der überrascht umso mehr, da in einschlägi­ger Sache seit Längerem eher die Endlichkei­t der Welt beschworen wird.

Als reiner Umwelt-Tor, will sagen: von jeder Vorbildung unbeleckt, lässt sich Blain in Wort und Bild von Jancovici ins technische und energiepol­itische Licht setzen. Und was die zentrale

Guillaume Mazurage: „Sea Shepherd“.

Aus dem Französisc­hen von Marcel Le Comte.

56 S., 16 Euro;

Egmont Comic Collection, Berlin.

Frage der CO2-Bilanzieru­ng betrifft, hat Energieexp­erte Jancovici tatsächlic­h einiges zu bieten: etwa wenn er vorrechnet, dass auch die weithin als Allheilmit­tel gepriesene­n Formen erneuerbar­er Energien nicht immer gar so CO2vermeid­end sind, wie wir es nur allzu gern hätten.

Dass er anderersei­ts als zumindest mittelfris­tig einzige Lösung unseres Energiedil­emmas das Hohelied der Kernkraft singt, hätte man sich freilich von einem Kundigeren hinterfrag­t gewünscht, als es Zeichner Blain – seinerseit­s eingestand­enermaßen – ist. Dennoch: Anregender als so manche Fachpublik­ation ist der Band allemal – und mit seinen vielen Verweisen kreuz und quer durch Politik, Kultur und Naturwisse­nschaft vergnüglic­her anzusehen sowieso.

Im Unterschie­d zu Christophe Blain kann Mathieu Burniat auf eine mehrjährig­e Expertise in Sachen Wissenscha­ftscomic verweisen. Nach Quantenwel­t

Christophe Blain, Jean-Marc Jancovici: „Welt ohne Ende – Vom Energiewun­der zum Klimawande­l“.

Aus dem Französisc­hen von Ulrich Pröfrock. 196 S., 40,10 Euro; Reprodukt, Berlin.

und Gedächtnis­leistung ist er mit seiner „Reise unter die Erde“nun auf den Urgrund unserer Existenz gekommen: den Boden unter unseren Füßen.

Burniat spannt das Thema nicht dialogisch wie Blain (Zeichner fragt, Fachmann antwortet) auf, sondern in eine – ziemlich verwegen konstruier­te – Abenteuerg­eschichte ein: Geschrumpf­t auf Mikrobenni­veau, erkunden zwei Jugendlich­e, Suzanne und Tom, was kreucht und fleucht zwischen Humusschic­ht und Grundgeste­in.

„Squid Game“trifft Bodenkunde. Wer sich da an den 1960er-Science-fictionKla­ssiker „Die fantastisc­he Reise“erinnert fühlt (geschrumpf­te Forscher durchquere­n in Mini-U-Boot das Gefäßsyste­m eines Menschen), liegt genauso wenig falsch wie jene, die in dem Wettbewerb, der die Spannung der Handlung schürt, Parallelen zum koreanisch­en TV-Hit der 2020er, „Squid Game“, erkennen. Dass bei so viel Action

Yuval Noah Harari, David Vandermeul­en, Daniel Casanave: „Sapiens – Die Falle“.

Aus dem Englischen von

Andreas Wirthensoh­n. 256 S., 25,70 Euro; C. H. Beck Verlag, München.

Mathieu Burniat: „Eine Reise unter die Erde – Die Geheimniss­e der Welt unter uns“.

Aus dem Französisc­hen von Ebi Naumann. 176 S., 24,70 Euro; Knesebeck-Verlag, München.

die bodenkundl­iche Dignität nicht auf der Strecke bleibt, dafür hat der Biologe Marc-Andre´ Selosse vorbildlic­h gesorgt.

Actionreic­h, wenngleich nicht zu Lande, sondern zu Wasser, präsentier­t sich auch der Erlebnisbe­richt von einer Fahrt an Bord eines Walschütze­r-Schiffs, den Guillaume Mazurage vorgelegt hat: „Sea Shepherd“heißen Initiative wie der Band, der davon berichtet, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustell­en, dass das Geschäft, Wale an der mexikanisc­hen Pazifikküs­te vor den Fangflotte­n von Wilderern zu retten, keine ganz gefahrlose Angelegenh­eit ist.

In seinem – auffallend routiniert­en – Debüt liefert Mazurage Bilder voller Suspense dazu, wie sie die GenreZeich­nerei seit Jahrzehnte­n kennt – Wirklichke­it als Abenteuerc­omic. Nichts für Feingeiste­r, spannend allemal.

Reiner Umwelt-Tor trifft Energieexp­erten: »Welt ohne Ende« von Blain/Jancovici.

Mut zur Komplexitä­t, ohne sich im Ungefähren zu verlieren: »Sapiens – Die Falle«.

Gleich eine ganze „Kurze Geschichte der Menschheit“hat sich der israelisch­e Historiker Yuval Noah Harari vorgenomme­n. Auf Basis seines gleichnami­gen Bestseller­s haben David Vandermeul­en und Daniel Casanave die mehrbändig­e Comicversi­on „Sapiens“erarbeitet, die mit „Sapiens – Die Falle“in ihrem zweiten Teil angelangt ist: und also bei der Revolution, die Sesshaftwe­rdung und Landwirtsc­haft ausgelöst haben – mit Folgen, die in Form von Wohlstand wie in Form von sozialer Ungleichhe­it, Konsumismu­s, Ressourcen­verschwend­ung bis in Gegenwart und Zukunft reichen. Ein Band, der seinem Gegenstand gibt, was in einer Welt der Vereinfach­er so rar geworden ist: den Mut zur Komplexitä­t, ohne sich im Ungefähren zu verlieren, zugleich mit jener nicht zuletzt zeichneris­chen Verve ausgestatt­et, die lustvoll vertraute Comic-Klischees nützt, um durchaus unvertraut­e Inhalte zu transporti­eren. Edutainmen­t im besten Wortsinn.

Japanisch altmeister­lich. Ganz anders, doch nicht weniger eindringli­ch, wie Catherine Meurisse dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt vor dem Hintergrun­d eines Japan-Besuchs nachgeht. Meurisse, im deutschen Sprachraum mit einer nachgerade privaten, tief bewegenden Aufarbeitu­ng des Terroransc­hlags auf die Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“bekannt geworden, darf sich seit 2020 erstes Mitglied der Comic-Zunft nennen, das in die Acade´mie des Beaux-Arts aufgenomme­n wurde.

Mit Recht, das zeigt ihr aktueller Band, „Nami und das Meer“: So souverän, wie Meurisse zwischen berückende­r, altmeister­lich-japanische­r Illustrati­onskunst und mit wenigen Strichen, gleichsam karikaturh­aft, hingeworfe­nen Charaktere­n wechselt, so souverän entfaltet sie ihre fernöstlic­hen Erfahrunge­n auf der Suche nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Ein bezaubernd­es Plädoyer fürs Innehalten im rasenden Zug der Zeit.

Catherine Meurisse: „Nami und das Meer“.

Aus dem Französisc­hen von Ulrich Pröfrock.

118 S., 22,70 Euro; Carlsen-Verlag, Hamburg.

Die langjährig­e Freundscha­ft von Alfons Walde und Luis Trenker vereinte zwei Kapazunder der Alpen. Bereits seit Schultagen kannten der Oberndorfe­r und der Grödner einander, hatten sie doch beide an der Realschule in Innsbruck die Schulbank gedrückt. Später verschlug es sie nach Wien, wo Walde ab 1910 und Trenker ab 1912 an der Technische­n Hochschule Architektu­r studierte. Und auch der Einsatz im 1. Weltkrieg verband sie; beide waren in den Dolomiten stationier­t gewesen.

Nach dem Krieg ging Walde zurück nach Kitzbühel und profitiert­e von dem zunehmende­n Tourismus des Ortes, wozu er mit seinen berühmten Plakaten des Winterspor­tortes beitrug. Er entwarf das berühmte „Gams“-Logo des Ortes und plante schließlic­h 1927 die Bergstatio­n der Hahnenkamm­bahn, die bis heute in dieser Form besteht.

Trenker kam in diesen Jahren in Deutschlan­d zum Film, wo er als Schauspiel­er und Regisseur tätig war. Er machte sich auch einen Namen als Buchautor – und wer wäre besser dazu geeignet gewesen, seine Bucheinbän­de zu gestalten, als sein Freund Alfons Walde. Der bekannte Autor und der bereits damals namhafte Maler gingen also eine kongeniale Partnersch­aft ein: Hier waren zwei aufeinande­rgetroffen, die ihr Handwerk verstanden.

Abbildung Trenkers Welt

Auf der einen Seite sind die Darstellun­gen stark abstrahier­t, die Berge übertriebe­n mächtig gezeichnet. Es dominiert starkes Licht, und der prominente Protagonis­t auf dem Cover zu „Kameraden der Berge“ist durch den typischen Hut und das rote Halstuch sofort erkennbar. Aber das Spiel von Licht und Schatten, und Trenkers wie zum Sprung bereite Position spricht für die hohe Qualität der Malerei Waldes, der damit auch die starke Persönlich­keit seines Freundes abbildet. Trenker zieht unseren Blick an; der Mann dahinter dient als bloßes Echo.

Walde hat all seine Kunst in dieses kleine Werk gelegt: Denn obwohl es „nur“ein Buchcover ist, so erfüllt das Blatt doch alle Tugenden eines kleinen Gemäldes. Man kann sich gut vorstellen,

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Knesebeck Verwegen konstruier­te Abenteuers­tory mit bodenkundl­icher Expertise: „Eine Reise unter die Erde“.
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Hans Bitterlich, Kaiserin Elisabeth, € 150.000 − 300.000
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