Ein Nachhilfelehrer namens Graphic Novel
Energiekrise, Bodenkunde, Schutz der Wale: Comics im Dienst von Biologie, Umweltbildung und Naturphilosophie.
Das Wissenschaftliche hat schon bessere Zeiten gesehen. Unsere Pandemie, kürzlich zum dritten Mal zumindest per Verordnung in die Sommerpause geschickt, hat neben einem bis dahin ungeahnten Ausmaß an Wissenschaftsskepsis, ja Wissenschaftsfeindlichkeit, nicht zuletzt bedrückende Mängel im naturwissenschaftlichen Allgemeinwissen sichtbar gemacht; und man muss kein Sozialforscher sein, um zwischen beidem einen Zusammenhang zu vermuten.
Womit unvermeidlich die Frage verbunden ist, was denn im hiesigen Schulsystem, nachdem man mehr oder minder herzlos den humanistischen Bildungskanon vergangener Tage entsorgt hat, an dessen Stelle getreten sei: Naturwissenschaftliche Basisbildung kann es nicht gewesen sein, bedenkt man, wie mühselig einschlägige Experten in den vergangenen Coronajahren darum strampeln mussten, erst einmal Verständnis dafür zu schaffen, was denn so ein Virus eigentlich sei.
Comic als Aufklärer. Umso erfreulicher, wenn von durchaus unerwarteter Seite Nachhilfe in Bildungsangelegenheiten kommt: Ausgerechnet der Comic, bis vor noch gar nicht langer Zeit Gottseibeiuns hiesiger Bildungsbürgerei, hat sich zuletzt immer wieder angeschickt, dem in die Jahre gekommenen Projekt Aufklärung frischen Schwung zu geben. Und jüngst hat sich dabei vor allem ein Themenkreis in den Mittelpunkt gedrängt, der dieser Tage auch anderweitig (mit nicht immer befriedigenden Ergebnissen) so präsent ist wie wenige andere: das Verhältnis des Menschen zur Natur – und unser aller Schwierigkeit, uns nicht als deren Mittelpunkt, sondern als einer ihrer vielen Teile begreifen zu müssen.
Der französische Zeichner Christophe Blain beispielsweise hat den Analysen und den darauf basierenden Folgerungen seines Landsmanns JeanMarc Jancovici einen ganzen, durchaus umfänglichen Band gewidmet: „Welt ohne Ende“ist dessen Titel, und der überrascht umso mehr, da in einschlägiger Sache seit Längerem eher die Endlichkeit der Welt beschworen wird.
Als reiner Umwelt-Tor, will sagen: von jeder Vorbildung unbeleckt, lässt sich Blain in Wort und Bild von Jancovici ins technische und energiepolitische Licht setzen. Und was die zentrale
Guillaume Mazurage: „Sea Shepherd“.
Aus dem Französischen von Marcel Le Comte.
56 S., 16 Euro;
Egmont Comic Collection, Berlin.
Frage der CO2-Bilanzierung betrifft, hat Energieexperte Jancovici tatsächlich einiges zu bieten: etwa wenn er vorrechnet, dass auch die weithin als Allheilmittel gepriesenen Formen erneuerbarer Energien nicht immer gar so CO2vermeidend sind, wie wir es nur allzu gern hätten.
Dass er andererseits als zumindest mittelfristig einzige Lösung unseres Energiedilemmas das Hohelied der Kernkraft singt, hätte man sich freilich von einem Kundigeren hinterfragt gewünscht, als es Zeichner Blain – seinerseits eingestandenermaßen – ist. Dennoch: Anregender als so manche Fachpublikation ist der Band allemal – und mit seinen vielen Verweisen kreuz und quer durch Politik, Kultur und Naturwissenschaft vergnüglicher anzusehen sowieso.
Im Unterschied zu Christophe Blain kann Mathieu Burniat auf eine mehrjährige Expertise in Sachen Wissenschaftscomic verweisen. Nach Quantenwelt
Christophe Blain, Jean-Marc Jancovici: „Welt ohne Ende – Vom Energiewunder zum Klimawandel“.
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock. 196 S., 40,10 Euro; Reprodukt, Berlin.
und Gedächtnisleistung ist er mit seiner „Reise unter die Erde“nun auf den Urgrund unserer Existenz gekommen: den Boden unter unseren Füßen.
Burniat spannt das Thema nicht dialogisch wie Blain (Zeichner fragt, Fachmann antwortet) auf, sondern in eine – ziemlich verwegen konstruierte – Abenteuergeschichte ein: Geschrumpft auf Mikrobenniveau, erkunden zwei Jugendliche, Suzanne und Tom, was kreucht und fleucht zwischen Humusschicht und Grundgestein.
„Squid Game“trifft Bodenkunde. Wer sich da an den 1960er-Science-fictionKlassiker „Die fantastische Reise“erinnert fühlt (geschrumpfte Forscher durchqueren in Mini-U-Boot das Gefäßsystem eines Menschen), liegt genauso wenig falsch wie jene, die in dem Wettbewerb, der die Spannung der Handlung schürt, Parallelen zum koreanischen TV-Hit der 2020er, „Squid Game“, erkennen. Dass bei so viel Action
Yuval Noah Harari, David Vandermeulen, Daniel Casanave: „Sapiens – Die Falle“.
Aus dem Englischen von
Andreas Wirthensohn. 256 S., 25,70 Euro; C. H. Beck Verlag, München.
Mathieu Burniat: „Eine Reise unter die Erde – Die Geheimnisse der Welt unter uns“.
Aus dem Französischen von Ebi Naumann. 176 S., 24,70 Euro; Knesebeck-Verlag, München.
die bodenkundliche Dignität nicht auf der Strecke bleibt, dafür hat der Biologe Marc-Andre´ Selosse vorbildlich gesorgt.
Actionreich, wenngleich nicht zu Lande, sondern zu Wasser, präsentiert sich auch der Erlebnisbericht von einer Fahrt an Bord eines Walschützer-Schiffs, den Guillaume Mazurage vorgelegt hat: „Sea Shepherd“heißen Initiative wie der Band, der davon berichtet, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass das Geschäft, Wale an der mexikanischen Pazifikküste vor den Fangflotten von Wilderern zu retten, keine ganz gefahrlose Angelegenheit ist.
In seinem – auffallend routinierten – Debüt liefert Mazurage Bilder voller Suspense dazu, wie sie die GenreZeichnerei seit Jahrzehnten kennt – Wirklichkeit als Abenteuercomic. Nichts für Feingeister, spannend allemal.
Reiner Umwelt-Tor trifft Energieexperten: »Welt ohne Ende« von Blain/Jancovici.
Mut zur Komplexität, ohne sich im Ungefähren zu verlieren: »Sapiens – Die Falle«.
Gleich eine ganze „Kurze Geschichte der Menschheit“hat sich der israelische Historiker Yuval Noah Harari vorgenommen. Auf Basis seines gleichnamigen Bestsellers haben David Vandermeulen und Daniel Casanave die mehrbändige Comicversion „Sapiens“erarbeitet, die mit „Sapiens – Die Falle“in ihrem zweiten Teil angelangt ist: und also bei der Revolution, die Sesshaftwerdung und Landwirtschaft ausgelöst haben – mit Folgen, die in Form von Wohlstand wie in Form von sozialer Ungleichheit, Konsumismus, Ressourcenverschwendung bis in Gegenwart und Zukunft reichen. Ein Band, der seinem Gegenstand gibt, was in einer Welt der Vereinfacher so rar geworden ist: den Mut zur Komplexität, ohne sich im Ungefähren zu verlieren, zugleich mit jener nicht zuletzt zeichnerischen Verve ausgestattet, die lustvoll vertraute Comic-Klischees nützt, um durchaus unvertraute Inhalte zu transportieren. Edutainment im besten Wortsinn.
Japanisch altmeisterlich. Ganz anders, doch nicht weniger eindringlich, wie Catherine Meurisse dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt vor dem Hintergrund eines Japan-Besuchs nachgeht. Meurisse, im deutschen Sprachraum mit einer nachgerade privaten, tief bewegenden Aufarbeitung des Terroranschlags auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“bekannt geworden, darf sich seit 2020 erstes Mitglied der Comic-Zunft nennen, das in die Acade´mie des Beaux-Arts aufgenommen wurde.
Mit Recht, das zeigt ihr aktueller Band, „Nami und das Meer“: So souverän, wie Meurisse zwischen berückender, altmeisterlich-japanischer Illustrationskunst und mit wenigen Strichen, gleichsam karikaturhaft, hingeworfenen Charakteren wechselt, so souverän entfaltet sie ihre fernöstlichen Erfahrungen auf der Suche nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Ein bezauberndes Plädoyer fürs Innehalten im rasenden Zug der Zeit.
Catherine Meurisse: „Nami und das Meer“.
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock.
118 S., 22,70 Euro; Carlsen-Verlag, Hamburg.
Die langjährige Freundschaft von Alfons Walde und Luis Trenker vereinte zwei Kapazunder der Alpen. Bereits seit Schultagen kannten der Oberndorfer und der Grödner einander, hatten sie doch beide an der Realschule in Innsbruck die Schulbank gedrückt. Später verschlug es sie nach Wien, wo Walde ab 1910 und Trenker ab 1912 an der Technischen Hochschule Architektur studierte. Und auch der Einsatz im 1. Weltkrieg verband sie; beide waren in den Dolomiten stationiert gewesen.
Nach dem Krieg ging Walde zurück nach Kitzbühel und profitierte von dem zunehmenden Tourismus des Ortes, wozu er mit seinen berühmten Plakaten des Wintersportortes beitrug. Er entwarf das berühmte „Gams“-Logo des Ortes und plante schließlich 1927 die Bergstation der Hahnenkammbahn, die bis heute in dieser Form besteht.
Trenker kam in diesen Jahren in Deutschland zum Film, wo er als Schauspieler und Regisseur tätig war. Er machte sich auch einen Namen als Buchautor – und wer wäre besser dazu geeignet gewesen, seine Bucheinbände zu gestalten, als sein Freund Alfons Walde. Der bekannte Autor und der bereits damals namhafte Maler gingen also eine kongeniale Partnerschaft ein: Hier waren zwei aufeinandergetroffen, die ihr Handwerk verstanden.
Abbildung Trenkers Welt
Auf der einen Seite sind die Darstellungen stark abstrahiert, die Berge übertrieben mächtig gezeichnet. Es dominiert starkes Licht, und der prominente Protagonist auf dem Cover zu „Kameraden der Berge“ist durch den typischen Hut und das rote Halstuch sofort erkennbar. Aber das Spiel von Licht und Schatten, und Trenkers wie zum Sprung bereite Position spricht für die hohe Qualität der Malerei Waldes, der damit auch die starke Persönlichkeit seines Freundes abbildet. Trenker zieht unseren Blick an; der Mann dahinter dient als bloßes Echo.
Walde hat all seine Kunst in dieses kleine Werk gelegt: Denn obwohl es „nur“ein Buchcover ist, so erfüllt das Blatt doch alle Tugenden eines kleinen Gemäldes. Man kann sich gut vorstellen,