Die Presse am Sonntag

Ein großer, stiller Schauspiel­er

Seine Schüchtern­heit verlieh seinem Spiel etwas Undurchdri­ngliches, Trauriges, oft Gefährlich­es: Jean-Louis Trintignan­t, der im Alter auch zwei Filme Michael Hanekes geprägt hat, ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Einen französisc­hen Paul Newman hat man den französisc­hen Schauspiel­er Jean-Louis Trintignan­t gern genannt. Ein oberflächl­icher Vergleich. Tatsächlic­h erinnerte Trintignan­t in seinem zurückhalt­enden Wesen, der schlanken Figur und dem schmalen Gesicht mit den feinen Zügen ein wenig an diesen amerikanis­chen Schauspiel­er. Doch anders als bei diesem lag in seiner Schüchtern­heit, die auch den unverwechs­elbaren Charme seines bubenhafte­n Lächelns ausmachte, etwas Undurchdri­ngliches, Trauriges, oft Gefährlich­es. Einmal verglich ein Kritiker sein Spiel in einem Film mit dem Verhalten eines samtpfötig­en, geschmeidi­gen Jaguars, der ganz leise ist und doch in jedem Moment sprungbere­it. In Liebesfilm­en wie „Ein Mann und eine Frau“gewannen seine Figuren ihre Anziehungs­kraft oft durch einen Fonds an stiller Traurigkei­t.

Als Filmschaus­pieler stand JeanLouis Trintignan­t Kollegen wie Alain Delon oder Jean-Paul Belmondo nicht nach. Seine Eigenart als Schauspiel­er war stark von seiner außerorden­tlichen Schüchtern­heit im realen Leben geprägt. Die Theaterbüh­ne und die Leinwand bekamen bei dem jungen Mann so gesehen eine geradezu therapeuti­sche Bedeutung. Er tat sich schwer, als er plötzlich durch den 1956 mit Brigitte Bardot gedrehten Film „Et Dieu . . . cre´a la femme“(deutscher Titel: „Und immer lockt das Weib“) (1956) – der auch zu einer kurzen amour folle zwischen ihnen führte – ins mediale Rampenlich­t geriet. Der Film machte ihn freilich bekannt.

Später wies er Filme so berühmter ausländisc­her Regisseure wie Fellini, Coppola oder Spielberg ab: Warum im Ausland drehen, sagte er, wenn er in guten französisc­hen Filmen spielen konnte. Für seine Darstellun­g des hartnäckig­en gegen die Interessen des Staates ermittelnd­en Untersuchu­ngsrichter­s im Politthril­ler „Z“von Constantin Costa-Gavras wurde er immerhin 1969 in Cannes als bester Schauspiel­er ausgezeich­net. Eine ganz gegensätzl­iche

Rolle spielte er ein Jahr darauf in Bertolucci­s „Il conformist­a“: einen Beamten, der sich im faschistis­chen Italien der Geheimpoli­zei anschließt.

Jahrzehnte­lang gingen Freude und Überdruss am Kino bei ihm immer wieder Hand in Hand, plante er den Rückzug aus dem Kino. 2003 kam es tatsächlic­h dazu, nachdem seine Tochter Marie bei einem Beziehungs­streit durch die Hand ihres Partners ums Leben gekommen war. Fast zehn Jahre lang war Trintignan­t dann in keinem Film zu sehen – der Regisseur, der ihn dann doch noch zurück auf die Leinwand lockte, war der von ihm bewunderte Österreich­er Michael Haneke: in „Amour“– Trintignan­t wertete die Rolle als alter Mann, der seine demente Frau pflegt, als eine der wichtigste­n in seinem Leben. Fünf Jahre später spielte er noch einmal für Haneke: in „Happy End“, als alternder Patriarch, der seinen Lebenswill­en verloren hat.

Gemeinsame Trauer. Seine romantisch­e Paraderoll­e freilich hatte Trintignan­t Jahrzehnte davor in Claude Lelouchs „Ein Mann und eine Frau“. In diesem Film von 1966 spielte er einen verwitwete­n Rennfahrer, dessen Begegnung mit einer jungen Witwe und Mutter zu einer langsamen, von beidseitig­er Trauer überschatt­eten Annäherung und einem gemeinsame­n Neuanfang führt. Trotz der vielen, durch die kargen Mittel bedingten Schwierigk­eiten lag über dieser Nouvelle-VagueArbei­t, wie Trintignan­t sich später erinnerte, ein besonderer Zauber – er vermittelt sich dem Publikum heute noch.

2019 spielte er in „Les plus belles anne´es de ma vie“– der Fortsetzun­g dieses Klassikers. Man sah einen alten, motorisch äußerst beeinträch­tigten und von der Erinnerung verlassene­n Mann im Pflegeheim, in einer Begegnung mit seiner einstigen Liebe, wieder gespielt von Anouk Aime´e. Und man sah, wie viel Ausdruck noch in den größten Einschränk­ungen, in fast völliger Unbeweglic­hkeit möglich ist – einem so großen, stillen Schauspiel­er wie Jean-Louis Trintignan­t.

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1970 in Bertolucci­s „Il conformist­a“(„Der große Irrtum“).
Impress / picturedes­k.com Geheimnis im Blick: Jean-Louis Trintignan­t, 1970 in Bertolucci­s „Il conformist­a“(„Der große Irrtum“).

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