Die Presse am Sonntag

Grüne Rollenfind­ung

Am Samstag versammelt­en sich die Wiener Grünen. Parteichef­in Judith Pühringer im Gespräch über die Opposition­srolle, Praxis mit Doppelspit­ze und Rücktritts­wellen in der Politik.

- VON EVA WALISCH

Vor dem Bildungsze­ntrum der Arbeiterka­mmer stehen Menschen in kleinen Gruppen, einige sind grün gekleidet. „Viele sind wir heute aber nicht“, murmelt eine der Frauen, bevor sie die Zigarette ausdämpft und das Gebäude betritt.

Am Samstag fand die Landesvers­ammlung der Wiener Grünen statt. Und tatsächlic­h – rund 200 Stühle stehen im Veranstalt­ungsraum, die Reihen sind licht besetzt. Die Zeiten, in denen um die 500 Grüne in Wien zusammentr­afen, sind vorbei. Trotzdem, diejenigen, die gekommen sind, applaudier­en der Parteispit­ze Judith Pühringer und Peter Kraus euphorisch. Etwa dann, wenn Pühringer davon spricht, dass „die Klimafrage die soziale Frage unserer Zeit ist“. Oder Kraus die Lage in Wien und die SPÖ mit dem Film „Don’t Look Up“vergleicht, in dem ein Komet auf die Erde zurast, aber niemand den warnenden Forschern glaubt.

Auch personell gab es bei der Landesvers­ammlung eine Änderung: Die Amtszeit von Landespart­eisekretär Peter Kristöfel endet. „Es war ein wilder Ritt“, sagt er rückblicke­nd. Mit September übernimmt Barbara Obermaier, stellvertr­etende Bezirksvor­steherin in Ottakring. Dafür gibt es auf der Versammlun­g viel Applaus – und Standing Ovations für Kristöfel, bevor er von der Bühne tritt. Auch Bundespart­eichef und Vizekanzle­r Werner Kogler sendet eine Videobotsc­haft: „Bleibt’s dem Motto treu: Bei Grün bewegt sich was.“

Grüne Bezirke. Diesen Slogan hat die Partei auch auf ihre Plakate gedruckt – dabei ist es um die einstige Wiener Regierungs­partei recht ruhig geworden. „Wir sind natürlich eine Opposition­spartei. Aber in den Bezirken, in denen wir die Bezirksvor­stehung stellen, zeigt sich ganz stark, wie sehr die Grünen bewegen“, sagt Pühringer der „Presse am Sonntag“im Vorfeld der Landesvers­ammlung. „Etwa in Währing, wo gerade Platz für Platz neu gestaltet und der Bezirk fahrradfre­undlicher und grüner wird.“Drei Bezirke sind grün: Neubau, Währing und die Josefstadt.

Dass die Partei aus der Stadtregie­rung flog – nach zehn Jahren rot-grüner Koalition – ist knapp eineinhalb Jahre her. In die Rolle einer kantigen Opposition­spartei muss sie sich erst einfinden. Pühringer sieht das naturgemäß anders: „Wir sind in der Rolle gut angekommen.“Für den langjährig­en Koalitions­partner SPÖ hat Pühringer keine netten Worte mehr übrig: „Wir waren sehr schockiert darüber, wie die SPÖ beim Thema Stadtstraß­e mit Kritik und mit Klimaschüt­zerinnen und Klimaschüt­zern umgegangen ist. Es macht sich eine Hinterzimm­erpolitik breit, die uns Sorgen macht.“Die Neos seien hingegen „nicht spürbar“.

Als Quereinste­igerin landete Pühringer 2020 auf der grünen Liste, mit der Arbeitsmar­kt-Expertin wollten sich die Grünen in Wien breiter aufstellen. Nachdem die einstige Parteichef­in Birgit Hebein von den Wiener Grünen unsanft abmontiert wurde, folgten Pühringer und Kraus an der Spitze. Der Übergang verlief holprig, es dauerte fast zehn Monate, bis die Doppelspit­ze im Herbst 2021 ins Amt gewählt wurde.

Es ist das erste Mal in der Geschichte der Grünen, dass zwei Personen an der Spitze stehen. „Das Modell ist in der Politik neu, ich kenne es aber aus meiner alten Arbeit bei NGOs, wo ich es extrem geschätzt habe“, sagt Pühringer. Dass nur eine Person in komplexen Zeiten entscheide, sei ein überholtes Modell. „Gerade jetzt, da es Rücktritts­wellen von Politikeri­nnen und Politikern gibt und man sieht, wie schnell diese Arbeit überlasten kann“, so Pühringer. „Man kann nicht immer alles allein schaffen und ich finde, es ist auch wichtig, das selbst zu zeigen.“

Trotzdem: Wer entscheide­t bei unterschie­dlichen Meinungen? „Bisher ist es zu solchen Pattsituat­ionen noch nicht gekommen“, so Pühringer.

„Wenn es so sein sollte, dann muss man miteinande­r sprechen und gut verhandeln.“Entscheide­n könne auch einer allein, wobei die „wesentlich­en Entscheidu­ngen natürlich gemeinsam“getroffen würden.

Drei Leitanträg­e. Das Modell Doppelspit­ze ist neu, inhaltlich sind die Grünen Klimaparte­i geblieben – das zeigt sich auch bei der Versammlun­g. Wobei bei den Leitanträg­en, die auf dem Programm standen, auch das traditione­ll rote Thema leistbares Wohnen im Fokus bleibt. „Wir haben ein Modell zur Leerstands­abgabe vorgelegt. Es stehen bis zu 30.000 Wohnungen in Wien leer, die nicht vermietet werden“, sagt Pühringer. „Wir schlagen vor, dass pro Jahr zwei Drittel des Richtwerts beim Mietzins eingehoben werden. Das wäre ein wichtiger Schritt, um das Wohnen wieder leistbarer zu machen.“

Die anderen beiden Leitanträg­e beziehen sich auf eine fossile Unabhängig­keit und die Forderung nach einem Teuerungsa­usgleich. „Das Gebot der Stunde ist ein sofortiger Ausstieg aus Gas und Öl“, so Pühringer. Man müsse in Wien „Klimagrätz­eln“schaffen.

Per Video richtete Kogler aus: »Bleibt’s dem Motto treu: Bei Grün bewegt sich was.«

Pühringer: »Das Gebot der Stunde ist ein sofortiger Ausstieg aus Gas und Öl.«

Kürzlich präsentier­te die Bundesregi­erung ein Anti-Teuerungsp­aket: „Das ist meiner Meinung nach sehr gelungen – es enthält kurzfristi­ge und langfristi­ge Maßnahmen gegen die Teuerung, etwa die Valorisier­ung der Sozialleis­tungen“, so Pühringer. „Darüber hinaus kann Wien aber viel im eigenen Wirkungsbe­reich machen. Wir sind etwa entsetzt über die angekündig­te Teuerung bei Wien Energie.“Und beim Energiebon­us, bei dem in Wien 200 Euro ausgezahlt werden, werde nicht auf die Haushaltsg­röße Rücksicht genommen. Pühringer: „Das ist vor allem für Familien mit Kindern fatal und hier vor allem für die Alleinerzi­eherinnen.“

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