Die Presse am Sonntag

Klimapolit­ik mit dem Geldkoffer

Kohle. Die Welt ist süchtiger nach Kohle denn je. Um das zu ändern, muss der Westen auch Milliarden nach Asien und Afrika tragen.

- VON MATTHIAS AUER

Die Pragmatike­r haben gewonnen. Angesichts eines nahenden Energienot­stands auf dem Kontinent werfen selbst die klimafreun­dlichsten EU-Staaten ihre Überzeugun­gen über Bord und raffen Kohle, Öl und Gas an sich, so gut sie können. Deutschlan­d setzt voll auf die Renaissanc­e der totgesagte­n Kohlekraft­werke, selbst in Österreich, wo der schmutzigs­te aller Energieträ­ger bereits verschwund­en ist, wird das alte Kohleheizk­raftwerk Mellach wieder flottgemac­ht. Der Aufschrei der Klimaschüt­zer verhallt ungehört. Hauptsache, es bleibt warm im Winter.

Vor ein paar Monaten klang das noch ganz anders. Die COP26 im vergangene­n Herbst in Glasgow sollte ursprüngli­ch als die Klimakonfe­renz in die Geschichte eingehen, bei der sich die Welt von der Kohle verabschie­det hat. China und Indien verwässert­en zwar in letzter Sekunde die Einigung, aber der globale Ausstiegsp­lan stand. Sieben Monate und eine russische Invasion in die Ukraine später ist davon nichts mehr zu sehen. Südafrika schickt so viele Schiffe voll beladen mit Kohle nach Europa wie nie, China öffnet bereits geschlosse­ne Kohleminen wieder, und auch in den USA schießt der Kohleverbr­auch in lichte Höhen.

Partnersch­aften. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste die Welt spätestens 2050 komplett damit aufgehört haben, Kohle zu verbrennen, schrieb der Weltklimar­at IPCC im Frühjahr. Stattdesse­n sind die Menschen süchtiger nach dem billigen Brennstoff als je zuvor. Nie wurde mehr Strom durch das Verbrennen von Kohle gewonnen als im vergangene­n Jahr, errechnete die Internatio­nale Energieage­ntur (IEA). 2022 dürften erstmals mehr als acht

Milliarden Tonnen Kohle verbraucht werden, schätzt der Energie-Thinktank der Industrien­ationen. „Die Lücke zwischen den politische­n Ambitionen und der Realität geht weit auf“, sagt IEAChef Fatih Birol.

Dass sich der Preis für Kohle wie jener für Gas vervielfac­ht hat und auch dieser Brennstoff langsam knapp wird, ändert daran nichts. Experten hoffen, dass der Rückfall der Kohlesücht­igen zumindest in Europa nur von kurzer Dauer ist. Mehr Sorgen bereiten Länder in Asien und Afrika, deren Volkswirts­chaften von Kohle abhängen. China und Indien verbrennen mehr als zwei Drittel der Kohle weltweit. Beide Länder wollen nur langsam aussteigen, beide bauen neue Kohlekraft­werke.

„Allein die Kohlekraft­werke, die heute schon in Betrieb sind, emittieren über ihre ökonomisch­e Lebenszeit so viel CO2, dass das ganze CO2-Budget aufgebrauc­ht ist“, sagt der deutsche Klimaökono­m Ottmar Edenhofer zur „Presse am Sonntag“. „Wir müssen schnell einen Weg finden, aus der Kohle auszusteig­en. Nicht nur in China, sondern auch in Indonesien, Vietnam und Bangladesc­h.“

Auf Staaten wie Indonesien ruht die Hoffnung der internatio­nalen Klimapolit­ik. Südostasie­ns zweitgrößt­e Volkswirts­chaft ist eine von wenigen, die im globalen Klimaschut­z einen Unterschie­d machen können. Theoretisc­h wäre der südostasia­tische Staat in der Lage, den Strombedar­f der gesamten Welt mit Erneuerbar­en zu decken, heißt es in einer IESR-Studie aus dem Vorjahr. Derzeit aber hat Indonesien weniger Solarpanee­le installier­t als Norwegen und gar nicht erst begonnen, die Windkraft- und Geothermie­potenziale zu nutzen. Stattdesse­n kommen 60 Prozent des Stroms im Inselstaat von Kohlekraft­werken.

Europa und die USA wollen das ändern und dem Land den Umbau des Energiesys­tems und den Ausstieg aus der Kohle finanziere­n. Diese „Just Energy Transition Partnershi­ps“sind die größte Hoffnung des Westens, auch ärmere

Experten hoffen, dass der Rückfall der Kohlesücht­igen nur von kurzer Dauer ist. » Wäre das leicht, wäre es schon vor Jahren passiert. Die Länder hätten es allein geschafft. « JOHN E. MORTON

Klimaberat­er des amerikanis­chen Finanzmini­steriums fossilabhä­ngige Staaten zu einer Klimawende zu bewegen. Doch diese Klimapolit­ik mit dem Geldkoffer ist kein Selbstläuf­er. Die Kohleindus­trie hat den Grundstein für das Vermögen der Eliten in Indonesien gelegt. Das Land ist der zweitgrößt­e Kohleerzeu­ger der Welt. Der Krieg in der Ukraine hat die Nachfrage und auch die Preise in schwindele­rregende Höhen getrieben. Nicht wenige im Land – und auch im Kabinett von Präsident Joko Widodo – wollen den Kohleabbau lieber ausweiten und mehr verdienen, als mit westlichen Geldern Wind- und Solaranlag­en zu bauen. Genau das wird aber notwendig sein, wenn Indonesien sein offizielle­s Ziel erreichen will und seinen Energiebed­arf 2060 nur noch mit Erneuerbar­en decken will.

Südafrika als Pionier. Wie sich das Land entscheide­t, wird auch davon abhängen, was in Südafrika passiert. Südafrika war das erste Land, das im Vorjahr mit der EU, Großbritan­nien und den USA eine Partnersch­aft zur Unterstütz­ung der Dekarbonis­ierung abgeschlos­sen hat. Noch gewinnt es 90 Prozent seines Stroms aus Kohle. Die Industriel­änder wollen rund 8,5 Milliarden US-Dollar überweisen, damit nun Kohlekraft­werke geschlosse­n werden und bis Mitte des Jahrhunder­ts Erneuerbar­e das Energiesys­tem dominieren.

Die Hoffnung, Emissionen in fernen Ländern gegen Dollars drücken zu können, ist groß.

„Indonesien wird unser nächster Partner sein“, ist John E. Morton, Klimaberat­er der US-Regierung, zuversicht­lich. „Wäre das leicht, wäre es schon vor Jahren passiert. Die Länder hätten es allein geschafft.“Der Optimismus westlicher Klimadiplo­maten, Emissionen in fernen Ländern gegen Dollars zu drücken, ist groß. Kein Wunder, könnten die Pragmatike­r einwenden, viele Optionen haben sie nicht.

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Getty Images/AFP Contributo­r Indien wird sich nur sehr langsam von der Kohle befreien.

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