Klimapolitik mit dem Geldkoffer
Kohle. Die Welt ist süchtiger nach Kohle denn je. Um das zu ändern, muss der Westen auch Milliarden nach Asien und Afrika tragen.
Die Pragmatiker haben gewonnen. Angesichts eines nahenden Energienotstands auf dem Kontinent werfen selbst die klimafreundlichsten EU-Staaten ihre Überzeugungen über Bord und raffen Kohle, Öl und Gas an sich, so gut sie können. Deutschland setzt voll auf die Renaissance der totgesagten Kohlekraftwerke, selbst in Österreich, wo der schmutzigste aller Energieträger bereits verschwunden ist, wird das alte Kohleheizkraftwerk Mellach wieder flottgemacht. Der Aufschrei der Klimaschützer verhallt ungehört. Hauptsache, es bleibt warm im Winter.
Vor ein paar Monaten klang das noch ganz anders. Die COP26 im vergangenen Herbst in Glasgow sollte ursprünglich als die Klimakonferenz in die Geschichte eingehen, bei der sich die Welt von der Kohle verabschiedet hat. China und Indien verwässerten zwar in letzter Sekunde die Einigung, aber der globale Ausstiegsplan stand. Sieben Monate und eine russische Invasion in die Ukraine später ist davon nichts mehr zu sehen. Südafrika schickt so viele Schiffe voll beladen mit Kohle nach Europa wie nie, China öffnet bereits geschlossene Kohleminen wieder, und auch in den USA schießt der Kohleverbrauch in lichte Höhen.
Partnerschaften. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müsste die Welt spätestens 2050 komplett damit aufgehört haben, Kohle zu verbrennen, schrieb der Weltklimarat IPCC im Frühjahr. Stattdessen sind die Menschen süchtiger nach dem billigen Brennstoff als je zuvor. Nie wurde mehr Strom durch das Verbrennen von Kohle gewonnen als im vergangenen Jahr, errechnete die Internationale Energieagentur (IEA). 2022 dürften erstmals mehr als acht
Milliarden Tonnen Kohle verbraucht werden, schätzt der Energie-Thinktank der Industrienationen. „Die Lücke zwischen den politischen Ambitionen und der Realität geht weit auf“, sagt IEAChef Fatih Birol.
Dass sich der Preis für Kohle wie jener für Gas vervielfacht hat und auch dieser Brennstoff langsam knapp wird, ändert daran nichts. Experten hoffen, dass der Rückfall der Kohlesüchtigen zumindest in Europa nur von kurzer Dauer ist. Mehr Sorgen bereiten Länder in Asien und Afrika, deren Volkswirtschaften von Kohle abhängen. China und Indien verbrennen mehr als zwei Drittel der Kohle weltweit. Beide Länder wollen nur langsam aussteigen, beide bauen neue Kohlekraftwerke.
„Allein die Kohlekraftwerke, die heute schon in Betrieb sind, emittieren über ihre ökonomische Lebenszeit so viel CO2, dass das ganze CO2-Budget aufgebraucht ist“, sagt der deutsche Klimaökonom Ottmar Edenhofer zur „Presse am Sonntag“. „Wir müssen schnell einen Weg finden, aus der Kohle auszusteigen. Nicht nur in China, sondern auch in Indonesien, Vietnam und Bangladesch.“
Auf Staaten wie Indonesien ruht die Hoffnung der internationalen Klimapolitik. Südostasiens zweitgrößte Volkswirtschaft ist eine von wenigen, die im globalen Klimaschutz einen Unterschied machen können. Theoretisch wäre der südostasiatische Staat in der Lage, den Strombedarf der gesamten Welt mit Erneuerbaren zu decken, heißt es in einer IESR-Studie aus dem Vorjahr. Derzeit aber hat Indonesien weniger Solarpaneele installiert als Norwegen und gar nicht erst begonnen, die Windkraft- und Geothermiepotenziale zu nutzen. Stattdessen kommen 60 Prozent des Stroms im Inselstaat von Kohlekraftwerken.
Europa und die USA wollen das ändern und dem Land den Umbau des Energiesystems und den Ausstieg aus der Kohle finanzieren. Diese „Just Energy Transition Partnerships“sind die größte Hoffnung des Westens, auch ärmere
Experten hoffen, dass der Rückfall der Kohlesüchtigen nur von kurzer Dauer ist. » Wäre das leicht, wäre es schon vor Jahren passiert. Die Länder hätten es allein geschafft. « JOHN E. MORTON
Klimaberater des amerikanischen Finanzministeriums fossilabhängige Staaten zu einer Klimawende zu bewegen. Doch diese Klimapolitik mit dem Geldkoffer ist kein Selbstläufer. Die Kohleindustrie hat den Grundstein für das Vermögen der Eliten in Indonesien gelegt. Das Land ist der zweitgrößte Kohleerzeuger der Welt. Der Krieg in der Ukraine hat die Nachfrage und auch die Preise in schwindelerregende Höhen getrieben. Nicht wenige im Land – und auch im Kabinett von Präsident Joko Widodo – wollen den Kohleabbau lieber ausweiten und mehr verdienen, als mit westlichen Geldern Wind- und Solaranlagen zu bauen. Genau das wird aber notwendig sein, wenn Indonesien sein offizielles Ziel erreichen will und seinen Energiebedarf 2060 nur noch mit Erneuerbaren decken will.
Südafrika als Pionier. Wie sich das Land entscheidet, wird auch davon abhängen, was in Südafrika passiert. Südafrika war das erste Land, das im Vorjahr mit der EU, Großbritannien und den USA eine Partnerschaft zur Unterstützung der Dekarbonisierung abgeschlossen hat. Noch gewinnt es 90 Prozent seines Stroms aus Kohle. Die Industrieländer wollen rund 8,5 Milliarden US-Dollar überweisen, damit nun Kohlekraftwerke geschlossen werden und bis Mitte des Jahrhunderts Erneuerbare das Energiesystem dominieren.
Die Hoffnung, Emissionen in fernen Ländern gegen Dollars drücken zu können, ist groß.
„Indonesien wird unser nächster Partner sein“, ist John E. Morton, Klimaberater der US-Regierung, zuversichtlich. „Wäre das leicht, wäre es schon vor Jahren passiert. Die Länder hätten es allein geschafft.“Der Optimismus westlicher Klimadiplomaten, Emissionen in fernen Ländern gegen Dollars zu drücken, ist groß. Kein Wunder, könnten die Pragmatiker einwenden, viele Optionen haben sie nicht.