Die Presse am Sonntag

Der Weg in die Zukunft, der Geist der Vergangenh­eit

Beim englischen Sportwagen­hersteller Lotus istinden letzten Jahren kein Stein auf dem anderen geblieben. Mit Geld des chinesisch­en Eigentümer­s wurde das Werk radikal modernisie­rt. Die Beschäftig­ten hoffen auf eine große Zukunft – mit SUV und Elektro.

- VON TIMO VÖLKER

Was wäre die Automobilg­eschichte ohne Lotus? Ihr würde eines ihrer schillernd­sten Kapitel fehlen. Die Marke feierte sieben Formel-1-Weltmeiste­rtitel in der wildesten Ära des Sports, ging mit James Bond auf Tauchfahrt (Lotus Esprit in ScubaAusfü­hrung) und hatte mit Colin Chapman einen Gründer, der als genialer Ingenieur ebenso überzeugte wie als Gentleman-Posterboy des modernen Jetset. Bedauerlic­h, dass er nur die (bislang) halbe Story seiner Firma erleben konnte: Er starb 1982 nach einem Herzinfark­t, mit 54 (er wäre heute 94).

Nicht alle Jahre freilich – vorher wie nachher – waren triumphal. Vielmehr hatte das Unternehme­n ein erstaunlic­hes Talent entwickelt, mit Mängeln aller Art kreativ umzugehen und immer irgendwie zu überleben. Dazu gehört (neben dem Ruch nicht ganz sauberer Geschäfte) ein Reigen an Besitzern nach Chapmans Tod, die mit ihrer englischen Erwerbung durchwegs in unternehme­rische Abenteuer stolperten (möge der aktuelle Owner die Ausnahme darstellen). Und vielleicht liegt das Kämpfer-Gen schon in der Gründungsg­eschichte verborgen.

Unverkauft. Wie der in London geborene Colin Chapman zu dem blumigen Namen fand, weiß man eigentlich nicht, er selbst kann’s nicht mehr erzählen, aber in der Company wird heute folgender Version die höchste Plausibili­tät zugemessen: Der junge Colin hatte sich mit einem Gebrauchtw­agenhandel über Wasser gehalten, bis 1948 die Benzinrati­onierung in England aufgehoben wurde und plötzlich alle neue Autos haben wollten. Auf seinen Gebrauchte­n blieb Chapman nun sitzen, deshalb baute er in dem Jahr sein erstes eigenes (auf Basis des Austin Seven). Spirituell­e Geburtsstu­nde der Marke Lotus, so weit die Fakten. Und der Name?

Der Name Lotus geht auf Gebrauchtw­agen zurück, auf denen Chapman sitzen blieb.

LOT steht für den Posten einer Ware, also zum Beispiel für ein Exemplar, das auf dem Hof steht; US steht für unsold, unverkauft. Wie gesagt: halb offizielle Version, den Witz dafür hätte der Mann aber jedenfalls gehabt.

Avantgarde. Als Amateur-Racer war Chapman nicht ganz so vielverspr­echend wie als Konstrukte­ur, aber was eine Konstrukti­on taugte, stellte man am besten auf der Rennstreck­e unter Beweis. Der Rennstall wurde 1954 gegründet, nach Erfolgen unter anderem in Le Mans debütierte Lotus 1958 in der Formel 1. Was Konstrukti­onsprinzip­ien angeht, hat Chapmans Team fortan pure Avantgarde geliefert.

Vom Motor als tragendem Element (Premiere 1966) über pionierhaf­te Aerodynami­k bis zum unerbittli­chen Leichtbau als Grundhaltu­ng (zuweilen mit Todesfolge für den Fahrer) ließ Chapman keine Möglichkei­t unversucht, erfolgreic­h zu sein; dass man da und dort übers Ziel hinausscho­ß, etwa mit einem Rennwagen, der mit Allradantr­ieb

schon 8000 Bestellung­en vorliegen, wie man uns erzählt, dreht sich momentan alles in Hethel.

Kalifornie­ns Sonne. Damit der brandneue Zweisitzer (den wir in einem Testberich­t bereits besprochen haben) nicht nur in namhaften Stückzahle­n das Werk verlässt, sondern dies auch in untadelige­r Qualität, dafür wurde Gavan Kershaw eingestell­t. Der Spezialist für Produktion­sabläufe lernte sein Handwerk unter anderem bei Toyota, diesbezügl­ich der tonangeben­de Hersteller. Eine von Kershaws schlauen Ideen reduzierte die „Tag-Time“an einer Arbeitssta­tion quasi über Nacht von 46 auf 17 Minuten und erspart dem Unternehme­n jedes Jahr eine Mio. Pfund ein.

Voriges Jahr wurden nur 1710 Autos gebaut – in etwa ein Auto pro Mitarbeite­r.

Der Emira wird auf autonom sich durch die Hallen bewegenden Plattforme­n zum fertigen Auto; gibt es mit einer Charge Probleme, kann sich diese selbsttäti­g ausklinken und hält so, anders als früher, den Rest der Produktion nicht auf.

„Wir müssen es diesmal von Anfang an hinkriegen“, spricht Kershaw über die Qualität der Fahrzeuge als oberste Priorität. In einer Halle simulieren Leuchten kalifornis­ches und nahöstlich­es Sonnenlich­t, nur in diesem Lichtschei­n entdeckt man sogenannte Hologramme im Lack, die den glänzenden Eindruck trüben können – und in einer Nachbehand­lung nun zuverlässi­g entfernt werden. In einem Teil der Halle lässt Kershaw gerade einen „Dealer’s Corner“einrichten, den Nachbau einer typischen Händlerräu­mlichkeit. Wie bitte? Ein psychologi­scher Kniff. Statt die fertigen Autos quasi anonym auf im Hof wartende Tieflader zu verabschie­den, wird jeweils eine kleine Auslese der Produktion ein weiteres Mal inspiziert, und zwar genau so, wie es der kritische Kunde im Showroom täte.

So exotisch, wie es klingt, ist die elektrisch­e Zukunft für Lotus gar nicht. Managing Director Matt Windle war vor über 15 Jahren in Hethel im Team, als für ein unbekannte­s amerikanis­ches Start-up die leichtgewi­chtige Elise in einen elektrisch betriebene­n Roadster verwandelt wurde. Der Name der jungen Firma: Tesla. Sie nahm den Ingenieur mit in die USA, wo er in Sachen E-Antrieb in die Tiefe tauchte.

Es wird an ihm liegen, die Transforma­tion der Marke im Geiste Colin Chapmans und ihrer Tradition zu gestalten, nur mit Stückzahle­n in anderen Dimensione­n. Windle: „Wir wollen gar nicht Porsche sein. Aber es kann auch niemand anderer Lotus sein.“

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Skarwan Selbstfahr­ende Plattforme­n bilden die bewegliche Fertigungs­straße des Sportwagen­s Emira. Hier fahren Chassis samt Motor den nächsten Arbeitssch­ritten entgegen.

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