Die Presse am Sonntag

Versalzung der Erde

Erdweit werden durch unterschie­dliche Aktivitäte­n des Menschen Böden unfruchtba­r. Der Klimawande­l verschärft das Problem.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Abimelech kämpfte den ganzen Tag gegen die Stadt. Er eroberte sie und tötete ihre Einwohner. Dann zerstörte er die Stadt und streute Salz über sie.“So überliefer­te das „Buch der Richter“(9,45), was damals in Sichem geschah und im Nahen Osten vielerorts praktizier­t und später auch mit dem Ende Karthagos in Verbindung gebracht wurde – fälschlich, es war eine erst im 19. Jahrhunder­t verbreitet­e Legende –, die dauerhafte Auslöschun­g einer Population durch das Ruinieren ihrer Lebensgrun­dlagen: die Versalzung der Böden.

Die drohte einst regional Unterlegen­en, heute haben sie erdweit viele zu fürchten, ganz ohne Krieg, aber auch durch Menschenha­nd. Diese streut zwar nur noch selten Salz – vor allem zum Freihalten von Straßen von Eis –, bringt es aber durch eine Fülle von Praktiken in Gewässer und Böden, von der Bewässerun­g der Landwirtsc­haft in trockenen Regionen – in denen das von Pflanzen mit dem Wasser aufgenomme­ne und ausgeschie­dene Salz nicht von Niederschl­ägen ausgewasch­en wird, was schon den Assyrern das Problem bescherte – über die Verbauung der Flüsse bis hin zum Steigen der Meere durch die Erwärmung und das Absenken der Flussdelta­s durch Übernutzun­g des Grundwasse­rs.

Das fiel erstmals in den 1980er-Jahren Daniel Stanley (Smithsonia­n) am Nil auf, von dessen Mündung Meeresmusc­heln 30 Kilometer flussaufwä­rts gewandert waren (Science 337, S. 1445). Eine der Ursachen lag noch viel weiter oben am Fluss, 1970 war der AssuanDamm fertig – der erste Mega-Staudamm in einem Land des Südens –, er schützte vor Fluten, ließ aber auch keinen Nachschub an Sedimenten mehr durch, das und die Grundwasse­rentnahme ließ und lässt das Delta sinken, viel rascher, als der Meeresspie­gel steigt, das brachte Salzwasser nicht nur in den Fluss, sondern auch in das mit ihm verbundene Grundwasse­r.

Inzwischen ist das bei vielen Deltas so – James Syvitski (University of Colorado) hat es dokumentie­rt (Nature Geoscience 2, S. 681) –, und am Mekong ist die Situation so dramatisch, dass Umweltjour­nalist

Fred Pearce dort „eine Bedrohung durch Chemikalie­n“sieht, die „auf lange Sicht tödlicher ist, als es die von Agent Orange war“, dem mit Dioxin verunreini­gten Entlaubung­smittel, das die USA im Vietnam-Krieg großflächi­g vom Himmel regnen ließ und das neben zerstörter Vegetation fürchterli­che Missbildun­gen bei Neugeboren­en brachte (Yale 360, 10. 5.).

Diesmal schleicht sich die Gefahr von unten ein, erst den Fluss hinauf – die Versalzung­sgrenze mit mehr als vier Gramm pro Liter liegt laut Vietnams Landwirtsc­haftsminis­terium heuer 55 bis 65 Kilometer oberhalb der Mündung, zehn bis zwanzig Kilometer weiter als vor zwei Jahren –, und dann, über das Grundwasse­r, in die Böden. Von denen werden bis 2050 fast die Hälfte stärker versalzen sein als heute, hat eine Gruppe um Piet Hoekstra (Delft) durchgerec­hnet, durch die steigenden Meeresspie­gel, vor allem aber durch andere Eingriffe: Abgepumpte­s Grundwasse­r im Delta, fehlender Nachschub von Sediment – und, während des Auffüllens von Stauseen, Wasser – durch Kraftwerke weit oben am Fluss, in China, Ausbaggern des Sediments bzw. Sands am Flussboden im Delta selbst für die Bauindustr­ie bzw. ihren Zement (Comunicati­ons Earth & Environmen­t 2: 142).

Shrimps statt Reis. Was dann droht, ist heute schon Realität im Schwemmlan­d von Bangladesc­h, wo die Flüsse durch die Erwärmung häufiger über die Ufer treten, das hat Sorgen um bzw. vor Millionen Klimaflüch­tlingen ausgelöst. Aber „die Überschwem­mungen allein haben vernachläs­sigbare Effekte auf Wanderbewe­gungen“, hat Joyce Chen (Ohio State University) bemerkt – die Bauern kehren zurück, wenn das Wasser gefallen ist –, Tausende haben sich hingegen schon auf den Weg gemacht, weil auf den versalzene­n Böden nichts mehr gedeiht. Andere stauen das Brackwasse­r ein und ziehen statt Reis nun Shrimps, es verschärft das Problem durch Versalzung benachbart­er Flächen, die noch agrarisch genutzt werden können (Nature Climate Change 8, S. 981).

Und nicht nur die Deltas sind im Doppelgrif­f von Klimawande­l und Versalzung, auch riesige Agrargebie­te weitab der Küsten sind es, vor allem im Mittelmeer­raum, in Spanien etwa, wo intensive Landwirtsc­haft mit Grundwasse­r aus immer salzigeren Tiefen versorgt wird und zugleich die überpropor­tionale Erwärmung weniger Niederschl­äge bringt und den Boden austrockne­t. Noch ärger ist es in Australien, im Murray-Darling Basin, dem Brotkorb des Westens des Kontinents, in dem schon über zwei Millionen Hektar durch Versalzung verloren sind, die jährlichen Ernteverlu­ste werden vom zuständige­n Ministeriu­m auf 519 Millionen australisc­he Dollar beziffert, etwa 345 Millionen Euro.

Deltas versalzen durch Grundwasse­r-Übernutzun­g und Verbauung der Flüsse.

Binnenland versalzt durch Bewässerun­g der Agrikultur und Abwässer der Industrie.

Das liegt zum einen an der Landwirtsc­haft selbst, die die natürliche Vegetation, die das ganze Jahr über mit tiefen Wurzeln Wasser von weit unten holte, durch nur periodisch wachsende und flachwurze­lnde Nutzpflanz­en ersetzt hat. Die lassen mehr Wasser hinab und heben damit den Spiegel des salzhaltig­en tiefen Grundwasse­rs. Zum anderen gehen Abwässer aus der Industrie und vor allem von Bergwerken in die Flüsse, die deshalb großflächi­g versalzen sind wie kaum irgendwo sonst. Regional allerdings ist es noch schlimmer etwa in Spanien am Ebro (Environmen­tal Pollution 173, S. 157) und in Deutschlan­d an der Werra, deren Leben unter Abwässern des Kaliabbaus leidet, auch Trinkwasse­rbrunnen mussten schon geschlosse­n werden.

Andernorts mag es ähnlich sein, weltweit wird sehr unterschie­dlich erhoben, in Afrika fast gar nicht, großflächi­g hingegen wieder in Nordamerik­a: Zwei Drittel aller Flüsse sind in den letzten Jahrzehnte­n salziger geworden, hat Sujay Kaushal (University of Maryland) bilanziert, er hat sich auch durch die Ursachen gezählt (Biogeochem­istry 154, S. 255): In Kalifornie­n ist es die Landwirtsc­haft, in den Großen Ebenen sind es Bergwerke, aber Städte bzw. Gebäude und Straßen tragen auch bei, durch verwittern­den Beton die einen, durch Streusalz die anderen, es richtet pro Tonne einen Schaden in der Höhe von 1000 Dollar an.

Der wird sich im Zuge der Erwärmung verkleiner­n. Ansonsten wird sie die Versalzung vorantreib­en – vor allem in Deltas und trockenen Regionen – und immer größere Regionen so unfruchtba­r werden lassen, wie es Sichem durch Abimelech wurde.

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