Versalzung der Erde
Erdweit werden durch unterschiedliche Aktivitäten des Menschen Böden unfruchtbar. Der Klimawandel verschärft das Problem.
Abimelech kämpfte den ganzen Tag gegen die Stadt. Er eroberte sie und tötete ihre Einwohner. Dann zerstörte er die Stadt und streute Salz über sie.“So überlieferte das „Buch der Richter“(9,45), was damals in Sichem geschah und im Nahen Osten vielerorts praktiziert und später auch mit dem Ende Karthagos in Verbindung gebracht wurde – fälschlich, es war eine erst im 19. Jahrhundert verbreitete Legende –, die dauerhafte Auslöschung einer Population durch das Ruinieren ihrer Lebensgrundlagen: die Versalzung der Böden.
Die drohte einst regional Unterlegenen, heute haben sie erdweit viele zu fürchten, ganz ohne Krieg, aber auch durch Menschenhand. Diese streut zwar nur noch selten Salz – vor allem zum Freihalten von Straßen von Eis –, bringt es aber durch eine Fülle von Praktiken in Gewässer und Böden, von der Bewässerung der Landwirtschaft in trockenen Regionen – in denen das von Pflanzen mit dem Wasser aufgenommene und ausgeschiedene Salz nicht von Niederschlägen ausgewaschen wird, was schon den Assyrern das Problem bescherte – über die Verbauung der Flüsse bis hin zum Steigen der Meere durch die Erwärmung und das Absenken der Flussdeltas durch Übernutzung des Grundwassers.
Das fiel erstmals in den 1980er-Jahren Daniel Stanley (Smithsonian) am Nil auf, von dessen Mündung Meeresmuscheln 30 Kilometer flussaufwärts gewandert waren (Science 337, S. 1445). Eine der Ursachen lag noch viel weiter oben am Fluss, 1970 war der AssuanDamm fertig – der erste Mega-Staudamm in einem Land des Südens –, er schützte vor Fluten, ließ aber auch keinen Nachschub an Sedimenten mehr durch, das und die Grundwasserentnahme ließ und lässt das Delta sinken, viel rascher, als der Meeresspiegel steigt, das brachte Salzwasser nicht nur in den Fluss, sondern auch in das mit ihm verbundene Grundwasser.
Inzwischen ist das bei vielen Deltas so – James Syvitski (University of Colorado) hat es dokumentiert (Nature Geoscience 2, S. 681) –, und am Mekong ist die Situation so dramatisch, dass Umweltjournalist
Fred Pearce dort „eine Bedrohung durch Chemikalien“sieht, die „auf lange Sicht tödlicher ist, als es die von Agent Orange war“, dem mit Dioxin verunreinigten Entlaubungsmittel, das die USA im Vietnam-Krieg großflächig vom Himmel regnen ließ und das neben zerstörter Vegetation fürchterliche Missbildungen bei Neugeborenen brachte (Yale 360, 10. 5.).
Diesmal schleicht sich die Gefahr von unten ein, erst den Fluss hinauf – die Versalzungsgrenze mit mehr als vier Gramm pro Liter liegt laut Vietnams Landwirtschaftsministerium heuer 55 bis 65 Kilometer oberhalb der Mündung, zehn bis zwanzig Kilometer weiter als vor zwei Jahren –, und dann, über das Grundwasser, in die Böden. Von denen werden bis 2050 fast die Hälfte stärker versalzen sein als heute, hat eine Gruppe um Piet Hoekstra (Delft) durchgerechnet, durch die steigenden Meeresspiegel, vor allem aber durch andere Eingriffe: Abgepumptes Grundwasser im Delta, fehlender Nachschub von Sediment – und, während des Auffüllens von Stauseen, Wasser – durch Kraftwerke weit oben am Fluss, in China, Ausbaggern des Sediments bzw. Sands am Flussboden im Delta selbst für die Bauindustrie bzw. ihren Zement (Comunications Earth & Environment 2: 142).
Shrimps statt Reis. Was dann droht, ist heute schon Realität im Schwemmland von Bangladesch, wo die Flüsse durch die Erwärmung häufiger über die Ufer treten, das hat Sorgen um bzw. vor Millionen Klimaflüchtlingen ausgelöst. Aber „die Überschwemmungen allein haben vernachlässigbare Effekte auf Wanderbewegungen“, hat Joyce Chen (Ohio State University) bemerkt – die Bauern kehren zurück, wenn das Wasser gefallen ist –, Tausende haben sich hingegen schon auf den Weg gemacht, weil auf den versalzenen Böden nichts mehr gedeiht. Andere stauen das Brackwasser ein und ziehen statt Reis nun Shrimps, es verschärft das Problem durch Versalzung benachbarter Flächen, die noch agrarisch genutzt werden können (Nature Climate Change 8, S. 981).
Und nicht nur die Deltas sind im Doppelgriff von Klimawandel und Versalzung, auch riesige Agrargebiete weitab der Küsten sind es, vor allem im Mittelmeerraum, in Spanien etwa, wo intensive Landwirtschaft mit Grundwasser aus immer salzigeren Tiefen versorgt wird und zugleich die überproportionale Erwärmung weniger Niederschläge bringt und den Boden austrocknet. Noch ärger ist es in Australien, im Murray-Darling Basin, dem Brotkorb des Westens des Kontinents, in dem schon über zwei Millionen Hektar durch Versalzung verloren sind, die jährlichen Ernteverluste werden vom zuständigen Ministerium auf 519 Millionen australische Dollar beziffert, etwa 345 Millionen Euro.
Deltas versalzen durch Grundwasser-Übernutzung und Verbauung der Flüsse.
Binnenland versalzt durch Bewässerung der Agrikultur und Abwässer der Industrie.
Das liegt zum einen an der Landwirtschaft selbst, die die natürliche Vegetation, die das ganze Jahr über mit tiefen Wurzeln Wasser von weit unten holte, durch nur periodisch wachsende und flachwurzelnde Nutzpflanzen ersetzt hat. Die lassen mehr Wasser hinab und heben damit den Spiegel des salzhaltigen tiefen Grundwassers. Zum anderen gehen Abwässer aus der Industrie und vor allem von Bergwerken in die Flüsse, die deshalb großflächig versalzen sind wie kaum irgendwo sonst. Regional allerdings ist es noch schlimmer etwa in Spanien am Ebro (Environmental Pollution 173, S. 157) und in Deutschland an der Werra, deren Leben unter Abwässern des Kaliabbaus leidet, auch Trinkwasserbrunnen mussten schon geschlossen werden.
Andernorts mag es ähnlich sein, weltweit wird sehr unterschiedlich erhoben, in Afrika fast gar nicht, großflächig hingegen wieder in Nordamerika: Zwei Drittel aller Flüsse sind in den letzten Jahrzehnten salziger geworden, hat Sujay Kaushal (University of Maryland) bilanziert, er hat sich auch durch die Ursachen gezählt (Biogeochemistry 154, S. 255): In Kalifornien ist es die Landwirtschaft, in den Großen Ebenen sind es Bergwerke, aber Städte bzw. Gebäude und Straßen tragen auch bei, durch verwitternden Beton die einen, durch Streusalz die anderen, es richtet pro Tonne einen Schaden in der Höhe von 1000 Dollar an.
Der wird sich im Zuge der Erwärmung verkleinern. Ansonsten wird sie die Versalzung vorantreiben – vor allem in Deltas und trockenen Regionen – und immer größere Regionen so unfruchtbar werden lassen, wie es Sichem durch Abimelech wurde.