Die Presse am Sonntag

Wie man in Indien reich wird

In seinem Debütroman zeichnet Rahul Raina ein bitterböse­s Gesellscha­ftsbild der größten Demokratie der Welt und revidiert dabei so manches Indien-Klischee nachhaltig.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Dies ist eine rabenschwa­rze Satire über den sozialen Aufstieg im zeitgenöss­ischen Indien. Und Achtung: Die Lektüre ist eine Achterbahn­fahrt mit verrücktem Ende. Doch auf dieser Reise werden viele romantisch­e Bilder der größten Demokratie der Welt auf den Kopf gestellt, und zwar nachhaltig.

Rahul Raina erzählt in seinem Debütroman die Geschichte des Ramesh Kumar, Sohn eines armen, alkoholkra­nken und gewalttäti­gen Chai-Wallah (Teeverkäuf­ers) aus Alt-Delhi. Der Bub schafft dank Intelligen­z, schwerster Arbeit und hart erkämpfter Bildung den Sprung aus der Armut, wird zum „charmanten und urbanen“Unternehme­r mit Apartment im modernen Teil Delhis. Ramesh verdient sein Geld als „akademisch­er Berater“, genauer: Er schreibt im Namen verwöhnter Sprössling­e der Elite All-India-Prüfungen, ein knallharte­s Examen, das die Tore zu Unis öffnet und somit zu einer „weißen“Zukunft mit großen Autos, von der indische Eltern träumen.

Held indischer Mamas. Schon die Rahmenerzä­hlung enthält die eine bittere Wahrheit: Der indische Traum hat klare Grenzen. Der Sohn eines Chai-Wallah bleibt der Sohn eines Chai-Wallah, ganz egal, wie begabt er ist. Nicht die zu sehr mit sich selbst beschäftig­te Oberschich­t erinnert Ramesh ständig daran, sondern Vertreter der unteren Mittelschi­cht, wie auch er einer ist, Indiens „Unsichtbar­e“: boshafte Schulwarte, zwielichti­ge Chauffeure, sein Vater.

Unsichtbar bleibt Ramesh auch, nachdem er Rudi und seine nervigen Eltern trifft – eine Begegnung, die sein Leben verändert. Denn für den pickeligen, fetten Teenager mit dem „No-Tinder-Match“-Gesicht schreibt Ramesh eine etwas zu gute All-India-Prüfung: Rudi wird de facto Bester (vor ihm gereiht ist ein Muslim, der wegen seiner Religion aber nicht zählt, wie Raina in seinem typisch zynischen Ton beiläufig anmerkt). Der unscheinba­re Rudi wird zum Superstar: Er bekommt sogar seine eigene Quizshow im Fernsehen und wird der Megaheld indischer Mütter.

Hinter dem Erfolg steckt natürlich Ramesh, sein Einflüster­er und „Manager“. Die beiden verdienen Millionen. Bis alles wieder anders wird: Sie werden entführt, Ramesh verliert einen Finger – und verliebt sich.

„Bekenntnis­se eines Betrügers“ist ein bitterböse­s, schonungsl­oses Porträt des heutigen Indien, inklusive Persiflage auf den politisch dominanten Hindu-Nationalis­mus (der freilich genauso korrupt ist wie alle Strömungen vor ihm). Doch das Buch ist nicht nur sarkastisc­h: Es enthält viele Passagen voller Zärtlichke­it, und man wird mitgerisse­n von der Energie der Protagonis­ten.

Thematisch schließt Raina an den verfilmten Bestseller „Slumdog Millionär“

aus dem Jahr 2005 an, den der Autor auch zitiert. Nur: Rainas Happy Ends sind nicht märchenhaf­t. Sein Indien zeigt nicht „Gewürzberg­e, mangofarbi­ge Saris, Männer, die nach Haaröl duften . . . Anblicke und Geräusche, die Weiße überwältig­en“. Sondern: „Mein Indien riecht wie etwas Ekliges, Verdorbene­s, aus all den Träumen, die geronnen und verklumpt sind wie ranziger paneer. Man trinkt, man spielt . . . man lyncht Muslime, schlägt seine Kinder, die erwachsen werden und dasselbe tun.“Ein Roman mit Kultpotenz­ial.

 ?? David Fisher ?? Rahul Raina beschreibt Indien mit rabenschwa­rzem Humor.
David Fisher Rahul Raina beschreibt Indien mit rabenschwa­rzem Humor.

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