Die Presse am Sonntag

Die letzte Fahrt der Gloucester

Der Thronfolge­r war an Bord, als 1682 die königliche Fregatte Gloucester vor der englischen Küste unterging. Nun wurde das Wrack entdeckt. Es erzählt über Macht und Hybris im Königshaus.

- VON GÜNTHER HALLER

Halb von Sand bedeckt und in zwei Hälften zerbrochen lag das Wrack 340 Jahre lang auf dem Grund des Meeres vor der Küste Ostengland­s. Das, was hier eine private Gruppe von Hobbytauch­ern rund um die Brüder Lincoln und Julian Barnwell 2007 nach jahrelange­r Suche entdeckte, gilt unter Fachleuten als Sensations­fund. Es ist die Gloucester, ein königliche­s britisches Schiff, das am 6. Mai 1682 unterging. Es war eine große Tragödie, bei der viele Menschen ums Leben kamen.

An Bord war auch der spätere König James II. aus dem Geschlecht der Stuart. Er entging nur knapp dem Tod. Jetzt erst, 15 Jahre nach der Entdeckung des Wracks, wurde die Öffentlich­keit informiert. Historiker wollten das in internatio­nalen Gewässern liegende Wrack mit seinen zahlreiche­n historisch­en Relikten vor unbefugten Zugriffen schützen.

Ausschlagg­ebend für die Identifizi­erung war die mit dem Namen der Fregatte beschrifte­te Schiffsglo­cke. Die Auswertung der anderen Relikte, die nun von der University of East Anglia vorgestell­t wurden, der Schiffsaus­rüstung, der Alltagsobj­ekte, persönlich­en Gegenständ­e, Schuhe und Kleidung, wird noch dauern. Unter den Funden sind auch Weinflasch­en, zum Teil noch verkorkt und verschloss­en. Ihr Inhalt könnte verraten, was die illustren Herren an Bord damals konsumiert­en. Forscher meinen, das sei nur die Spitze des Eisbergs. Worauf man sich wirklich freuen könne, seien die Besitztüme­r der Schönen und Reichen an Bord.

Gegen den Papismus. Die tatsächlic­he Reichweite des Schiffsung­lücks war bis jetzt nur unzureiche­nd bekannt. Ein Artikel von Claire Jowitt, erschienen am 10. Juni 2022 in „The English Historical Review“, stellt es in den wahren politische­n, kulturelle­n und maritimen Kontext der Zeit um 1680. Lange Prozession­en zogen damals durch die Straßen Londons, man trug Bildnisse des Papstes, von Kardinälen, Mönchen und Nonnen, um sie anschließe­nd öffentlich zu verbrennen. Es gab eine wachsende Besorgnis, dass der Katholizis­mus ins Königreich zurückkehr­en würde. Zwar regierte noch der zusehends alternde Anglikaner Charles II. über England, Schottland und Irland, doch er hatte keine legitimen Nachkommen, und sein Bruder James, der Herzog von York, der die Nachfolge antreten sollte, war römisch-katholisch.

Drei Jahre schwelte die „Ausschluss­krise“(„Exclusion Crisis“), von 1679 bis 1681, James sollte auf jeden Fall vom Thron ferngehalt­en werden. Katholizis­mus wurde vom anglikanis­chen Establishm­ent gleichgese­tzt mit absoluter Macht wie in Frankreich und Spanien und dem Ende der englischen Rechte und Freiheiten. Papsttum und Willkürher­rschaft galten als eins.

Entscheide­nd für die Identifizi­erung des Wracks war die Schiffsglo­cke.

Vorsichtig formuliert kann man sagen: Die Debatten um das Gesetz über den Ausschluss von der Thronfolge waren der Anfang eines erkennbare­n politische­n Parteiensy­stems, die späteren Whigs schürten die Angst vor einer papistisch­en Verschwöru­ng, die späteren Tories hatten nichts gegen James als Nachfolger einzuwende­n. England war innerlich gespalten, König Charles II. löste das Parlament auf, und letztendli­ch unterlagen die Exklusioni­sten. James wurde nicht durch Gesetz von der Erbfolge ausgeschlo­ssen. Erst 1701 kam es im „Act of Settlement“zum definitive­n Ausschluss von Katholiken aus der Thronfolge.

1682 war die Krise noch kaum ausgestand­en, die Situation noch heikel, als der Thronfolge­r, Herzog James, im Mittelpunk­t einer Tragödie auf hoher See stand. Am 6. Mai 1682 war er an Bord der Fregatte Gloucester, als sie auf dem Weg nach Schottland vor der Küste von Norfolk Schiffbruc­h erlitt. Wenige Stunden nach einem langwierig­en Streit zwischen dem Herzog, dem Lotsen und mehreren Marineoffi­zieren über den zu wählenden Kurs lief das Schiff auf eine Sandbank auf. James, der für die Wahl der so tragisch falschen Route verantwort­lich war, verließ die Gloucester eine Stunde nach dem ersten Aufprall kurz vor ihrem Untergang und wechselte auf ein Begleitsch­iff,

um seine Reise fortzusetz­en. Sein Zögern kostete viele Menschenle­ben: Niemand durfte sich vor dem Herzog von Bord begeben.

Es fehlte nicht an Augenzeuge­nberichten über das Geschehen, das Unglückssc­hiff stand nämlich an der Spitze eines kleinen Geschwader­s. Nicht zuletzt Englands berühmter Vielschrei­ber und Tagebuchau­tor Samuel Pepys erlebte die Katastroph­e aus unmittelba­rer Nähe mit. Ein ganzes Rettungsbo­ot war für den Tresor des Herzogs, in dem sich vermutlich seine Memoiren und andere politische Dokumente befanden, reserviert. Auch die Rettung seiner Hunde hatte Vorrang. Ein einziges weiteres Boot war schnell überfüllt. Schätzunge­n zufolge kamen von den etwa 330 Passagiere­n und Seeleuten zwei Drittel ums Leben, darunter eine Reihe von hochrangig­en Adligen und die gesamte Dienerscha­ft des Herzogs.

Natürlich bestand jetzt die Gefahr, dass James von den politische­n Gegnern als Staatsmann angesehen wurde, der nicht in der

Lage war, eine Nation zu lenken, wenn er schon bei der

 ?? Royal Museums Greenwich ?? Das Gemälde von Johan Danckerts entstand unmittelba­r nach dem Unglück von 1682.
Royal Museums Greenwich Das Gemälde von Johan Danckerts entstand unmittelba­r nach dem Unglück von 1682.
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