Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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1947

Kurt Seinitz wird in Wien geboren. Nach der Matura studiert er Publizisti­k. Sein Dissertati­onsthema (Streik beim „Express“) steht schon, doch er entscheide­t sich für den Journalism­us. Nach dem Ende des „Express“heuert Seinitz bei der „Krone“an und wird dort 1972 Ressortche­f für Außenpolit­ik. Im selben Jahr reist er nach China. 1973 berichtet er aus dem Jom-Kippur-Krieg.

1975

Seinitz ist dabei, als der letzte US-Soldat 1975 Saigon verlässt. Seit mehr als 50 Jahren berichtet er über welthistor­ische Ereignisse; bis heute ist er Kolumnist der „Krone“.

BUCH

Jüngst veröffentl­ichte Kurt Seinitz sein Buch „Was für ein Jahrhunder­t“(208 S., Verlag Edition a, 20 €).

In einer französisc­hen Doku über die „Krone“haben Sie den legendären Satz geprägt, man müsse Politikern hin und wieder einen Ordnungsru­f erteilen. Haben Sie es genossen, im Vorhof der Macht zu sein?

Nein. Aber manchmal muss man Politiker zur Ordnung rufen. Journalist­en machen das. Bei mir wuchs eher die Skepsis gegenüber Politikern.

Hätte Sie es gereizt, auch einmal in die Politik einzusteig­en?

Gereizt schon, aber ich halte mich für völlig ungeeignet. Denn ich kann nicht zu 100 Prozent eine Sache vertreten, an die ich nicht glaube.

Hand aufs Herz: Ist es Ihnen immer gelungen, die nötige Distanz zu halten?

Ja. Ich trete auch der Ansicht entgegen, dass man sich nicht einbetten lassen soll. Man muss nur genug Rückgrat und analytisch­e Fähigkeite­n haben, um daraus einen eigenen Standpunkt zu gewinnen. Embedded kann man wirklich sehen, was los ist.

Aber indem man Journalist­en nur bestimmte Ausschnitt­e zeigt, formt man ihr Bild.

Ja, aber ich habe mich schon von vielen Politikern und Militärs abgeseilt. Ein Beispiel: Nach dem Ausbruch des Oktoberkri­egs 1973 fehlte mir die Schwarmint­elligenz, um mich den Schwärmen anzuschlie­ßen, die nach Israel flogen. Ich machte mich auf den Weg nach Ägypten, über Bengasi im Taxi mit dem deutschen Journalist­en Kai Hermann, der später „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“schrieb. In Ägypten fuhr ich embedded in der ägyptische­n Armee über den Suez-Kanal. Das hinderte mich nicht daran zu schreiben, dass die Ägypter einen Blödsinn machen. Später lud mich Saddam Hussein über die irakische Botschaft zum Golfkrieg ein. Ich fuhr nach Basra. Zurück in Bagdad schrieb ich einen Artikel mit dem unzweideut­igen Titel „Rommel würde sich im Grab umdrehen“. Das las leider die irakische Botschaft in Wien, worauf einen Tag später im Bagdader Regierungs­hotel al-Rashid zwei Herren auftauchte­n: „Exzellenz freut sich, dass Sie sein Gast waren. Sie haben fünf Minuten Zeit. Unten wartet das Auto nach Amman.“Es hätte schlimmer ausgehen können. Aber es zeigt: Ich lasse mich einbetten – und schere mich um nichts.

Haben Sie Saddam Hussein auch getroffen?

Ja, ich war ja 1990 mit Präsident Waldheim bei ihm in Bagdad, um die österreich­ischen Geiseln freizubeko­mmen.

Was hatten Sie für einen Eindruck von ihm?

Er war kindlich. Dieses Monster fuhr mit Waldheim, mir und anderen österreich­ischen Journalist­en auf dem offenen Jeep stehend durch Bagdad und freute sich unheimlich. Er sprach wie ein Kind. Die Banalität des Bösen, wie Hannah Arendt beim EichmannPr­ozess schrieb. Es ist so!

Was war Ihr größter Scoop als Journalist? Als Sie 1986 den gesuchten NS-Kriegsverb­recher Alois Brunner, die rechte Hand von Adolf Eichmann bei der Vernichtun­g der Juden, in Damaskus aufstöbert­en?

Das war wirklich ein Scoop, aber ich schäme mich dafür. Ich war so erschütter­t nachher. Er war widerwärti­g. Zum Abschied sagte mir Alois Brunner mit einer Stimme wie eine Schlange: „Junger Freund, lassen Sie mir das schöne Wien grüßen, und seien Sie froh, dass ich es für Sie judenrein gemacht habe.“

Wie haben Sie ihn gefunden?

Das erzähle ich nicht. Da sind einige Leute involviert, die mir geholfen haben. Ein Journalist muss sich auch verstellen können. Ich bin in die Kreise hinein. Alois Brunner stand mit ihnen täglich in Verbindung. Sie wissen, warum ich Brunner aufgestöbe­rt habe? Ich war ein Waldheim-Verteidige­r. Es gab Gründe, Waldheim nicht zu mögen. Und er hat sicherlich die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Aber die Angriffe auf ih´n ärgerten mich. Er war kein Kriegsverb­recher. Alois Brunner ließ Tausende Juden aus Saloniki deportiere­n. Ich wollte von ihm wissen, was Waldheim dort tat. Brunner erklärte mir, dass der Generalsta­b, dem Waldheim diente, außerhalb von Saloniki stationier­t war.

Vielen gilt heute Russlands Präsident, Wladimir Putin, als Verkörperu­ng des Bösen. Sie haben ihn mehrmals interviewt.

Ich bin noch nicht schlüssig, ob er von Anfang an so war und sich nur tarnte. Er vollzog jedenfalls eine totale Wandlung. Beim ersten Treffen bald nach der Übernahme seiner Präsidents­chaft agierte er wie ein Kumpel und las mit mir die „Kronen Zeitung“. Beim zweiten Mal saß er im Alexander-Saal schon da wie ein Zar auf seinem Thron. Beim dritten Mal war ich als Gast der Siegesfeie­rn zum 9. Mai auf der Tribüne auf dem Roten Platz, er kam vorbei wie Gott persönlich, wechselte mit uns ein paar Worte und ließ sich bewundern.

Glauben Sie, dass Putin Österreich systematis­ch eingeseift hat?

Nein, die Österreich­er haben selbst zur Seife gegriffen. Sie lieben es, wenn große Herrscher leutselig sind gegenüber dem Alpenvolk.

Sie sprachen mit Gaddafi, mit Zhou Enlai, mit Jiang Zemin, mit Orb´an. Wen hätten Sie noch unbedingt gern interviewt?

Ich war nie ein Interviewj­äger. Ich werde sehr nervös bei Ausflüchte­n oder Lügen. Ich mache deshalb Interviews gar nicht so gern. Es gehört halt dazu. Es ist Pflicht, nicht Kür.

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