Die Genese der türkis-blauen Sideletter
Neue Chats zeigen, dass Staatsunternehmen und Topjobs im Jahr 2017 zwischen ÖVP und FPÖ wie am Bazar gedealt wurden. Wer die Entscheidungen traf – und welche Rolle der damalige Kanzler Sebastian Kurz dabei einnahm.
Ob die Ermittlungsergebnisse der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zur türkis-blauen Ära am Ende Verurteilungen nach sich ziehen, bleibt abzuwarten. Aber schon jetzt leisten sie einen historisch wertvollen Transparenzbeitrag zur sonst undurchsichtigen Spitzenpolitik. Der „Presse“vorliegende Chatauswertungen bringen Licht in das Zustandekommen der geheimen Sideletters. Sie zeigen, wie sich die Parteien die Republik aufteilten. Wie Posten besetzt wurden, wer warum in die Ziehung kam – oder auch nicht. Und welche Rolle ExKanzler Sebastian Kurz dabei spielte.
Ex-Finanzgeneralsekretär Thomas Schmid sitzt im Herbst 2017 auf der Seite der ÖVP im obersten Koalitionsverhandlerteam. Ihm gegenüber: Manager Arnold Schiefer für die FPÖ. Eine Hauptaufgabe: die Organisation und budgetäre Aufteilung der Staatsbeteiligungen auszudealen. Beide Parteien wollen möglichst viel in ihren Einflussbereich bringen. Den bekommt man etwa, indem Staatsunternehmen den von der eigenen Partei geführten Ressorts zugeordnet werden. Und, indem man möglichst viele Führungspositionen besetzt. Daneben sollte noch der Kunstgriff gelingen, das Bild einer möglichst objektiven Personalentscheidung nach außen zu vermitteln.
Die Öbag. Dass die Staatsholding für Kurz’ türkises Projekt ganz oben auf der To-do-Liste stand, zeigt sich schon an Chats vom Juni 2017. Da trifft sich Schmid mit Sektionschef Eduard Müller in Washington, um einen offiziellen „Auftrag von Sebastian“zu „Digitalisierung und Beteiligungen“zu erfüllen. Warum eigentlich „Sebastian“? Kurz ist nicht der dafür zuständige Finanzminister. Er ist auch noch nicht ÖVP-Chef – aber er würde es bald sein. Ex-ÖVPChef Reinhold Mitterlehner war im Mai 2017 zurückgetreten. Bei diesem Treffen in Washington werden die ersten Ideen für die neue Staatsholding entwickelt und Organigramme gezeichnet, die die Staatsanwaltschaft nun auf Handys fand. Die neue Holding soll aufgewertet werden. Der Verbund, das Bundesrechenzentrum sollen dazukommen. Casinos und Banken sollen ausgegliedert werden.
Im Herbst 2017 wird gewählt, und Schmid verhandelt das Thema weiter mit der FPÖ – und schafft es für die ÖVP, viel herauszuholen. In dem berüchtigten Sideletter wird etwa festgehalten, dass die ÖVP zur Gänze das Nominierungskomitee besetzen darf. Und das bestimmt die Aufsichtsräte. Als die FPÖ realisiert, was sie da bei den Verhandlungen übersehen hat, flippt Strache aus. Er spricht von einem „gigantischen Fehler“, fühlt sich von Kurz über den Tisch gezogen – und will die ÖVP zur Korrektur zwingen.
Im Groben wird auch schon sehr früh ausgedealt, welche Partei bei welchen Beteiligungen wie viele Aufsichtsräte bekommen soll – noch lange, bevor die gesetzlichen Weichen für die Transformation der Öbib zur Öbag gestellt werden. Und auch, bevor man jemals über die inhaltliche Sinnhaftigkeit dieser Neuorganisation redet – davon findet sich in den Chats gar nichts.
Als die neue Holding mit Ende 2018 in die Zielgerade kommt, entscheiden die Parteichefs Kurz und Strache, welche Beteiligungen in welches Ressort kommen. Es gibt viele Begehrlichkeiten, an einen Aufsichtsratsposten zu kommen. Viele Personen wenden sich mit Interessenten und Interesse an Schmid. Allen in den politischen Betrieb Eingeweihten ist offen- bar klar: So etwas muss man mit Schmid ausreden. Einmal meldet sich etwa der Generalsekretär des Bundeskanzleramts, Dieter Kandlhofer, mit einem Vorschlag bei ihm. Schmid: „AR (Anm. Aufsichtsrat) macht Sebastian selber und hat 3000 Zusagen gemacht für 9 AR Jobs :) Ich setze ihn mal auf die BMF Liste.“Kandlhofer darauf: „Ja, Basti sagt gerne Dinge zu . . .“
Kurz bestreitet übrigens, sich selbst für die Besetzung von Aufsichtsratsposten engagiert zu haben. Die WKStA ermittelt wegen Falschaussage zu seiner Involvierung bei Postenbesetzungen in der Öbag gegen ihn. Dies seien nur Entscheidungen des Finanzministers gewesen, betont Kurz stets. Das war damals Hartwig Löger. Außerdem habe er selbst niemals Personen angesprochen. Das würden auch die Aufsichtsräte in ihren Befragungen bestätigen. Aus den der „Presse“vorliegenden Chats ergibt sich aber auch: Schmid hat die Gespräche mit potenziellen Kandidaten geführt. Er hat jene Personen, die er als fähig erachtete, mit vielen besprochen – darunter auch Sebastian Kurz. Der wiederum hat mit dem Finanzminister gesprochen. Und Löger traf dann seine Entscheidungen. Die hätten nicht immer seinem Willen entsprochen, argumentiert Kurz. Er habe sich etwa für Sigi Wolf als ÖbagAufsichtsratsvorsitzenden eingesetzt, er sei es bekanntlich nicht geworden. Stimmt. Ein Grund dafür war, weil Wolf Compliance-Probleme hatte. Das zeigen die Chats ebenso, wie dass man zuerst einen Kurzzeit-Aufsichtsratsvorsitzenden gesucht hatte, der nach einem Jahr getauscht werden sollte. Bis Wolf alles geregelt hatte?
Der Finanzminister. Hartwig Löger war jedenfalls unbestritten Kurz’ Personalentscheidung. Bei der Ministersuche war wieder Schmid behilflich. Er telefonierte mit mehreren Frauen, die für das Amt des Finanzministers in Frage kamen. Darunter war auch die Steuerprüferin Christine Catasta, die bis 2020 bei PricewaterhouseCoopers und dort ab 2018 bis zu ihrer Pensionierung Chefin war. Schmid berichtet Kurz über sein Gespräch: „Ich habe klargestellt, dass ein Finanzminister nur einen Herrn hat und das ist der Kanzler. Personal und Budget sind politische Themen, die Kanzleramt und ich abstimmen. Ihre Antwort: kein Problem. Ich habe gelernt zu dienen.“Weiters: „Catasta war gut. Ich fand sie vor allem sehr sympathisch und denke, sie ist steuerbar.“Kurz will wissen, aus welchem Bundesland sie ist. „Wien.“Am Ende wurde Löger Minister – wie aus Schmids Chats hervorgeht, angeblich, weil der vorher bei Uniqa war und das Kurz lieber sei, weil bekannter.
Catasta blieb aber in der FrauenPersonalreserve der ÖVP eine heiße Kandidatin. Sie war wieder im Gespräch, als die Besetzung des Nationalbank-Generalrat besprochen wurde. Kurz will wissen, was mit der „PwC Frau“sei. Schmid: „Catasta ist total loyal und dankbar.“Weiteres wird über ihre Qualifikationen nicht diskutiert. Es wurde wieder nichts. Nächste Idee für Catasta im Frühjahr 2019: Aufsichtsratsvorsitzende der neuen Öbag. Das ging wegen eines Gutachtens zur „Anscheinsbefangenheit“nicht. Sie wurde schließlich Aufsichtsrätin der Telekom AG. Und später, als Schmid die Öbag verließ, wurde sie zum Interims-Vorstand auserkoren.
Die Finanzaufsicht. Beiden Parteien war offenbar auch eine Neuaufstellung der Bankenaufsicht ein großes Anliegen. Die Rolle der Nationalbank wäre dadurch entgegen europäischen Usancen massiv geschwächt worden. Auch hier gab es Auseinandersetzungen zwischen ÖVP und FPÖ. Die Blauen fordern einen eigenen Vorstand – die ÖVP wollte ihnen eine zeichnungspflichtige Generalsekretärin zugestehen. Nachdem der „Rote Vorstand raus“sei, hätte die FPÖ den zweiten Vorstandsposten bekommen sollen. Strache beschwert sich im April 2019, dass sich die ÖVP nicht daran halten wollte. „So habe ich es mit Kurz besprochen“, schreibt Strache seinem Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs. Die Reform wurde nie umgesetzt – Türkis-Blau kam nicht dazu, das Regierungsprogramm umzusetzen. Die Koalition zerbrach im Juni 2019 nach knapp eineinhalb Jahren.
»Habe klargestellt, dass ein Finanzminister einen Herrn hat. Das ist der Kanzler.«
Sebastian Kurz
B F U
Michaela Steinacker