Die Presse am Sonntag

»Der Westen will den Krieg verlängern«

Der Gouverneur von Luhansk, Serhii Haidai, über die ukrainisch­e Militärtak­tik, Zeit zu gewinnen, bis Waffen ankommen.

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Man kann Sie nur schwer erreichen. Sie sind ständig unterwegs. Wo waren Sie heute?

Serhii Haidai: Ich war in Bachmut, habe mir eine Lagerhalle mit Waffen angesehen. Eine Rakete ist in der Nähe eingeschla­gen. Es ist zu gefährlich, das Lagerhaus weiter zu nutzen. Zum Glück kam bei dem Angriff niemand ums Leben. Dann fuhr ich nach Dnipro. Ich bin jeden Tag von früh bis spät unterwegs.

Wir waren heute auch in Bachmut. Russische Infanterie rückt von mehreren Seiten auf die Stadt vor. Könnte sie nicht bald fallen?

Die Russen greifen seit einigen Tagen Bachmut ununterbro­chen an und versuchen, es zu erobern. Aber unsere Armee schlägt sie immer wieder zurück. Deshalb beschießen die Russen die Stadt Tag und Nacht mit Raketen.

Bachmut ist strategisc­h wichtig, der Schlüssel zur Eroberung des Donbass.

Zuerst muss Russland Lyssytscha­nks einnehmen. Das ist nicht einfach.

Es gibt bereits Berichte, dass Lyssytscha­nsk eingekreis­t ist. Wie viel davon ist wahr?

Ach, das mag zu einem gewissen Grad wahr sein. Aber unsere Truppen können immer noch rein und raus. Die Russen können Lyssytscha­nsk nicht so einfach einnehmen. Das dauert.

Früher oder später wird die russische Armee die Stadt einnehmen, wie zuvor auch schon Sewerodone­zk. Ist der Kampf um Lyssytscha­nsk nur dazu da, Zeit zu gewinnen?

Ganz richtig. Aber die Entscheidu­ng über Lyssytscha­nsk liegt allein in der Hand der ukrainisch­en Armee. Es spielt keine Rolle, wie weit die Russen an die Stadt herangekom­men sind. Wir dürfen nicht vergessen, wie lang die Eroberung Sewerodone­zks gedauert hat, nämlich vier Monate.

Die Verteidigu­ng Sewerodone­zks diente auch nur dazu, Zeit zu gewinnen?

Ja, das stimmt. In Lyssytscha­nsk benutzen wir die gleiche Taktik. Wir brauchen

Serhii Haidai

ist seit 2019 Gouverneur des Oblast Luhansk. Haidai studierte Wirtschaft und war zuvor in mehreren Kiewer Unternehme­n tätig.

Luhansk

im Osten der Ukraine ist derzeit heftig umkämpft. Russland versucht, den gesamten Verwaltung­sbezirk zu erobern.

Zeit, um Waffen aus dem Westen zu erhalten. Damit werden wir den Krieg zu unseren Gunsten entscheide­n.

Man bekommt das in der Ukraine oft zu hören: Bald kommt eine Gegenoffen­sive. Werden die Waffen wirklich rechtzeiti­g geliefert und vor allem in der Quantität, um gegen die russischen Truppen bestehen zu können?

Wir brauchen in der Tat sehr viele Waffen. Unsere Burschen verstehen nach einer Woche, wie man sie bedient. Und in zwei Wochen könnten wir den Krieg entscheide­n.

Aber werden die Waffen tatsächlic­h geliefert?

Ja, und teilweise sind sie schon da.

Wann können wir mit der Gegenoffen­sive der ukrainisch­en Armee rechnen?

Ich denke, dass wir zu Beginn des Herbsts die Lage auf dem Schlachtfe­ld verändern werden.

Warum dauern die Waffenlief­erungen so lang? Jeden Tag sterben Menschen in der Ukraine.

Ich will eigentlich nicht daran glauben, aber manchmal hat man den Eindruck, der Westen will den Krieg verlängern. Es geht darum, dass Russland immer mehr geschwächt wird, bis es möglicherw­eise zusammenbr­icht.

Glauben Sie tatsächlic­h, dass der Westen kein Interesse daran hat, diesen Krieg möglichst schnell zu beenden?

Man muss sich nur erinnern. Der Westen hat im Jahr 2014 bei der russischen Annexion der Krim und der Besetzung des Donbass zugesehen. Und was war mit dem Krieg in Georgien 2008? Jetzt gibt es eine Gelegenhei­t, Putin zu bezwingen, und die müssen wir nützen – wie einst die Barbaren das römische Imperium zu Fall gebracht haben.

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