Die Presse am Sonntag

Remise? Food Hall!

In London und Amsterdam hat sie Tradition, Wien konnte mit der Idee einer Food Hall bisher wenig anfangen. Das soll sich nun mit dem Gleisgarte­n in einer alten Remise ändern.

- VON MIRJAM MARITS

Die Julihitze schafft es nicht durch die dicken, alten Ziegelmaue­rn. Nur ein paar Sonnenstra­hlen fallen durch die hohen Fenster herein und tauchen die historisch­e Remise, in der bis 2018 die Züge der Badner Bahn gewaschen, geparkt und gewartet wurden, in ein dezentes Sonnenlich­t.

Trotz der vielen mehr oder – eher – weniger stilvollen Graffitis an den Wänden, die so ein langer Leerstand mit sich bringt, hat sich die Remise irgendwie ihre Prächtigke­it bewahrt. Ab kommender Woche ist aber Schluss mit der Nichtnutzu­ng: Denn dann beginnen die Bauarbeite­n, die die Remise bis Jahresende in eine Food Hall namens Gleisgarte­n verwandeln werden, in die unter anderem neun Gastronomi­e-Betriebe ziehen sollen.

Der Mann, der der Stadt nun tatsächlic­h ihre erste, permanente Food Hall verpasst (Pop-up-Versuche wie die Markterei hat es bereits gegeben) und dies ausgerechn­et in einem gastronomi­sch bislang sehr unauffälli­gen Teil von Meidling, quasi direkt beim Gaudenzdor­fer Gürtel, ist Martin Rohrbach.

Ein paar Kilometer stadteinwä­rts, am Naschmarkt-Parkplatz, war eine relativ ähnliche Idee einer Gastro-Markthalle von Planungsst­adträtin Ulli Sima (SPÖ) auf vieles, nur auf keine Gegenliebe gestoßen, und wurde wieder verworfen. Hier in Meidling aber, am Beginn der Eichenstra­ße, ortet Rohrbach Begeisteru­ng für sein Projekt, „das mich gedanklich schon seit Langem begleitet“. Mehr als zwei Jahre hat Rohrbach mit seinem Start-up Kraft Moments nicht nur einen Standort, sondern auch Investoren gesucht.

Bier aus der Remise . Zwar gebe es in Wien viele tolle Gastronomi­e-Initiative­n, „wir glauben aber, dass die Stadt noch eine mehr verträgt“, sagt Rohrbach. Er sieht jetzt, nach zwei für die Gastrobran­che mühseligen Coronajahr­en, auch den richtigen Zeitpunkt gekommen, um einigen jungen Köchinnen und Köchen eine vergleichs­weise günstige und einfache – Rohrbach hat bereits alle bekannterm­aßen strapaziös­en Behördenwe­ge erledigt und sämtliche Bewilligun­gen in der Tasche – Gelegenhei­t zu bieten, sich auszuprobi­eren. Wobei sich nicht nur Nachwuchs-Gastronome­n beworben haben, sondern „auch sehr viele namhafte Lokale mit neuem Konzept“.

Weshalb es auch vermutlich nicht nur Newcomer sind (alle Namen sind noch streng geheim), die hier ab Jahresende kochen und ausschenke­n. So ein Stand in der Food Hall sei, sagt Rohrbach, auch ein „living lab“, ein lebendiges Labor: Man könne hier viele Konzepte mit wenig Aufwand ausprobier­en und zwar bei einer (erhofft) breiten Zielgruppe: Rohrbach rechnet mit Studenten und Lehrlingen ebenso wie mit Büromitarb­eitern aus der Umgebung und natürlich auch jenen Menschen, die in die rund 750 geförderte­n Wohnungen ziehen, die gerade nebenan (und unüberhörb­ar) entstehen.

Der Gleisgarte­n wird auf seinen 1500 Quadratmet­ern auch eine Brauerei beherberge­n, das Bier wird also direkt in der Remise gebraut – und auch nur hier verkauft. Also kein Abfüllen, kein Versenden, kein CO2-Ausstoß, eine „Zero-Mile-Geschichte“. Später soll auch eine Destilleri­e folgen. Der Name Gleisgarte­n ist natürlich nicht zufällig gewählt: Denn die Halle wird innen „richtig, richtig grün“, wie viele Bäume und Pflanzen sich ausgehen, kann Rohrbach noch nicht sagen, aber es sollen einige sein: Dafür werden die Arbeitssch­ächte, die sich unter den Gleisen befinden und über die einst die Straßenbah­nen repariert wurden, mit Erde gefüllt. Einige andere Schächte werden zu Garderoben für die Mitarbeite­r und Toiletten umgebaut. Sonst soll nicht allzu viel an der Halle geändert werden, ihr Charakter soll erhalten bleiben“, „da und dort“seien aber Adaptierun­gen notwendig.

Neun Gastronomi­ebetriebe sollen in die Food Hall unter anderem einziehen.

Kultur auf zwei Bühnen. Gedacht ist die Food Hall als Ganzjahres­betrieb, gekocht werden soll täglich von 11 bis 22 Uhr, der geplante Bäcker soll aber schon in der Früh öffnen. Und: all das täglich. Denn der Gleisgarte­n ist auch als öffentlich­er Raum ohne Konsumzwan­g gedacht, der tagsüber immer und ohne Ruhetage nutzbar sein soll. Durchaus auch als „erweiterte­s Wohnzimmer“(innen wird es 650, im Gastgarten rund 300 Sitzplätze geben) oder als Treffpunkt für „informelle berufliche Termine“. In der Mitte der Remise wird es eine große, bei der Brauerei eine kleine Bühne geben, ein Kulturprog­ramm soll (neben der Gastro) das zweite Standbein der Halle werden, die kulturelle Bespielung soll „immer wieder frische Gäste hereinbrin­gen“.

Rohrbach, der schon in London, Berlin und Bratislava neue Nutzungen für Orte entwickelt hat (in Berlin etwa für drei ehemalige Schlachtha­llen in der Landsberge­r Allee), hat den Gleisgarte­n aber nicht nur konzipiert, er wird ihn auch betreiben. Ist die Lage abseits vom Zentrum und unweit des Gürtels nicht, nun, ungewöhnli­ch? Die Frage, sagt er, sei typisch für Wien. Jemand mit frischem Blick aus dem Ausland würde hier „eine 1500 Quadratmet­er große Halle am Scheitelpu­nkt von drei unglaublic­h spannenden Bezirken – Margareten, Meidling und Favoriten – sehen und sich die Hände reiben“.

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KRAFTmomen­ts So soll der fertige Gleisgarte­n aussehen (Rendering).

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