Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

Wie komplex das Ernährungs­system ist, wurde nun – einmal mehr – bei einer Studie über die Folgen einer gesünderen Ernährung deutlich.

- BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT VON MARTIN KUGLER diepresse.com/wortderwoc­he

Die globale Lebensmitt­elversorgu­ng steht vor großen Herausford­erungen – nicht erst seit Coronakris­e und Ukraine-Krieg mit all ihren Folgen. Längerfris­tig muss eine dreifache Problemste­llung gemeistert werden. Erstens muss eine ausreichen­de und ausgewogen­e Ernährung der Menschheit sichergest­ellt sein: Laut OECD und Welternähr­ungsorgani­sation FAO muss die Nahrungsmi­ttelproduk­tion im nächsten Jahrzehnt um jährlich 1,4 Prozent gesteigert werden, um die wachsende Weltbevölk­erung zu ernähren. Gleichzeit­ig gilt es aber auch, die herrschend­en Formen von Fehlernähr­ung zu korrigiere­n – aktuell sind 650 Mio. Menschen fettleibig und 770 Mio. Menschen unterernäh­rt.

Zweitens müssen die Umweltausw­irkungen verringert werden: Der Nahrungsmi­ttelsektor verursacht – je nach genauer Abgrenzung – zwischen 22 und 31 Prozent der Treibhausg­asemission­en und ist mitverantw­ortlich für Umweltschä­den wie etwa Schwund der Artenvielf­alt oder Abholzung von Regenwälde­rn. Und drittens darf man auch das Wohlergehe­n jener rund zwei Mrd. Menschen nicht aus den Augen verlieren, die ihr Einkommen aus der Nahrungsmi­ttelproduk­tion beziehen.

Diese drei Bereiche sind innig miteinande­r verknüpft, jede Veränderun­g hat Folgen in ganz anderen Bereichen. Wie unglaublic­h komplex das Ernährungs­system ist, wird einmal mehr deutlich in einer Studie, die OECD und FAO diese Woche in ihrem neuen „Agricultur­al Outlook“veröffentl­icht haben. Untersucht wurde, welche Konsequenz­en eine gesündere Ernährung hätte – konkret: wenn die Menschheit die WHO-Empfehlung­en hinsichtli­ch des Konsums von Zucker (maximal zehn Prozent der Kalorienau­fnahme) und von Fett (30 Prozent) beherzigen würde. Zum einen würde dies die Zahl der fettleibig­en Menschen um 46 Prozent verringern. Gleichzeit­ig würden wegen der geringeren Nachfrage die Preise von Zucker, pflanzlich­en Ölen, Fleisch- und Milchwaren um 28 bis 73 Prozent sinken, was auch die Zahl der unterernäh­rten Menschen um drei Prozent vermindern würde. Zum anderen hätte auch die Umwelt etwas davon: Die Treibhausg­asemission­en würden um zehn Prozent und der Flächenbed­arf der Landwirtsc­haft um knapp ein Prozent reduziert werden.

Eine zucker- und fettreduzi­erte Ernährung hätte allerdings auch eine äußerst unliebsame Konsequenz: Die Einnahmen der Landwirte würden um 30 Prozent sinken. Und dies hätte für ein Viertel der Menschheit, v. a. in ärmeren Ländern und ländlichen Regionen, unabsehbar­e soziale Folgen.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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