Wie daten Millennials?
Von »Match-Stopps« für Tinder, dem Ledigsein mit dreißig und jeder Menge an Ansprüchen. Zwei Beziehungspodcasterinnen beschreiben das Dating-Leben ihrer Generation.
Wäre ich noch mal 20, ich würde mehr chillen“, sagt Leonie-Rachel Soyel und meint damit die Suche nach einer romantischen Beziehung. Sie ist eine Hälfte des Podcasts „Couchgeflüster“. Gemeinsam mit Sinah Edhofer bespricht sie darin wöchentlich Themen rund um Beziehungen, Sexualität und sexuelle Gesundheit. Im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“geben sie Einblicke in das Dating-Verhalten junger Menschen.
Beide sind sie nicht mehr Anfang 20, sondern quasi kürzlich in die Dreißiger gestartet. Ehering tragen sie keinen am Finger, Baby ist auch keines auf dem Weg. Vorgelebt wurde ihnen das von ihrer Elterngeneration anders. „Absurd, wie viele Meilensteine man in eine Dekade quetschen kann“, sagt Edhofer. „Natürlich war das für viele auch ein Sicherheits- und Versorgermodell, da ist es schon gut, wenn eine neue Generation mal kritisch hinterfragt, ob das denn wirklich noch notwendig ist.“Auf Biegen und Brechen verloben ist für junge Menschen heute keine Option, dafür gibt es zu viele Alternativen.
Glück vor Länge. Als bindungsängstlich oder gar beziehungsunfähig würden sie eine gesamte Generation – sich selbst inklusive – aber deshalb nicht abstempeln. „Warum sehen wir Langzeitbeziehungen als das Ziel an, wenn das Ziel doch eine gesunde, glückliche Beziehung sein sollte?“, fragt Soyel. „In Jahren ist das nicht zu messen.“Hätten Frauen früher die Möglichkeit gehabt, sich zu trennen, hätten sie das vermutlich auch getan, so die These. Die finanzielle Abhängigkeit sowie die gesellschaftliche Stellung der Frau damals sprechen dafür. „Außerdem hat man sich früher ja auch beschissen, vielleicht ist es besser, wir toben uns aus bis wir 30 sind“, meint Soyel.
Das Wort „beziehungsunfähig“beschreibe die Generation aber schon deshalb nicht, weil der Wunsch nach Bindung eindeutig noch da sei, so Edhofer. Darauf würden Zusendungen ihrer Hörerinnen und Hörer hindeuten.
Die Wünsche an Beziehungen sind aber wohl andere als früher. Gesund soll sie sein, nicht unbedingt lang. Die eigenen Grenzen müssen gewahrt werden können, die Werte geteilt und Konsens eingeholt werden. Eine Generation mit Ansprüchen. Beziehungen werden hier an anderen Kriterien bemessen. „Wenn diese nicht erfüllt sind, überlegt man sich als junger Mensch heute zweimal, ob man diese Beziehung tatsächlich eingehen oder fortführen will“, sagt Edhofer. Davon, dass schneller Entscheidungen gegen eine Beziehung getroffen werden, ist sie überzeugt. Eine Trennung gilt aber nicht per se als schlecht. „Gute Trennungen“, wie Soyel sie nennt, würden nur die eigenen Grenzen und die des Partners oder der Partnerin aufzeigen. Daran könne man wachsen.
Und in Zeiten, in denen die nächste potenzielle Liebe nur einen Swipe entfernt ist (Stichwort Tinder), trennt man sich vielleicht nicht leichter, aber früher. „Dadurch, dass dauernd jemand anderes um die Ecke wartet, ist die Bereitschaft, sich etwas Neues länger anzusehen, weniger da“, meint Soyel. Sofern der Funke nicht direkt beim ersten Date oder gar beim Schreiben übergesprungen ist. Überhaupt spielt sich ziemlich viel am Smartphone ab. Es gibt Zahlen, die belegen, dass neunzig Prozent der jungen Menschen ihr Handy mit auf die Toilette nehmen. „Man sitzt dann halt auf dem Klo und swiped“, sagt Soyel. Will man so die große Liebe finden?
„Match-Stopp“beim Tindern. Der Umgang müsse sich ändern, da sind sich auch Soyel und Edhofer einig. Beim Tindern hat sich Edhofer sogar einen „Match-Stopp“eingerichtet. „Ich hab mir auferlegt, nur so lang zu swipen, bis ein Match kommt. Dann hab ich
Buch.
Mittlerweile gibt es ein Buch zum Podcast mit dem gleichnamigen Titel. Auch darin werden verschiedene Stationen des Erwachsenwerdens behandelt. Von der ersten großen Liebe bis zur ersten großen Enttäuschung oder der ersten eigenen Wohnung. Kremayr & Scheriau, 208 Seiten, 25 Euro. mir vorgenommen, mindestens dreimal mit der Person hin- und herzu schreiben.“Wer Tinder schon einmal genutzt hat, weiß, geswiped wird normalerweise, bis der Finger krampft, gechattet dafür oft gar nicht. Wie bei anderen Apps stellt sich auch hier schnell eine Art automatisiertes Suchtverhalten ein. „Dem wollte ich entgegenwirken und wieder den Menschen hinter dem Profil sehen“, sagt Edhofer. Nach eigenen Angabe war die Strategie erfolgreich.
Aufklärung auf Instagram. Soziale Medien haben aber natürlich mehr mitgebracht als schnell öde werdendes Geswipe. Aufklärende Instagram-Accounts oder eben Podcasts, wie Soyel und Edhofer ihn hosten, enttabuisieren tagtäglich Themen und klären auf, was Schulen und Eltern oft verabsäumen anzusprechen.
Zu polyamoren Beziehungskonstrukten, Bisexualität und Transidentität wird man hier genauso fündig wie zu Vaginismus und Endometriose und gewollter oder ungewollter Kinderlosigkeit. Auch gibt es ein breiteres Spektrum an Vorbildern. Das Resultat davon ist eine anscheinend offenere und selbstbewusstere junge Generation – vor allem aber eine neugierige.
Wichtiger ist, dass die Beziehung glücklich ist, als dass sie lang hält.
Wenn die Anforderungen nicht erfüllt werden, dann trennt man sich schneller.
Konzepte würden ausprobiert, Vorurteile gebe es wenige. Junge Menschen scheinen aktiver auf der Suche danach zu sein, was ihnen tatsächlich gefällt. Edhofer hat dafür noch eine weitere Erklärung: „Wir haben in der Schule schon gehört, dass wir ewig werden arbeiten müssen, um das Pensionssystem aufrechtzuerhalten, und Jobs gibt es ohnehin nicht genug. Wenn so viel Druck auf einem lastet, dann ist es eben gerade das Liebesleben, in dem man sich gewisse Freiheiten nehmen möchte.“