STECKBRIEF
Im Sisi-Film »Corsage« präsentiert Marie Kreutzer einen kritischen Gegenentwurf zu den Kultstreifen mit Romy Schneider. Ein Gespräch über Recherche, Rollenzwänge und Regelbrüche.
Um Kaiserin Elisabeth herrscht ein Hype: Eine Sisi-Serie lief letzten Dezember im ORF, eine andere soll im September auf Netflix starten. Reiten Sie auf einer Welle?
Marie Kreutzer: Der Film wurde 2016 konzipiert, ich habe erst nach und nach von diesen Projekten erfahren. Mich wundert die Häufung: Es gibt ja kein Jubiläum oder Ähnliches.
Ihr Zugang zum Sisi-Mythos ist eigenwillig.
Die Idee zu „Corsage“kam von meiner Hauptdarstellerin, Vicky Krieps. Mich hat das anfangs nicht so interessiert, in Österreich wächst man ja mit einem klischierten Bild von Elisabeth auf. Trotzdem habe ich zu recherchieren begonnen und mir einen Überblick verschafft. Inspiriert hat mich die Auseinandersetzung mit den letzten 20 Jahren ihres Lebens: Meist stehen bei Sisi ja eher die Anfangszeit oder ihr tragischer Tod im Vordergrund.
Welche Quellen waren am ergiebigsten?
Beschreibungen aus ihrem Umfeld, etwa die Tagebücher ihrer Kinder und Hofdamen. Und ihre eigenen Briefe und Gedichte. Aus meiner Sicht bekommt man so eher ein Gefühl für den Menschen als über Daten und Fakten. Da entstehen sehr unterschiedliche Bilder, die mit den Marischka-Filmen wenig gemein haben: Alles, was ich gelesen habe, hat bei mir den Eindruck einer klugen, aber schüchternen und distanzierten Frau erzeugt, die bei Hof nicht gemocht wurde und konstant um Spielraum gekämpft hat.
Sisi, eine Außenseiterin?
Es gibt natürlich unterschiedliche Biografien. In manchen steht, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter hatte. Fakt ist, dass Franz Joseph sehr jung war, als sie geheiratet haben. Seine Mutter war quasi inoffizielle Kaiserin, und da kam diese 16-Jährige, die sich von Anfang an nicht einfügen wollte in das jahrhundertealte höfische Gefüge. Vielen war sie einfach nicht gut genug. Gleichzeitig gab es eine große Faszination.
Ein sozialer Anker waren Sisis Hofdamen.
Man kann sich das heute kaum vorstellen: Elisabeth war fast nie allein. Selbst wenn sie geschlafen hat, saß jemand vor der Zimmertür. Am Anfang wurde ihr die Entourage noch vorgesetzt. Später hat sie sich sehr bewusst Frauen ausgesucht, die sie mochte. Da gab es schon enge Beziehungen, aber mit großem Machtgefälle: Wenn eine der Hofdamen heiraten wollte, musste sie Sisi um Erlaubnis bitten.
„Corsage“ist in mancher Hinsicht absichtsvoll anachronistisch. Warum?
Ich habe so viel gelesen, dass ich alles „korrekt“hätte machen können, aber das war für mich uninteressant. Oft habe ich Dinge vereinfacht oder bewusst anders erzählt. Trotzdem ist es gut, die Regeln zu kennen, wenn man sie brechen will. Wir hatten zum Beispiel beratende Historikerinnen, die alles über das spanische Hofzeremoniell wussten. Und für die Essensszenen mussten die Darsteller viel lernen: Wie isst man, wann hört man auf, mit wem darf man sprechen, mit wem nicht.
Sisi verzweifelt bei Ihnen am Rollenzwang.
Ich glaube schon, dass sie desillusioniert war. Nach ihrer Hochzeit schrieb sie sinngemäß: Wie ist mir das nur passiert? Mit Franz Joseph hat das nichts zu tun, das war ja keine Partnerschaft wie heute. Sie wohnten in separaten
Marie Kreutzer,
1977 in Graz geboren, ist seit 2000 als Filmemacherin aktiv. 2011 erschien mit „Die Vaterlosen“ihr erster Langspielfilm. Das Drama „Der Boden unter den Füßen“schaffte es 2019 in den BerlinaleWettbewerb, „Corsage“feierte heuer in Cannes Premiere. Auch eine ORF-„Stadtkomödie“und einen „Landkrimi“hat Kreutzer gedreht.
„Corsage“
kommt am Donnerstag, den 7. Juli, in die Kinos. Vicky Krieps spielt darin Kaiserin Elisabeth, Florian Teichtmeister Kaiser Franz Joseph. In weiteren Rollen: u. a. Katharina Lorenz, Manuel Rubey, Alexander Pschill.
Wohnungen und hatten Termine miteinander. Das war nicht unbefangen.
Franz Joseph wirkt bei Ihnen wie ein freundlicher, aber überforderter Pragmatiker.
Mir war wichtig, dass er nicht als böser Ehemann erscheint, sondern als einer, der seiner Frau nicht gewachsen ist. Er war ja physisch kleiner als Elisabeth, was nie so dargestellt wurde – bei der Besetzung war mir dieses Detail sehr wichtig. In seinen Biografien fand ich interessant, dass es ihm so wichtig war, bescheiden zu sein. Sein Bild von sich war, dass er nur für das Volk und den Hof arbeitet und selbst nichts braucht. Florian Teichtmeister gefiel es, der Rolle diese Nuance zu geben.
War Elisabeth wirklich politisch progressiv?
Sie hat jedenfalls scharfsinnig beobachtet und analysiert, manchmal auch ironisiert – wie die Dinge bei Hof laufen und dass das System von seiner Beständigkeit überzeugt ist.
Beim Imagedruck, dem sie in „Corsage“ausgesetzt ist, musste ich zum Teil an „Sissi“-Darstellerin Romy Schneider denken.
Schneider hatte ich zwar nicht im Sinn, aber generell ging es mir schon darum, zu zeigen, dass Frauen in ihrem Leben auf sehr vielen Ebenen dazu gedrängt werden, einem Bild gerecht zu werden – und dass das noch stärker gilt, wenn sie in der Öffentlichkeit stehen. Beim Depp-Heard-Prozess hat sich zuletzt wieder deutlich gezeigt, dass eine Frau unter dem Brennglas der Medien beund verurteilt wird, egal was sie sagt.
Hat sich seit Sisis Ära etwa nichts verändert?
Die Emanzipation hat eine Kehrseite: Frauen dürfen heute mehr, müssen aber auch mehr. Und das, was wir vorher schon mussten, müssen wir immer noch. Das neue und das traditionelle Bild soll gleichzeitig erfüllt werden: Erfolg im Beruf, gute Mutter, für immer jung. Dabei wird die meiste unbezahlte Arbeit nach wie vor von Frauen verrichtet. Von wirklicher Gleichstellung sind wir noch sehr weit entfernt.