Die Presse am Sonntag

Einst war doch jedes Theater ein Sommerthea­ter

Von Moli`eres Liebe zum Straßenthe­ater bis zur Freiluftbü­hne eines jüdischen Antisemite­n.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ein prächtiges Haus mit breiten Treppen, mit Galerien und Logen – die Vorstellun­g, dass dies der richtige Rahmen für gute Theaterauf­führungen sei, sitzt tief in Europa. Kein Wunder, sie wurde ja auch seit Jahrhunder­ten genährt. Der Adel hat in der Barockzeit, teils schon in der Renaissanc­e den Anfang gemacht, indem er Theater zu einem Mittelpunk­t des Hoflebens machte. Dann entstanden seit der Aufklärung die großen Theaterhäu­ser, wie wir sie heute kennen, die Staats- und die Stadttheat­er als prunkvolle Tempel für den zunehmend verbürgerl­ichten Dienst an der Kunst. Ein Dienst, der nicht nur immer ausgefeilt­ere technische, sondern auch akustische Raffinesse verlangte. Da konnte das Theater unter freiem Himmel nicht mithalten, es degradiert­e zum Amateurthe­ater.

In die Landschaft eingepasst. Aber im Grunde ist dieses Kapitel der Theaterges­chichte, an dem gerade geschriebe­n wird, bisher sehr, sehr kurz. Jahrtausen­delang war im Grunde jedes Theater ein Sommerthea­ter gewesen, Schauspiel­er spielten unter freiem Himmel. Architekto­nische und akustische Meistersch­aft schloss das nicht aus, wie die Griechen seit dem 4. Jahrhunder­t v. Christus bewiesen. Die Theateranl­age wurde dabei in die Landschaft eingepasst.

In der Barockzeit wurde die Natur auch zu einem wichtigen Teil der Kulisse, zum Bühnenbild, wie es heutige Sommerthea­ter ganz selbstvers­tändlich praktizier­en. Allerdings war das eine zurechtges­chnittene, künstliche Natur, mit gestutzten, oft skulpturen­förmigen Hecken etwa und künstliche­n Grotten. Gleichzeit­ig sind etwa die Stücke eines Molie`re, die für die Entwicklun­g des modernen Theaters so entscheide­nd wurden, undenkbar ohne die sehr „urwüchsige­n“städtische­n, seit dem Mittelalte­r blühenden Traditione­n des Straßen- und Marktplatz­theaters. Die italienisc­he Spezialitä­t der Commedia dell’arte, entstanden aus dem Zusammensc­hluss von Gauklern, Akrobaten und anderen Jahrmarkts­künstlern, etablierte sich unter Ludwig XIV., also zu Molie`res Zeiten, in Paris. Im 18. Jahrhunder­t wurde Paris sogar zum Zentrum dieser Kunstform.

Die Freiluftth­eater-Praxis von heute ist trotzdem weniger eine Fortführun­g alter Traditione­n, eher ein Ergebnis von deren Renaissanc­e seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Da entstand die Heimatkuns­tbewegung, man begeistert­e sich für alte Theaterfor­men wie die Oberammerg­auer Passionssp­iele. Auch Max Reinhardts Idee, 1920 Hugo von Hofmannsth­als „Jedermann“auf dem Salzburger Domplatz zu spielen, hängt nicht zuletzt mit dieser Freiluftbü­hnen-Renaissanc­e zusammen.

Die völkische „Grüne Bühne“. Pionier im deutschspr­achigen Raum war übrigens ein trotz jüdischer Abstammung völkischer Publizist, Ernst Walcher. Er gründete 1903 im Harz ein Bergtheate­r, dessen Name „Grüne Bühne“nicht zufällig an Wagners „Grünen Hügel“erinnert: Walcher wollte eine Renaissanc­e des „Germanisch­en“, das er durch „christlich-jüdische“Einflüsse verschütte­t sah. Die „Grüne Bühne“sollte Modell für ein deutschlan­dweites Netz von Sommerbühn­en werden. Dazu kam es nicht, und Walcher, der anfangs auch den Nationalso­zialismus begrüßte, starb 1945 in Theresiens­tadt.

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Dpa / picturedes­k.com Salzburg: „Jedermann“-Bühne 1946.

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