Einst war doch jedes Theater ein Sommertheater
Von Moli`eres Liebe zum Straßentheater bis zur Freiluftbühne eines jüdischen Antisemiten.
Ein prächtiges Haus mit breiten Treppen, mit Galerien und Logen – die Vorstellung, dass dies der richtige Rahmen für gute Theateraufführungen sei, sitzt tief in Europa. Kein Wunder, sie wurde ja auch seit Jahrhunderten genährt. Der Adel hat in der Barockzeit, teils schon in der Renaissance den Anfang gemacht, indem er Theater zu einem Mittelpunkt des Hoflebens machte. Dann entstanden seit der Aufklärung die großen Theaterhäuser, wie wir sie heute kennen, die Staats- und die Stadttheater als prunkvolle Tempel für den zunehmend verbürgerlichten Dienst an der Kunst. Ein Dienst, der nicht nur immer ausgefeiltere technische, sondern auch akustische Raffinesse verlangte. Da konnte das Theater unter freiem Himmel nicht mithalten, es degradierte zum Amateurtheater.
In die Landschaft eingepasst. Aber im Grunde ist dieses Kapitel der Theatergeschichte, an dem gerade geschrieben wird, bisher sehr, sehr kurz. Jahrtausendelang war im Grunde jedes Theater ein Sommertheater gewesen, Schauspieler spielten unter freiem Himmel. Architektonische und akustische Meisterschaft schloss das nicht aus, wie die Griechen seit dem 4. Jahrhundert v. Christus bewiesen. Die Theateranlage wurde dabei in die Landschaft eingepasst.
In der Barockzeit wurde die Natur auch zu einem wichtigen Teil der Kulisse, zum Bühnenbild, wie es heutige Sommertheater ganz selbstverständlich praktizieren. Allerdings war das eine zurechtgeschnittene, künstliche Natur, mit gestutzten, oft skulpturenförmigen Hecken etwa und künstlichen Grotten. Gleichzeitig sind etwa die Stücke eines Molie`re, die für die Entwicklung des modernen Theaters so entscheidend wurden, undenkbar ohne die sehr „urwüchsigen“städtischen, seit dem Mittelalter blühenden Traditionen des Straßen- und Marktplatztheaters. Die italienische Spezialität der Commedia dell’arte, entstanden aus dem Zusammenschluss von Gauklern, Akrobaten und anderen Jahrmarktskünstlern, etablierte sich unter Ludwig XIV., also zu Molie`res Zeiten, in Paris. Im 18. Jahrhundert wurde Paris sogar zum Zentrum dieser Kunstform.
Die Freilufttheater-Praxis von heute ist trotzdem weniger eine Fortführung alter Traditionen, eher ein Ergebnis von deren Renaissance seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Da entstand die Heimatkunstbewegung, man begeisterte sich für alte Theaterformen wie die Oberammergauer Passionsspiele. Auch Max Reinhardts Idee, 1920 Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“auf dem Salzburger Domplatz zu spielen, hängt nicht zuletzt mit dieser Freiluftbühnen-Renaissance zusammen.
Die völkische „Grüne Bühne“. Pionier im deutschsprachigen Raum war übrigens ein trotz jüdischer Abstammung völkischer Publizist, Ernst Walcher. Er gründete 1903 im Harz ein Bergtheater, dessen Name „Grüne Bühne“nicht zufällig an Wagners „Grünen Hügel“erinnert: Walcher wollte eine Renaissance des „Germanischen“, das er durch „christlich-jüdische“Einflüsse verschüttet sah. Die „Grüne Bühne“sollte Modell für ein deutschlandweites Netz von Sommerbühnen werden. Dazu kam es nicht, und Walcher, der anfangs auch den Nationalsozialismus begrüßte, starb 1945 in Theresienstadt.