Die Presse am Sonntag

Das neue alte Feindbild eint die Nato

In westlichen Medien wird das Ergebnis des Gipfels in Madrid begrüßt. Es ging dem Atlantisch­en Bündnis dort nicht nur um die Erweiterun­g in Nordeuropa, sondern vor allem auch um Truppenauf­stockung gegen die russische Bedrohung.

- VON NORBERT MAYER

Das westliche Verteidigu­ngsbündnis dürfte bald nicht nur zwei neue Mitgliedss­taaten haben, sondern auch ein altes Feindbild aus der Zeit des Kalten Kriegs erneuern. Finnland und Schweden sollen der Nato beitreten, Russland wird wegen des brutalen Überfalls auf das Nachbarlan­d Ukraine stigmatisi­ert. Die 30 Nato-Verbündete­n wollen aus Gründen der Eindämmung von Moskaus Aggression ihre Truppen im Osten massiv verstärken. Das ist ein wesentlich­es Ergebnis ihres Gipfels in Madrid (sieht man von einer durch die USA forcierten Warnung an China ab und von Sonderwüns­chen der Türkei zur Oppression der Kurden, ehe Ankara die Erweiterun­g ratifizier­en will).

„Ostflanke“. Wie hat die internatio­nale Presse auf das Treffen des mächtigen Militärbün­dnisses der Welt reagiert? Was meint man dazu in der neutralen Schweiz? „Die Nato definiert Russland als Feind“, befand die „Neue Zürcher Zeitung“. Es sei nicht nur um die Norderweit­erung gegangen. „Die Allianz fährt ihr Verteidigu­ngspotenzi­al an der Ostflanke hoch.“Alle Mitgliedss­taaten stünden nun wegen der massiven Aufstockun­g der Eingreiftr­uppe in der Pflicht. Den Worten müssten Taten folgen. Die dramatisch­e Vergrößeru­ng der raschen Eingreiftr­uppe auf 300.000

Mann entspreche immerhin fast einer Verachtfac­hung der Kräfte. Dafür „müsste jedes Mitgliedsl­and nach derzeitige­m Stand mindestens einen Zehntel seiner Truppen abstellen“.

Wer die Führungsro­lle bei der Eindämmung Russlands übernehme, ist für die „Welt am Sonntag“klar. Die USA: „Onkel Joe und die europäisch­en Zwerge“lautet der Titel zum Thema der Woche. Die Europäer seien militärisc­h zu schwach. „Kanzler Scholz verspricht Besserung – aber muss jetzt liefern.“Immerhin habe man in Madrid „Geschlosse­nheit und Tatkraft demonstrie­rt“. Es gebe jedoch noch Vorbehalte. „Einer ist Erdogan“, der türkische Staatspräs­ident. Ein weiterer: Die Bundeswehr werde erst in einigen Jahren in kleinerem Umfang kampfberei­t sein. Und bei den meisten anderen Europäern sehe es nicht besser aus.

Für „The Economist“ist die Nato „Back in business“. Der Gipfel in Madrid sei für sie der wichtigste seit Jahrzehnte­n gewesen, nicht nur wegen der Erweiterun­g: „Russlands Invasion der Ukraine hat Europas Sicherheit gekippt. Als Reaktion darauf wird die Nato wachsen und bulliger werden“. Es gehe darum, Russland und China daran zu hindern, die internatio­nale Ordnung mit autoritäre­n Methoden zurückzudr­ängen. Das neue Konzept der Nato sei ein altbewährt­es: „die Philosophi­e des Kalten Krieges mit seiner Vorwärtsve­rteidigung“. Künftig werde auf Invasionen bereits im Ansatz reagiert.

Für „La Repubblica“hat die Invasion der Ukraine durch russische Truppen eine Identitäts­krise des Nordatlant­ikpaktes gelöst. „Stets gilt das Prinzip, dass Militärbün­dnisse einen Feind brauchen, um zu funktionie­ren. Wladimir Putin hat diese Rolle vollkommen übernommen . . .“Die Nato scheine für westliche Demokratie­n die vernünftig­ste Wahl für Sicherheit zu sein.

Taten. „The Wall Street Journal“meinte ebenfalls, der Gipfel sei einer der wichtigste­n vergangene­r Jahre, ein überwiegen­d guter. Aber: „Die größte Enttäuschu­ng ist das fast gänzliche Ausbleiben neuer Verlegunge­n von Streitkräf­ten europäisch­er Länder an die NatoOstfla­nke.“Die Allianz sei stark, folgerte „The Washington Post“. „Aber sie muss noch viel stärker sein.“Diese Aufgabe stelle sich vor allem den Europäern. Sie müssten noch viel mehr dran bleiben, um nicht eine Belastung für die US-Resourcen zu werden. „Taten werden mehr zählen als Worte.“

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Getty Images / Pool Russlands Präsident Wladimir Putin gibt sich oft kriegerisc­h, hier in einem Panzer des Typs T-90AM.

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