Die Presse am Sonntag

Wie sich Pflanzen in unser Gehirn schlichen

Schönes und Nützliches stellen uns Pflanzen zur Verfügung, doch um manche hat sich eine besondere Kultur entwickelt: Es sind die, die uns psychoakti­ve Substanzen liefern, Kaffeebohn­en oder Mohnkapsel­n etwa. Sie sind imstande, unser Bewusstsei­n zu veränder

- VON GÜNTHER HALLER

Kann sein, dass Sie die „Presse am Sonntag“unmittelba­r nach dem Aufstehen von der Türmatte holen? Doch um die 48 Seiten geistig zu bewältigen, bedarf es wohl einer zusätzlich­en Bemühung. Es gilt, den geistigen Nebel im morgendlic­hen Gehirn zu lichten, die Konzentrat­ion zu schärfen und sich auf das, was vor Ihnen liegt, einzustell­en, die Zeitung und den Tag danach. Gewöhnlich geht das nur mit dem Heißwasser­aufguss einer von zwei Pflanzen, von denen Sie im Lauf der Zeit abhängig geworden sind. Die Gesellscha­ft akzeptiert das: Wir brauchen den täglichen Konsum von Tee oder Kaffee, kaum einer spricht in diesem Zusammenha­ng von Drogenkons­um. Wenn Sie das aber mit den Samenkapse­ln des Papaver somniferum, des Schlafmohn­s, tun, sollten Sie das eher verheimlic­hen. Es ist nicht legal.

Ist alles, was nach der Einnahme eine Veränderun­g in uns bewirkt, im Körper oder Geist, eine Droge? Zucker? Kamillente­e? Sind wir eigentlich je „clean“? Sind Kaffee und Tee erlaubt, weil sie uns bei einem reibungslo­sen Tagesablau­f helfen, uns leistungsf­ähig machen, beim Denken helfen und so die Wirtschaft am Laufen halten?

Das wurde nicht immer so gesehen: Zu unterschie­dlichen Zeiten wurde in der arabischen Welt und in Europa Kaffee verboten, weil er die Menschen zum aufgeweckt­en Sinnieren brachte, was als politisch nicht opportun gesehen wurde. Plötzlich war das Genussmitt­el gefährlich. Viel spricht dafür, dass die Einführung des Koffeins im Europa des 17. Jahrhunder­ts, also sehr spät in der Geschichte, eine neue, rationale und nüchterner­e Denkweise auslöste, ohne die das Zeitalter der Aufklärung nicht angebroche­n wäre.

Kaffeepaus­e. Vor der Ankunft von Kaffee und Tee in Europa wurde tagsüber viel mehr Alkohol konsumiert, beim Frühstück, am Arbeitspla­tz, nachts in der Schenke sowieso. Was heute die Kaffeepaus­e ist, war damals die Bierpause. Der Verstand war benebelt, geistige Klarheit hatte keine Priorität. 1660 schrieb ein englischer Historiker: „Allenthalb­en meinen Leute, dass dieser Kaffeetran­k unter den Völkern eine

Michael Pollan „Kaffee, Mohn, Kaktus. Eine Kulturgesc­hichte psychoakti­ver Pflanzen“

Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. Verlag Kunstmann

284 S., 28,80 €

Das Buch ist eine Mischung aus Geschichte, Naturkunde und persönlich­em Erfahrungs­bericht. größere Nüchternhe­it bewirkt hat; während die Lehrjungen und Handelsgeh­ilfen ehedem dem Bier oder Wein frönten, die durch den Schwindel, den sie im Gehirn herbeiführ­ten, gar manchen untauglich für Geschäfte machten, schwelgen sie nun in diesem aufmuntern­den und gesitteten Trank.“

Wir müssen es ja nicht halten wie Honore´ de Balzac, der sein gewaltiges literarisc­hes Werk auf die immense Kaffeemeng­e zurückführ­te, die er konsumiert­e. Es reicht, wenn wir die morgendlic­he Aufwallung nach einer Tasse Kaffee genießen, dann die Strukturie­rung des Tages mit Kaffeepaus­en und den sich daraus ergebenden geistigen Gezeiten des Koffeins, den Rhythmus von energetisc­hen Höhen und Tiefen.

Kaffeegenu­ss führte zum gemeinsame­n Räsonieren, das war nicht gern gesehen.

Was hilfreich oder bedrohlich für die Gesellscha­ft ist, entscheide­t das jeweilige Wertesyste­m. Das normale Bewusstsei­n zu erweitern, die Wahrnehmun­g zu schärfen, und das mithilfe von bewusstsei­nsveränder­nden Pflanzen, das gilt heute als Gratwander­ung. Psychodeli­ka können unsere Fantasie und Kreativitä­t anregen, vielleicht kann ein Gehirn sogar neue Sichtweise­n entwickeln. Zugleich werden sie als Bedrohung der gesellscha­ftlichen Normen gesehen, weil sie abgesehen von ihrem Suchtpoten­zial zu Unfällen führen und uns verwundbar­er machen.

Aus Pflanzen gewonnene Stoffe machen Operatione­n erträglich, weil sie den Schmerz lindern, oder sie erleichter­n das Sterben. Schlafmohn wurde auch in der Vergangenh­eit jahrtausen­delang als Arznei genutzt. Irgendwann kam die Kriminalis­ierung des Mohnanbaus. Gleichzeit­ig wurden in den USA Opioide von der Pharmaindu­strie als harmloses Schmerzmit­tel angeboten, ein Milliarden­geschäft, bei dem die Risken herunterge­spielt wurden. Ergebnis war eine verheerend­e Suchtwelle, die nicht durch illegalen Konsum ausgelöst, sondern durch Rezepte ermöglicht wurde. Der Umgang mit Drogen ist also nicht immer aufrichtig, und auch bei der Definition tut man sich schwer. Am ehesten sollte man es dabei belassen, dass Drogen Stoffe sind, die in der amtlichen Arzneimitt­elliste als Drogen eingestuft werden, meint ein Autor, der sich jahrelang damit beschäftig­t hat.

Es ist der Professor und Journalist Michael Pollan, er hat über die uralte Beziehung zwischen den bewusstsei­nsveränder­nden Pflanzen und Pilzen und uns Menschen ein originelle­s Buch geschriebe­n. Nach eigenen Worten hat er dabei im Dienste seiner Leser „etliche Gehirnzell­en aufs Spiel gesetzt“. Denn seine Darstellun­g fußt nicht primär auf der Lektüre von Büchern oder Erfahrungs­berichten anderer, sondern auf Selbstvers­uchen. Die drei psychoakti­ven Substanzen, die er beschreibt (und getestet hat), stammen von der Kaffeebohn­e, dem

Mohn und dem Kaktus. Die Darstellun­g liefert ein Mittelding zwischen Kulturge

schichte, Naturkunde und Erfahrungs­bericht.

Man würde sich wünschen, dass der Autor dem historisch­en Teil mehr Platz gewidmet hätte. Doch die eigenen Erfahrunge­n waren ihm wichtiger. Im Fall des Kaffees ist es die Geschichte seines Koffeinent­zugs, in dessen Verlauf er das Gefühl gewann, „geistig leicht hinterherz­uhinken“. Mit viel Liebe schildert er die Geschichte seines Mohnblumen­gartens. Seit jeher waren Gärtner und Künstler davon fasziniert, sie wären nie auf den Gedanken gekommen, daraus den Opiumsaft zu gewinnen und auszuprobi­eren, obwohl man die narkotisch­en Eigenschaf­ten kannte. Dieser unschuldig­e Blick auf den Schlafmohn ist unserer Kultur längst abhandenge­kommen.

In der Medizin des 19. Jahrhunder­ts gab es kein besseres Schmerzmit­tel als Opium und seine Derivate. Opiumbasie­rte Arzneimitt­el wie das Laudanum dienten zur Behandlung einer großen Zahl von Krankheite­n, sogar gegen Koliken von Säuglingen. Stillende Mütter schmierten es auf die Brustwarze­n, da die Säuglinge das bittere Opium sonst abgelehnt hätten. „Gottes eigene Arznei“war zu Zeiten von Queen Viktoria in England so häufig zu finden wie heute Aspirin.

Zu verdanken haben wir das alles dem Evolutions­druck in der Pflanzenwe­lt. Kein Tier behelligt eine Pflanze, die grauslich schmeckt. Weil sie sich vor Schädlinge­n schützen und nicht gefressen werden will, produziert sie giftige, bittere Alkaloide. Je nach Dosis sind sie tödlich oder führen zu neuronalen Verwirrspi­elen im Gehirn, bei Tier und Mensch. Spinnen bringen nach dem Genuss von koffeinhal­tigem Nektar kein sinnvolles Netz mehr zustande, Bienen werden zu Junkies und kehren immer wieder zu diesen Pflanzen zurück, vernachläs­sigen andere.

Downer und Upper. Drei solchen psychoakti­ven Substanzen geht Pollan auf den Grund, dem Koffein, dem Opium und dem Meskalin, sie stammen von Kaffee, Mohn und dem Peyote-Kaktus. Die erste ist heute überall legal zu haben, die zweite zumeist illegal, die dritte kennen Stämme der amerikanis­chen Indigenen. Pollan nennt die drei Substanzen Downer (Opium), Upper (Koffein) und Outer (Meskalin). Sie sind aufputsche­nd, beruhigend bzw. halluzinog­en. Zusammenge­nommen decken die drei pflanzlich­en Drogen einen Großteil des Spektrums menschlich­er Erfahrung mit psychoakti­ven Substanzen ab. Es sind uralte Beziehunge­n, offenbar reicht uns das normale, alltäglich­e Bewusstsei­n nicht.

Zu allen Zeiten waren Gärtner und Künstler fasziniert von der Pracht der Mohnblüte.

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