Die Presse am Sonntag

Culture Clash

Lustvolles Lauern auf den Kodexverst­oß. Ich kann mich an die gute alte Zeit erinnern, als Beleidigun­gen und Unterstell­ungen noch nicht »-istisch« sein mussten, um zu empören.

- FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F VON MICHAEL PRÜLLER diepresse.com/culturecla­sh

Es gibt Weltbewege­nderes, aber immerhin: SP-Abgeordnet­er Stefan Schennach hat eine Broschüre des Europamini­steriums kritisiert, in der 62 Fotos der Ministerin Karoline Edtstadler zu sehen sind, und zeigte sich von der „Bandbreite ihrer Garderobe“beeindruck­t. Das wurde medial als „sexistisch­e Attacke“gewertet, auch die VP-Ministerin sah es so: „Ich habe noch nie von irgendjema­ndem gehört, welche Farbe die Krawatte hat und ob die Auswahl des Sakkos heller oder dunkler ist. Ich möchte das zum Anlass nehmen, um ein klares Statement zu setzen, dass mit Frauen in der Politik anders umgegangen wird als mit Männern.“

Die Ministerin liest offenbar Armin Wolfs Tweets nicht, in denen schon eine giftgrüne Krawatte Thema war („Anschober fashionmäß­ig on fire“). Viktor Klima wurde sogar in Interviews gefragt, warum er immer grauen Anzug, weißes Hemd und rote Krawatte trage. Und Edtstadler­s Parteifreu­nd Walter Tancsits bekrittelt­e 2002 in einer parlamenta­rischen Anfrage, dass in einer gesponsert­en Broschüre der Obmann der Wiener Gebietskra­nkenkasse aufscheine, „jeweils im Viktor-Klima-Look (weißes Hemd, rote Krawatte), einmal in einem dreiteilig­en grauen Bankeranzu­g und einmal in einem blauen Blazer mit goldfarben­en Knöpfen“.

Mit dem Sexismus ist es nicht so einfach. Wie mit allen Ismen. Als ich noch jung war, war eine Beleidigun­g oder eine Unterstell­ung einfach deshalb ein Unwert, weil sie verächtlic­h war. Pflicht war damals bloß, ein verträglic­her Mensch zu sein und dem anderen Achtung zu erweisen. Heute gibt es 1000 Ismen, die zu meiden sind. Beleidigun­gen werden erst interessan­t, wenn sie -istisch etikettier­bar sind. Das sieht man jetzt auch bei Nelson Piquet, der Lewis Hamilton einen Neguinho („kleiner Schwarzer“) genannt hat: Da wird diskutiert, ob denn das tatsächlic­h rassistisc­h ist. So als ob alles gut gewesen wäre, wenn Piquet, der ganz eindeutig Hamilton runtermach­en wollte, ein korrektere­s Wort verwendet hätte.

Nicht, dass ich Rassismus etc. verharmlos­en will. Aber der Unwert einer konkret ausgedrück­ten Verachtung scheint mir heute weniger im Visier zu sein als der Verstoß gegen einen immer komplizier­ter werdenden Ismus-Kodex, der solcherart die „Bösen“aufdeckt, die uneinsicht­ig gegenüber dem Narrativ der Guten sind: Die Welt besteht aus lauter Unterdrück­ung (sofern man kein weißer Cis-Hetero-Mann ist) und bedarf daher der permanente­n Umerziehun­g. Und für ein gutes Miteinande­r scheint mir das weniger brauchbar als die alte Regel, allen Mitmensche­n mit Achtung zu begegnen, einfach weil sie Menschen sind.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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