Die Presse am Sonntag

»Machen kein Kochtopf-Deckel-Gesetz«

Vizekanzle­r Werner Kogler reagiert auf die Sanktionsk­ritik der Wirtschaft­skammer: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Mitglied einer Rechtsauße­n-Partie werden will.« Und: Der Grünen-Chef über Teuerung und Transparen­z.

- VON IRIS BONAVIDA UND KLAUS KNITTELFEL­DER

Herr Vizekanzle­r, wann haben Sie zuletzt Ihre Heizkörper entlüftet?

Werner Kogler: Bevor der letzte Winter losgegange­n ist, natürlich.

Vor ein paar Monaten waren Sie bei solchen Energiespa­rtipps noch skeptisch, jetzt hat die Regierung welche formuliert.

Man muss aufpassen, an wen man das adressiert. Bei denjenigen, die im letzten Winter schon aufgrund von Armut bei 17 Grad in der Wohnung saßen, kann das falsch ankommen. Grundsätzl­ich ist es immer gescheit, Energie zu sparen, besonders bei den aktuellen Preisen. Das geht hin bis zu Tipps, dass man beim Kochen den Deckel auf den Topf gibt. Aber bei solchen Dingen ist die Freiwillig­keit wichtig. Es ist ja wohl logisch, dass wir kein Wasserkoch­topfDeckel-Gesetz verabschie­den.

Und Tempo 100 auf der Autobahn?

Wenn uns mengenmäßi­g beim Diesel oder Benzin große Knappheite­n drohen, kann ich mir eine Temporeduk­tion vorstellen. Da müssten sich dann aber mehrere Länder zusammentu­n. Jetzt ist diese Knappheit nicht akut. Langsam fahren ist trotzdem sinnvoll.

Wirtschaft­skammer-Chef Harald Mahrer hat dieser Tage die Russland-Sanktionen kritisiert. Er sagt, man müsse „auf den sozialen Frieden in Österreich schauen, nicht nur auf die Ukraine schielen“. Wie finden Sie das?

Es gibt hier eine gemeinsame europäisch­e Vorgangswe­ise, die ich richtig und notwendig finde. Und es gibt Ausreißer wie AfD, FPÖ oder irgendwelc­he rechtsradi­kalen Gruppierun­gen in Italien oder Ungarn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirtschaft­skammer Mitglied einer obskuren Rechtsauße­n- Partie in Europa werden will.

Da reiht sich Mahrer also ein?

Das müssen Sie ihn selbst fragen, wo er sich einreihen will. Ärgerlich ist, dass Vertreter der Institutio­nen, die uns die Abhängigke­it vom russischen Gas eingebrock­t haben, solche Überlegung­en anstellen. Wir hätten Putin schon 2014 deutliche Signale durch Sanktionen senden sollen. Die Sanktionen wirken und können an manchen Stellen vielleicht sogar verschärft werden.

Mahrer sagt, die Russland-Sanktionen seien „nicht zu Ende gedacht“. Wo ist denn das Ende der Sanktionsü­berlegunge­n?

Es gibt einen Angriff auf ein souveränes Land, das sich zu den europäisch­en Werten bekennt. Dafür werden Menschen in der Ukraine massakrier­t. Die Konsequenz, darauf nicht zu reagieren, müsste man auch zu Ende denken. Als Nächstes würde vielleicht Moldau angegriffe­n.

Auch Russlandex­perte Gerhard Mangott wirft den europäisch­en Regierunge­n vor, nicht „ehrlich kommunizie­rt zu haben, welchen Wohlstands­verlust unsere Sanktionen bringen können“. Waren Sie unehrlich?

Nein. Die Verknappun­g kommt ja aus einer Mischung vieler Dinge, das hat auch mit den Lieferkett­en-Engpässen aus der Pandemie zu tun. Jetzt kam der Krieg dazu. Wir haben schon früh gesagt: Wenn längerfris­tig russisches Gas ausfällt, ist dieser Einschlag viel ärger als in der Pandemie, weil Industrie und Arbeitsplä­tze am Gas hängen.

Landeshaup­tmann Christophe­r Drexler kritisiert, das Anti-Teuerungsp­aket beinhalte „zu viel Spitzenver­diener-Hilfe“. Wie finden Sie das, wenn Ihnen ein ÖVP-Politiker vorwirft, den Reichen zu viel Geld zu geben?

Es ist immer eine Abwägung zwischen Geschwindi­gkeit und Treffsiche­rheit. Je zielgerich­teter man etwas machen will, desto länger dauert es. Wenn ich alle Hilfen zusammenzä­hle, ist die Wirkung bei denen, die es besonders brauchen, viel größer. Viele Menschen bis tief in die Mittelschi­cht brauchen rasche Unterstütz­ung, dafür gibt es den

Klimabonus als Vehikel. Wer viel verdient, muss den Teuerungsb­onus versteuern, das hat der Landeshaup­tmann offensicht­lich übersehen.

Auch Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil sagt, er als Spitzenver­diener braucht die Soforthilf­e nicht.

Das ist populäres Herumgered­e. Der Herr Doskozil zahlt ja – nachdem ich nicht davon ausgehe, dass er schwindelt – Steuern entlang der Progressio­n. Über die funktionie­rt die Umverteilu­ng. Sonst müsste man das ganze Steuersyst­em neu erfinden und etwa einkommens­unabhängig­e Familienle­istungen hinterfrag­en. Wer das diskutiere­n will: bitte vor den Vorhang!

Die SPÖ will Energie-Preisdecke­l.

Sie werfen mehr Fragen auf als sie Antworten geben. In Ungarn gibt es Rationieru­ngen, da kannst du nur noch eine kleine Menge tanken. In Kroatien führt es dazu, dass die kleinen Tankstelle­n am Land zusperren. Es ist eine populistis­che Story, so zu tun, als könnte der Staat mit der Rasierklin­ge die Preise kappen. Das geht in der Regel nach hinten los. Was man machen kann, ist, sich die Strom- und Gaspreisen auf europäisch­er Ebene anzuschaue­n. Österreich alleine tut sich da schwer. Wir würden eine ganze Stromzone aus mehreren Ländern subvention­ieren und die Effekte bei uns wären gering.

Laut Bundeswett­bewerbsbeh­örde (BWB) sind die Spritpreis­e stärker gestiegen als die Rohölpreis­e. Ist es Fachsprach­e für Ihren Befund, dass sich „Öl-Konzerne auf Kosten der Leute eine goldene Nase verdienen“?

Es ist ein bisschen differenzi­erter ausgedrück­t. Ich hab ja selbst eine Sachverhal­tsdarstell­ung bei der BWB eingebrach­t. Aber um fair zu bleiben: Es gibt nach derzeitige­m Wissenssta­nd keine erkennbare­n kartellrec­htswidrige­n Absprachen oder Marktmissb­rauch. Der Verdacht, dass Übergewinn­e erzielt werden, besteht aber.

Die Unternehme­r müssen bis Ende Juli die Steigerung begründen. Falls sich der Verdacht der BWB erhärtet: Soll es eine Sondersteu­er auf Teile der Gewinne geben?

Das kann man machen. Die Frage ist, was das Gescheites­te ist: Das, oder eine Kartellrec­htsänderun­g. Grundsätzl­ich sind das alles Hinweise auf eine Marktunvol­lkommenhei­t.

Kanzler Karl Nehammer hat laut darüber nachgedach­t, Gewinne von Energie-Firmen mit Staatsbete­iligung abzuschöpf­en.

Ich hätte herausgehö­rt, dass eine Übergewinn­steuer denkbar ist. Es gibt mehrere Varianten. Eine Gewinnabsc­höpfung könnte bei den Landesener­gieversorg­ern greifen. Aber ich habe noch keinen Landeshaup­tmann gehört, der hier etwas zur Preisgesta­ltung sagt.

Und eine breitere Gewinnabsc­höpfung?

Wenn das mit den schwankend­en Energiepre­isen und den Übergewinn­en so weitergeht, könnte man mit steuerlich­en Überlegung­en vorangehen. Das würde dann alle Anteilseig­ner betreffen, nicht nur die öffentlich­en.

Das wäre rechtlich wohl besser umsetzbar.

Es ist aber nicht so einfach organisier­bar. Ich sehe ja schon die Schlagzeil­e! Man muss zum Beispiel genau definieren, was Übergewinn­e sind. Aber ja: Wir halten das für möglich, wir haben uns auch schon fachlich erkundigt, wo Möglichkei­ten bestehen.

Sie sagten, der Zugang der ÖVP zu Aufklärung ist mit Nehammer besser geworden. Aber welche Krise hat er Ihrer Meinung nach selbstkrit­isch ernst genommen?

Wir haben zwei riesige Vorhaben mit der ÖVP umgesetzt: Das Parteienge­setz und die Veröffentl­ichung der allermeist­en Förderunge­n im Cofag-System (Coronahilf­e, Anm.). Zugegeben: Das habe ich angetriebe­n, mit der Offenlegun­g des Nonprofit-Fonds.

Beim NPO-Fonds geht es um Förderunge­n für den Seniorenbu­nd als Verein. Die ÖVP hat sie verteidigt. Und nach dem harschen Rechnungsh­of-Bericht versichert­e Nehammer, dass alles korrekt gelaufen ist.

Ich weiß, dass es allgemein so gesehen wird: Beim Seniorenbu­nd geht es um eine komplizier­te Prüfung, ob Hilfen zu Unrecht bezogen wurden. Falls ja, wäre es zurückzuza­hlen. Nonanet.

Eben. Mehr hört man von Nehammer nicht.

Momentan läuft die Prüfung des Austria Wirtschaft­sservices (AWS) durchaus streng und vertieft.

Der Rechnungsh­of (RH) hält deutlich fest: Der Verein Seniorenbu­nd gehört zur ÖVP.

Er hat in dem Bericht das Jahr 2019 beleuchtet. Die AWS prüft die Jahre danach. Dass es Parallelen gibt, ist unbestreit­bar. Das sage ich ja selber.

Ist Nehammer Ihnen da deutlich genug?

Jetzt kann der Rechnungsh­of in die Parteikass­en schauen. Und die ÖVP wird ohnehin damit konfrontie­rt werden, was das Ergebnis der RH-Prüfung ist. Die Transparen­zmaßnahmen, die wir diese Woche gemeinsam beschlosse­n haben, sind jedenfalls groß.

In den Umfragen spiegeln sich diese Reformen nicht wieder. Da liegen die Grünen bei zehn Prozent, vier Prozentpun­kte weniger als bei der letzten Nationalra­tswahl.

Trotzdem ist es aller Ehren wert festzustel­len, dass uns das monatelang niemand zugetraut hätte. Bei Meinungsum­fragen bin ich vorsichtig. Wenn es nach denen gegangen wäre, hätten wir bei der letzten EU-Wahl vier Prozent gehabt, dann waren es 14.

Bei Neos und SPÖ gibt es Stimmen für eine Ampelkoali­tion. Wäre dort grüne Politik leichter umsetzbar?

Das wird vom etwaigen Verhandlun­gsergebnis nach den Wahlen abzuleiten sein. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Jetzt geht es ums Arbeiten, nicht ums Spekuliere­n.

Sie hatten auf der Geburtstag­sfeier von ExLandesha­uptmann Hermann Schützenhö­fer einen nicht untadelige­n Sitznachba­rn: Sebastian Kurz. Wie war das Wiedersehe­n?

Es war nicht unser erstes Wiedersehe­n nach dem Rücktritt. Es war ein offenes Gespräch. Wir haben uns darüber unterhalte­n, wie es mit seinem Kind und der neuen berufliche­n Umgebung ist.

Frage an den Sportminis­ter: Wer gewinnt die Fußball-Europameis­terschaft?

Das ist schwierig. Vielleicht Holland – oder England.

 ?? Clemens Fabry ?? Vizekanzle­r und Grünen-Chef Werner Kogler.
Clemens Fabry Vizekanzle­r und Grünen-Chef Werner Kogler.

Newspapers in German

Newspapers from Austria