»Machen kein Kochtopf-Deckel-Gesetz«
Vizekanzler Werner Kogler reagiert auf die Sanktionskritik der Wirtschaftskammer: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Mitglied einer Rechtsaußen-Partie werden will.« Und: Der Grünen-Chef über Teuerung und Transparenz.
Herr Vizekanzler, wann haben Sie zuletzt Ihre Heizkörper entlüftet?
Werner Kogler: Bevor der letzte Winter losgegangen ist, natürlich.
Vor ein paar Monaten waren Sie bei solchen Energiespartipps noch skeptisch, jetzt hat die Regierung welche formuliert.
Man muss aufpassen, an wen man das adressiert. Bei denjenigen, die im letzten Winter schon aufgrund von Armut bei 17 Grad in der Wohnung saßen, kann das falsch ankommen. Grundsätzlich ist es immer gescheit, Energie zu sparen, besonders bei den aktuellen Preisen. Das geht hin bis zu Tipps, dass man beim Kochen den Deckel auf den Topf gibt. Aber bei solchen Dingen ist die Freiwilligkeit wichtig. Es ist ja wohl logisch, dass wir kein WasserkochtopfDeckel-Gesetz verabschieden.
Und Tempo 100 auf der Autobahn?
Wenn uns mengenmäßig beim Diesel oder Benzin große Knappheiten drohen, kann ich mir eine Temporeduktion vorstellen. Da müssten sich dann aber mehrere Länder zusammentun. Jetzt ist diese Knappheit nicht akut. Langsam fahren ist trotzdem sinnvoll.
Wirtschaftskammer-Chef Harald Mahrer hat dieser Tage die Russland-Sanktionen kritisiert. Er sagt, man müsse „auf den sozialen Frieden in Österreich schauen, nicht nur auf die Ukraine schielen“. Wie finden Sie das?
Es gibt hier eine gemeinsame europäische Vorgangsweise, die ich richtig und notwendig finde. Und es gibt Ausreißer wie AfD, FPÖ oder irgendwelche rechtsradikalen Gruppierungen in Italien oder Ungarn. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wirtschaftskammer Mitglied einer obskuren Rechtsaußen- Partie in Europa werden will.
Da reiht sich Mahrer also ein?
Das müssen Sie ihn selbst fragen, wo er sich einreihen will. Ärgerlich ist, dass Vertreter der Institutionen, die uns die Abhängigkeit vom russischen Gas eingebrockt haben, solche Überlegungen anstellen. Wir hätten Putin schon 2014 deutliche Signale durch Sanktionen senden sollen. Die Sanktionen wirken und können an manchen Stellen vielleicht sogar verschärft werden.
Mahrer sagt, die Russland-Sanktionen seien „nicht zu Ende gedacht“. Wo ist denn das Ende der Sanktionsüberlegungen?
Es gibt einen Angriff auf ein souveränes Land, das sich zu den europäischen Werten bekennt. Dafür werden Menschen in der Ukraine massakriert. Die Konsequenz, darauf nicht zu reagieren, müsste man auch zu Ende denken. Als Nächstes würde vielleicht Moldau angegriffen.
Auch Russlandexperte Gerhard Mangott wirft den europäischen Regierungen vor, nicht „ehrlich kommuniziert zu haben, welchen Wohlstandsverlust unsere Sanktionen bringen können“. Waren Sie unehrlich?
Nein. Die Verknappung kommt ja aus einer Mischung vieler Dinge, das hat auch mit den Lieferketten-Engpässen aus der Pandemie zu tun. Jetzt kam der Krieg dazu. Wir haben schon früh gesagt: Wenn längerfristig russisches Gas ausfällt, ist dieser Einschlag viel ärger als in der Pandemie, weil Industrie und Arbeitsplätze am Gas hängen.
Landeshauptmann Christopher Drexler kritisiert, das Anti-Teuerungspaket beinhalte „zu viel Spitzenverdiener-Hilfe“. Wie finden Sie das, wenn Ihnen ein ÖVP-Politiker vorwirft, den Reichen zu viel Geld zu geben?
Es ist immer eine Abwägung zwischen Geschwindigkeit und Treffsicherheit. Je zielgerichteter man etwas machen will, desto länger dauert es. Wenn ich alle Hilfen zusammenzähle, ist die Wirkung bei denen, die es besonders brauchen, viel größer. Viele Menschen bis tief in die Mittelschicht brauchen rasche Unterstützung, dafür gibt es den
Klimabonus als Vehikel. Wer viel verdient, muss den Teuerungsbonus versteuern, das hat der Landeshauptmann offensichtlich übersehen.
Auch Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sagt, er als Spitzenverdiener braucht die Soforthilfe nicht.
Das ist populäres Herumgerede. Der Herr Doskozil zahlt ja – nachdem ich nicht davon ausgehe, dass er schwindelt – Steuern entlang der Progression. Über die funktioniert die Umverteilung. Sonst müsste man das ganze Steuersystem neu erfinden und etwa einkommensunabhängige Familienleistungen hinterfragen. Wer das diskutieren will: bitte vor den Vorhang!
Die SPÖ will Energie-Preisdeckel.
Sie werfen mehr Fragen auf als sie Antworten geben. In Ungarn gibt es Rationierungen, da kannst du nur noch eine kleine Menge tanken. In Kroatien führt es dazu, dass die kleinen Tankstellen am Land zusperren. Es ist eine populistische Story, so zu tun, als könnte der Staat mit der Rasierklinge die Preise kappen. Das geht in der Regel nach hinten los. Was man machen kann, ist, sich die Strom- und Gaspreisen auf europäischer Ebene anzuschauen. Österreich alleine tut sich da schwer. Wir würden eine ganze Stromzone aus mehreren Ländern subventionieren und die Effekte bei uns wären gering.
Laut Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) sind die Spritpreise stärker gestiegen als die Rohölpreise. Ist es Fachsprache für Ihren Befund, dass sich „Öl-Konzerne auf Kosten der Leute eine goldene Nase verdienen“?
Es ist ein bisschen differenzierter ausgedrückt. Ich hab ja selbst eine Sachverhaltsdarstellung bei der BWB eingebracht. Aber um fair zu bleiben: Es gibt nach derzeitigem Wissensstand keine erkennbaren kartellrechtswidrigen Absprachen oder Marktmissbrauch. Der Verdacht, dass Übergewinne erzielt werden, besteht aber.
Die Unternehmer müssen bis Ende Juli die Steigerung begründen. Falls sich der Verdacht der BWB erhärtet: Soll es eine Sondersteuer auf Teile der Gewinne geben?
Das kann man machen. Die Frage ist, was das Gescheiteste ist: Das, oder eine Kartellrechtsänderung. Grundsätzlich sind das alles Hinweise auf eine Marktunvollkommenheit.
Kanzler Karl Nehammer hat laut darüber nachgedacht, Gewinne von Energie-Firmen mit Staatsbeteiligung abzuschöpfen.
Ich hätte herausgehört, dass eine Übergewinnsteuer denkbar ist. Es gibt mehrere Varianten. Eine Gewinnabschöpfung könnte bei den Landesenergieversorgern greifen. Aber ich habe noch keinen Landeshauptmann gehört, der hier etwas zur Preisgestaltung sagt.
Und eine breitere Gewinnabschöpfung?
Wenn das mit den schwankenden Energiepreisen und den Übergewinnen so weitergeht, könnte man mit steuerlichen Überlegungen vorangehen. Das würde dann alle Anteilseigner betreffen, nicht nur die öffentlichen.
Das wäre rechtlich wohl besser umsetzbar.
Es ist aber nicht so einfach organisierbar. Ich sehe ja schon die Schlagzeile! Man muss zum Beispiel genau definieren, was Übergewinne sind. Aber ja: Wir halten das für möglich, wir haben uns auch schon fachlich erkundigt, wo Möglichkeiten bestehen.
Sie sagten, der Zugang der ÖVP zu Aufklärung ist mit Nehammer besser geworden. Aber welche Krise hat er Ihrer Meinung nach selbstkritisch ernst genommen?
Wir haben zwei riesige Vorhaben mit der ÖVP umgesetzt: Das Parteiengesetz und die Veröffentlichung der allermeisten Förderungen im Cofag-System (Coronahilfe, Anm.). Zugegeben: Das habe ich angetrieben, mit der Offenlegung des Nonprofit-Fonds.
Beim NPO-Fonds geht es um Förderungen für den Seniorenbund als Verein. Die ÖVP hat sie verteidigt. Und nach dem harschen Rechnungshof-Bericht versicherte Nehammer, dass alles korrekt gelaufen ist.
Ich weiß, dass es allgemein so gesehen wird: Beim Seniorenbund geht es um eine komplizierte Prüfung, ob Hilfen zu Unrecht bezogen wurden. Falls ja, wäre es zurückzuzahlen. Nonanet.
Eben. Mehr hört man von Nehammer nicht.
Momentan läuft die Prüfung des Austria Wirtschaftsservices (AWS) durchaus streng und vertieft.
Der Rechnungshof (RH) hält deutlich fest: Der Verein Seniorenbund gehört zur ÖVP.
Er hat in dem Bericht das Jahr 2019 beleuchtet. Die AWS prüft die Jahre danach. Dass es Parallelen gibt, ist unbestreitbar. Das sage ich ja selber.
Ist Nehammer Ihnen da deutlich genug?
Jetzt kann der Rechnungshof in die Parteikassen schauen. Und die ÖVP wird ohnehin damit konfrontiert werden, was das Ergebnis der RH-Prüfung ist. Die Transparenzmaßnahmen, die wir diese Woche gemeinsam beschlossen haben, sind jedenfalls groß.
In den Umfragen spiegeln sich diese Reformen nicht wieder. Da liegen die Grünen bei zehn Prozent, vier Prozentpunkte weniger als bei der letzten Nationalratswahl.
Trotzdem ist es aller Ehren wert festzustellen, dass uns das monatelang niemand zugetraut hätte. Bei Meinungsumfragen bin ich vorsichtig. Wenn es nach denen gegangen wäre, hätten wir bei der letzten EU-Wahl vier Prozent gehabt, dann waren es 14.
Bei Neos und SPÖ gibt es Stimmen für eine Ampelkoalition. Wäre dort grüne Politik leichter umsetzbar?
Das wird vom etwaigen Verhandlungsergebnis nach den Wahlen abzuleiten sein. Aber so weit sind wir noch lange nicht. Jetzt geht es ums Arbeiten, nicht ums Spekulieren.
Sie hatten auf der Geburtstagsfeier von ExLandeshauptmann Hermann Schützenhöfer einen nicht untadeligen Sitznachbarn: Sebastian Kurz. Wie war das Wiedersehen?
Es war nicht unser erstes Wiedersehen nach dem Rücktritt. Es war ein offenes Gespräch. Wir haben uns darüber unterhalten, wie es mit seinem Kind und der neuen beruflichen Umgebung ist.
Frage an den Sportminister: Wer gewinnt die Fußball-Europameisterschaft?
Das ist schwierig. Vielleicht Holland – oder England.