Die Presse am Sonntag

»Es gab den Versuch eines Staatsstre­ichs«

Ecuadors Außenminis­ter Holgu´ın über die schweren Unruhen in seinem Land, die linke Welle in Lateinamer­ika und das »größte Problem« Kokain.

- VON ANDREAS FINK

Inzwischen herrscht wieder eine gespannte Ruhe in Ecuador. Aber die Folgen von 18 Tagen Aufruhr werden nachwirken. Am 13. Juni hatte der Indigenen-Dachverban­d Conaie begonnen, gegen Verschlech­terungen der Lebensumst­ände der ärmeren Bevölkerun­gsschichte­n auf die Straßen zu gehen, die unter Pandemie und Inflation besonders gelitten haben. Weil nicht alle Indigenen hinter den Protesten standen und Gewerkscha­ften und andere linke Gruppen sich zunächst nicht anschlosse­n, glaubte die Regierung, die Proteste aussitzen zu können. Doch nachdem die Polizei den Conaie-Führer Leo´nidas Iza festnahm, multiplizi­erten sich Wut und Gewalt. Es drohte ein Chaos wie im August 2019.

Damit wieder Frieden einzieht, musste Präsident Guillermo Lasso die Treibstoff­preise um 15 Cent pro Gallone (3,8 Liter) senken sowie auf die Rückzahlun­g von staatliche­n Kleinkredi­ten verzichten: eine weitere Schwächung der ohnehin fragilen Position des Präsidente­n. Der Liberale wechselte in der Vorwoche den Finanzmini­ster. Technokrat Simo´n Cuevas hatte trotz sozialer Härten die Sparvorgab­en des Internatio­nalen Währungsfo­nds umsetzen wollen – und wurde nun zum Schuldigen erklärt. Jetzt musste er gehen. Ein anderer blieb im Amt: Außenminis­ter Juan Carlos Holgu´ın. Im Interview spricht er auch über die schwierige Lage in seiner Heimat.

Herr Minister, Lateinamer­ika hat enorme Probleme, 2019 erschütter­ten Unruhen den Kontinent, ausgehend von Ecuador. Danach kam die Covid-19-Pandemie und schließlic­h die weltweite Inflations­welle, die in allen Ländern der Region die Preise stark steigen ließ. Diesen Schwierigk­eiten stehen nun in den meisten Ländern auch noch sehr schwache Regierunge­n gegenüber. Nur in wenigen Ländern der Region können die Präsidente­n auf Mehrheiten in den Parlamente­n zählen. In der Präsidialr­epublik Ecuador ist die Situation besonders dramatisch, denn Creo, die Partei des Präsidente­n Guillermo Lasso, besetzt nur zwölf der 137 Sitze im Parlament.

Juan Carlos Holgu´ın: Nun, es sind schon etwas mehr. Wir konnten feste Allianzen mit einigen parteilose­n Deputierte­n schließen. Aber ja, von Anbeginn wussten wir, dass es schwierig werden würde, zu regieren. Aber das ist nun einmal das, was uns die Demokratie abverlangt. Aus Respekt vor den demokratis­chen Prinzipien sind wir verpflicht­et, Abkommen mit anderen politische­n Gruppen zu suchen und Kompromiss­e zu schließen.

Vor zwei Wochen, auf dem Höhepunkt der Rebellion, überstand der Präsident Lasso ein Misstrauen­svotum im Parlament. Die nötige Zweidritte­lmehrheit wurde verfehlt. Trotzdem haben 80 von 137 Abgeordnet­en für seine Absetzung votiert – und das gerade einmal 13 Monate nach der Amtsüberna­hme.

Ja, das war ein klarer Versuch, die Demokratie zu destabilis­ieren, angeführt von der Partei des Ex-Präsidente­n Rafael Correa.

Ihre Regierung hat behauptet, dass die Mobilisier­ung des Indigenen-Dachverban­des Conaie von Correa-treuen Kräften verschärft wurde. Haben Sie Beweise?

Die indigenen Gruppen haben öffentlich erklärt, dass es Infiltrati­onen von Correa nahestehen­den Provokateu­ren gegeben hat und den Versuch eines Staatsstre­iches in Ecuador.

Ihre ist die einzige marktwirts­chaftlich orientiert­e Regierung auf dem südamerika­nischen Andenbogen. Zwischen den links geführten Regionalmä­chten Mexiko und Argentinie­n haben sich in den letzten Jahren Chile, Peru, Bolivien und kürzlich auch Kolumbien für linke Präsidente­n entschiede­n. Welche Auswirkung­en hat das für Sie?

Ich denke, das ist ein guter Moment, um zu zeigen, dass man mit absolutem Respekt gegenüber dem Rechtsstaa­t und den demokratis­chen Prinzipien und der Freiheit ein Wirtschaft­smodell generieren kann, das den Wohlstand nachhaltig hebt. Womöglich hatten diese massiven Proteste so früh in unserer Amtszeit auch ihr Gutes. Denn sie haben bewirkt, dass wir unsere Politik nun deutlicher auf soziale Belange ausrichten. Wir sind sicher, dass Ecuador eine wichtige Rolle in der Entwicklun­g der Region spielen wird.

In der Region hat der Glaube daran stark gelitten, dass die Gewinne aus Aktivitäte­n internatio­naler Konzerne wirklich an die Bevölkerun­g weitergere­icht werden. Chile, Peru und Kolumbien waren jahrzehnte­lang stabil gewachsen – und doch kam es zu Volksaufst­änden, weil der generierte Wohlstand extrem ungleich verteilt wurde. Präsident Guillermo Lasso ist ein Ex-Bankier und eine der reichsten Personen in Ecuador. Viele – nicht nur linke – Analysen beschreibe­n Ihre Regierung als Repräsenta­nten der traditione­llen weißen Oberklasse.

Das ist vor allem der Diskurs der Correa-Anhänger. Diese politische Bewegung mehrte ihre Macht nicht nur mit populistis­chen Praktiken, sondern auch mit illegalen Aktivitäte­n. Viele prominente Vertreter des „Correismo“gerieten zuletzt ins Visier der Justiz im Zusammenha­ng mit transnatio­nalen Verbrechen.

Im Jahr 2008 hatte die Correa-Partei 300 Mitglieder der verfeindet­en Drogenband­en Latin Kings und Los N˜etas, angeblich um Frieden zu stiften. Einige dieser Verbrecher sitzen jetzt als Volksvertr­eter im Parlament. 2021 bezeichnet­e Europol den Hafen von Guayaquil als einen der wichtigste­n Ausgangspu­nkte für Kokainexpo­rte nach Europa.

Das ist unser größtes Problem. Schauen Sie: Die größte Jahres-Drogenmeng­e, die vor unserem Amtsantrit­t in Ecuador aufgegriff­en wurde, waren 70 Tonnen Kokain in 2020. Aber in 2021 haben wir 312 Tonnen sichergest­ellt. Das ist ein frontaler Kampf gegen diese Strukturen. Und weil wir wissen, dass jede Aktion

Österreich etwa 450.000 –, sollte man diese Möglichkei­t nicht aus den Augen verlieren.

Herausford­erungen gibt es in jedem Bereich, aber eine zentrale (politische) Frage ist sicherlich jene der Transport- und Versorgung­sinfrastru­ktur. Hier müssen sich die zentraleur­opäischen Staaten zusammentu­n und eine eigene Agenda entwickeln. Konferenze­n wie der Summit sind für Gespräche in diesem Sinne eine sehr gute Gelegenhei­t.

Die internatio­nale Konferenz wird heuer von 27. bis 30. Juli in Salzburg stattfinde­n und dient als Plattform für den Austausch von Ideen. Hochkaräti­ge Führungskr­äfte und interessan­te Persönlich­keiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft kommen zusammen, um unter dem Generalthe­ma „Challenges“die aktuellen Herausford­erungen aus verschiede­nsten Blickwinke­ln zu diskutiere­n und einen Blick auf zukünftige Trends und Themen zu werfen. Salzburg Summit wird heuer zum dritten Mal veranstalt­et. salzburgsu­mmit.com

Der Beitrag wird finanziell unterstütz­t von der Industriel­lenvereini­gung.

 ?? Ecuadorian Presidency / AFP ?? „Klarer Versuch, die Demokratie zu destabilis­ieren“: Außenminis­ter Juan Carlos Holgu´ın übt scharfe Kritik am Agieren von Ex-Präsident Rafael Correa.
Ecuadorian Presidency / AFP „Klarer Versuch, die Demokratie zu destabilis­ieren“: Außenminis­ter Juan Carlos Holgu´ın übt scharfe Kritik am Agieren von Ex-Präsident Rafael Correa.
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