»Es gab den Versuch eines Staatsstreichs«
Ecuadors Außenminister Holgu´ın über die schweren Unruhen in seinem Land, die linke Welle in Lateinamerika und das »größte Problem« Kokain.
Inzwischen herrscht wieder eine gespannte Ruhe in Ecuador. Aber die Folgen von 18 Tagen Aufruhr werden nachwirken. Am 13. Juni hatte der Indigenen-Dachverband Conaie begonnen, gegen Verschlechterungen der Lebensumstände der ärmeren Bevölkerungsschichten auf die Straßen zu gehen, die unter Pandemie und Inflation besonders gelitten haben. Weil nicht alle Indigenen hinter den Protesten standen und Gewerkschaften und andere linke Gruppen sich zunächst nicht anschlossen, glaubte die Regierung, die Proteste aussitzen zu können. Doch nachdem die Polizei den Conaie-Führer Leo´nidas Iza festnahm, multiplizierten sich Wut und Gewalt. Es drohte ein Chaos wie im August 2019.
Damit wieder Frieden einzieht, musste Präsident Guillermo Lasso die Treibstoffpreise um 15 Cent pro Gallone (3,8 Liter) senken sowie auf die Rückzahlung von staatlichen Kleinkrediten verzichten: eine weitere Schwächung der ohnehin fragilen Position des Präsidenten. Der Liberale wechselte in der Vorwoche den Finanzminister. Technokrat Simo´n Cuevas hatte trotz sozialer Härten die Sparvorgaben des Internationalen Währungsfonds umsetzen wollen – und wurde nun zum Schuldigen erklärt. Jetzt musste er gehen. Ein anderer blieb im Amt: Außenminister Juan Carlos Holgu´ın. Im Interview spricht er auch über die schwierige Lage in seiner Heimat.
Herr Minister, Lateinamerika hat enorme Probleme, 2019 erschütterten Unruhen den Kontinent, ausgehend von Ecuador. Danach kam die Covid-19-Pandemie und schließlich die weltweite Inflationswelle, die in allen Ländern der Region die Preise stark steigen ließ. Diesen Schwierigkeiten stehen nun in den meisten Ländern auch noch sehr schwache Regierungen gegenüber. Nur in wenigen Ländern der Region können die Präsidenten auf Mehrheiten in den Parlamenten zählen. In der Präsidialrepublik Ecuador ist die Situation besonders dramatisch, denn Creo, die Partei des Präsidenten Guillermo Lasso, besetzt nur zwölf der 137 Sitze im Parlament.
Juan Carlos Holgu´ın: Nun, es sind schon etwas mehr. Wir konnten feste Allianzen mit einigen parteilosen Deputierten schließen. Aber ja, von Anbeginn wussten wir, dass es schwierig werden würde, zu regieren. Aber das ist nun einmal das, was uns die Demokratie abverlangt. Aus Respekt vor den demokratischen Prinzipien sind wir verpflichtet, Abkommen mit anderen politischen Gruppen zu suchen und Kompromisse zu schließen.
Vor zwei Wochen, auf dem Höhepunkt der Rebellion, überstand der Präsident Lasso ein Misstrauensvotum im Parlament. Die nötige Zweidrittelmehrheit wurde verfehlt. Trotzdem haben 80 von 137 Abgeordneten für seine Absetzung votiert – und das gerade einmal 13 Monate nach der Amtsübernahme.
Ja, das war ein klarer Versuch, die Demokratie zu destabilisieren, angeführt von der Partei des Ex-Präsidenten Rafael Correa.
Ihre Regierung hat behauptet, dass die Mobilisierung des Indigenen-Dachverbandes Conaie von Correa-treuen Kräften verschärft wurde. Haben Sie Beweise?
Die indigenen Gruppen haben öffentlich erklärt, dass es Infiltrationen von Correa nahestehenden Provokateuren gegeben hat und den Versuch eines Staatsstreiches in Ecuador.
Ihre ist die einzige marktwirtschaftlich orientierte Regierung auf dem südamerikanischen Andenbogen. Zwischen den links geführten Regionalmächten Mexiko und Argentinien haben sich in den letzten Jahren Chile, Peru, Bolivien und kürzlich auch Kolumbien für linke Präsidenten entschieden. Welche Auswirkungen hat das für Sie?
Ich denke, das ist ein guter Moment, um zu zeigen, dass man mit absolutem Respekt gegenüber dem Rechtsstaat und den demokratischen Prinzipien und der Freiheit ein Wirtschaftsmodell generieren kann, das den Wohlstand nachhaltig hebt. Womöglich hatten diese massiven Proteste so früh in unserer Amtszeit auch ihr Gutes. Denn sie haben bewirkt, dass wir unsere Politik nun deutlicher auf soziale Belange ausrichten. Wir sind sicher, dass Ecuador eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Region spielen wird.
In der Region hat der Glaube daran stark gelitten, dass die Gewinne aus Aktivitäten internationaler Konzerne wirklich an die Bevölkerung weitergereicht werden. Chile, Peru und Kolumbien waren jahrzehntelang stabil gewachsen – und doch kam es zu Volksaufständen, weil der generierte Wohlstand extrem ungleich verteilt wurde. Präsident Guillermo Lasso ist ein Ex-Bankier und eine der reichsten Personen in Ecuador. Viele – nicht nur linke – Analysen beschreiben Ihre Regierung als Repräsentanten der traditionellen weißen Oberklasse.
Das ist vor allem der Diskurs der Correa-Anhänger. Diese politische Bewegung mehrte ihre Macht nicht nur mit populistischen Praktiken, sondern auch mit illegalen Aktivitäten. Viele prominente Vertreter des „Correismo“gerieten zuletzt ins Visier der Justiz im Zusammenhang mit transnationalen Verbrechen.
Im Jahr 2008 hatte die Correa-Partei 300 Mitglieder der verfeindeten Drogenbanden Latin Kings und Los N˜etas, angeblich um Frieden zu stiften. Einige dieser Verbrecher sitzen jetzt als Volksvertreter im Parlament. 2021 bezeichnete Europol den Hafen von Guayaquil als einen der wichtigsten Ausgangspunkte für Kokainexporte nach Europa.
Das ist unser größtes Problem. Schauen Sie: Die größte Jahres-Drogenmenge, die vor unserem Amtsantritt in Ecuador aufgegriffen wurde, waren 70 Tonnen Kokain in 2020. Aber in 2021 haben wir 312 Tonnen sichergestellt. Das ist ein frontaler Kampf gegen diese Strukturen. Und weil wir wissen, dass jede Aktion
Österreich etwa 450.000 –, sollte man diese Möglichkeit nicht aus den Augen verlieren.
Herausforderungen gibt es in jedem Bereich, aber eine zentrale (politische) Frage ist sicherlich jene der Transport- und Versorgungsinfrastruktur. Hier müssen sich die zentraleuropäischen Staaten zusammentun und eine eigene Agenda entwickeln. Konferenzen wie der Summit sind für Gespräche in diesem Sinne eine sehr gute Gelegenheit.
Die internationale Konferenz wird heuer von 27. bis 30. Juli in Salzburg stattfinden und dient als Plattform für den Austausch von Ideen. Hochkarätige Führungskräfte und interessante Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft kommen zusammen, um unter dem Generalthema „Challenges“die aktuellen Herausforderungen aus verschiedensten Blickwinkeln zu diskutieren und einen Blick auf zukünftige Trends und Themen zu werfen. Salzburg Summit wird heuer zum dritten Mal veranstaltet. salzburgsummit.com
Der Beitrag wird finanziell unterstützt von der Industriellenvereinigung.