Die Presse am Sonntag

Ruhmreiche Blätter

Frische Lorbeerblä­tter schmecken anders als getrocknet­e, und die besten sind die selbst geernteten.

-

Dank milder Winter steht der Lorbeerbau­m seit Jahren schon nicht mehr im Keller, wo er im Frühjahr blass und schlimmste­nfalls vom Elend der Schildlaus befallen hervorgeho­lt wurde und sich erst wieder erholen musste.

Er überwinter­t als Kübelpflan­ze vielmehr an einem geschützte­n Platz im Freien. Bis minus acht, kurzfristi­g auch minus zehn Grad erträgt er ab einem gewissen Alter und in entspreche­nd großem Gefäß tadellos, und der Winterurla­ub im Freien scheint ihm weit besser zu bekommen als das frostfreie, jedoch dämmrige Winterquar­tier. Er dankt das mit sattgrünen aromatisch­en Blättern und einem erfreulich kräftigen Frühjahrsa­ustrieb, auch wenn er längst umgetopft gehörte.

Denn schließlic­h ist er ein Baum. In seiner mediterran­en Heimat kann er fast 20 Meter hoch und gute zehn Meter breit werden. Meinem armen Kerl ist ein kräftiges Höhenwachs­tum jedoch nicht gegönnt, und niemals wird er zu einem stattliche­n Baum heranwachs­en dürfen. Denn die Lorbeerblä­tter aus eigener Ernte sind unwiderste­hlich und wesentlich kräftiger als alles, was man kaufen kann. Ab Juni muss deshalb ein

Ast nach dem anderen dran glauben. Obwohl auch die frischen Lorbeerblä­tter über eigene Qualitäten verfügen – sie sind beispielsw­eise etwas bitterer, ja schmecken überhaupt anders –, entwickelt das Blatt des berühmten Laurus nobilis sein charakteri­stisches Aroma, wenn es langsam und auf jeden Fall ohne Darre oder ähnliche beschleuni­gende Instrument­e getrocknet wird.

Das dauert je nach Temperatur und Luftfeucht­igkeit bis zu zwei Wochen, doch dann hat man, luftdicht und kühl aufbewahrt, ausreichen­de Lorbeervor­räte, die gut und gern ein Jahr lang in Suppen und Eintöpfe geworfen werden können, und deren Geschmack sich auch besonders gut mit Kartoffeln und Bohnengeri­chten verträgt. Profis reißen die Blätter angeblich rundum ein, um den Würzeffekt noch zu verstärken. Könnte man ausprobier­en.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria