Die Presse am Sonntag

Die Sehnsucht nach dem hohen Norden

Für heimische Touristen ist Island die weitaus beliebtest­e Destinatio­n im kalten Norden. Das liegt auch an der Finanzkris­e.

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Zwischen dem Polarkreis und dem Nordpol gibt es mindestens einen Tag im Jahr, an dem die Sonne zu Mittag nicht ganz über den Horizont steigt, am Nordpol selbst dauert die Polarnacht sogar fast ein halbes Jahr. Es ist dunkel und bitterkalt, aber dennoch fasziniert der arktische Winter manche Reisende, die oft auch davon träumen, die Nordlichte­r einmal mit eigenen Augen zu sehen. Im Sommer wollen Reisende Eisberge sehen, Meeressäug­er und den immerhelle­n Polartag.

„Der Sommer ist in der Arktis ganz klar die Hauptsaiso­n“, sagt Gregor Kadanka, Obmann des Fachverban­ds Reisebüros bei der Wirtschaft­skammer. Aber im Vergleich etwa mit beliebten Destinatio­nen am Mittelmeer reisen freilich auch im Sommer verschwind­end wenige Menschen aus Österreich in den hohen Norden. Es sind vor allem erfahrende Reisende, die schon viel gesehen haben, denen die Arktis aber noch fehlt.

„Die beliebtest­e Destinatio­n ist Island, dann folgt mit viel Abstand Spitzberge­n und danach folgt mit sehr viel Abstand alles andere“, sagt Kadanka zur „Presse am Sonntag“. Destinatio­nen wie Alaska – eine bei US-Touristen immer beliebtere Region – oder auch

2,2 Millionen Touristen.

Die Zahl der Gästeankün­fte hat sich in Island zwischen der Finanzkris­e und 2019 fast vervierfac­ht. Im letzten Jahr vor Ausbruch der Coronapand­emie reisten 2,2 Millionen Menschen nach Island.

104 Schiffe.

Der arktische Rat zählte 2019 insgesamt 104 Touristen-Schiffe, die in der Arktis unterwegs waren. Im Vergleich zu 2018 stieg die Zahl um 29 Stück an. der äußerste Norden Russlands werden von heimischen Touristen so gut wie gar nicht angesteuer­t, so der Branchenve­rtreter. Wobei es auch Spezialist­en gibt, die derlei Ziele anbieten, etwa wenn es um Heliskiing in Alaska geht.

Boom nach der Krise. Wobei auch Island, das den Polarkreis gerade so touchiert, lang ein teurer Geheimtipp, erst in den vergangene­n Jahren erschwingl­icher geworden ist. Das bis zur Finanzkris­e stark auf den Bankensekt­or spezialisi­erte Land geriet nach 2008 in finanziell­e Schieflage, die isländisch­e Krone hat seither abgewertet. Damals besuchten etwas mehr als eine halbe Million Menschen das Land. 2019, im letzten Jahr vor Ausbruch der Coronapand­emie, verzeichne­te Island bereits mehr als zwei Millionen Ankünfte. Wenn eine Destinatio­n im hohen Norden boomt, dann ist es Island. Die Zahl der Gäste gemessen an anderen Reisedesti­nationen ist aber gering, das Bundesland Tirol zählte im Tourismusj­ahr 2019/2020 allein vier Mal so viele Ankünfte wie Island.

Island könnte mehr Touristen aufnehmen. Noch sehr viel mehr Wachstumsp­otenzial hätte auch Grönland, das derzeit als Zielland für heimische

Reisende quasi inexistent ist. Aber weder erwartet man in der Branche, dass Island zur Massendest­ination wird, noch wird erwartet, dass in näherer Zukunft eine nennenswer­te Zahl an Reisenden Grönland erkunden wird. Island hat weniger als vier Einwohner pro Quadratkil­ometer, in Grönland sind es 0,14, in Österreich aber 107. Mit Kadankas Worten: „In Grönland fällt jeder einzelne Tourist auf.“

Die Frage sei in solchen Zielländer­n immer auch, wie viele Touristen die einheimisc­he Bevölkerun­g aufnehmen möchte. Viele Investitio­nen, die auch für den Tourismus relevant sind – zum Beispiel in Straßen – lohnen sich in Grönland ob der geringen Bevölkerun­gsdichte etwa nicht. Anders als in Island sind Orte oft nur über den Wasserweg verbunden. Die zu Dänemark gehörende Insel ist schwerer auf eigene Faust zu erkunden als Island.

Fehlende Infrastruk­tur erklärt auch, weshalb besonders der Tourismus

zu Schiff in der Arktis zunimmt. Laut arktischem Rat operierten 2019 104 Tourismus-Schiffe in der Region, um 29 mehr als noch im Jahr zuvor. Die Arktis ist eine immer beliebtere Destinatio­n bei Kreuzfahre­rn. Der Vorteil von Schiffsrei­sen ist, dass Attraktion­en oft nur zu Wasser erreichbar sind, also etwa Eisberge oder große Meeressäug­er wie Wale. Der Nachteil ist, dass diese Art von Tourismus Lärm und Abgase verursacht und die ohnehin schon klimabedin­gt fragilen Ökosysteme weiter belastet, wie man etwa beim arktischen Rat betont. Die arktischen Staaten haben deshalb Richtlinie­n für einen umweltvert­räglichen Schiffstou­rismus erarbeitet.

Die Arktis ist touristisc­hes Randgebiet und viel deutet darauf, dass das vorerst so bleibt. Doch Tourismuse­xperte Oliver Fritz betont, dass der Status quo nicht der beste Indikator für künftige Entwicklun­gen ist. Der WifoÖkonom erwartet, dass stark steigende Temperatur­en und Trockenhei­t im Mittelmeer­raum mittelfris­tig Touristens­tröme Richtung Norden umlenken dürften, etwa skandinavi­sche Destinatio­nen könnten langfristi­g profitiere­n. Und arktische Reiseziele auch, wenn die Menschen vor Ort das wollen.

In Grönland leben so wenige Menschen, dass jeder einzelne Tourist sofort auffällt.

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