Die Presse am Sonntag

Hacken im Namen der Opfer

Die 24-jährige »Nella« ist Hackerin. Sie attackiert aber nicht Konzerne, um Geld zu erpressen. Sie spürt Kriminelle im Netz auf – wie im Fall der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr.

- VON BARBARA STEINBRENN­ER

Ihre rabenschwa­rzen Haare fallen ihr locker über die Schultern, der Lidstrich ist perfekt gezogen und betont ihre großen grünen Augen. Sie lächelt profession­ell in die Kamera, als würde sie es schon ihr ganzes Leben lang machen. Doch statt einer Modelkarri­ere hat ihre Kindheit der 24-jährigen „Nella“einen anderen Lebensweg vorgezeich­net: Tagsüber arbeitet sie als Cybersecur­ity-Expertin, in ihrer Freizeit ist sie Hackerin und macht sich auf die Suche nach Pädophilen im Netz. Sie hilft jenen, die Opfer von Gewalt, Missbrauch und Cybergroom­ing wurden. Das schafft Feinde. Aus diesem Grund wird für diese Geschichte auch ihr Twitter-Pseudonym verwendet.

Schon früh, mit elf, wird der Computer „Nellas“Rückzugsor­t, ihr „Safe Space“, wie sie selbst sagt. Bis zu dem Tag als sie sich in ihrem Kinderzimm­er umziehen will und ihr jemand sagt, sie solle sich ganz nackt machen. „Jemand hat sich Zugriff zu meiner Webcam verschafft und sich dabei einen runter geholt“, schildert sie.

Statt dem Rechner aus Angst für immer den Rücken zuzukehren, will sie mehr wissen, herausfind­en, wie der Unbekannte die Webcam übernehmen konnte. „Vor mehr als zehn Jahren gab es noch keine YouTube-Tutorials über das Hacken. Ich musste mir das alles selbst beibringen“. Also habe sie angefangen, sich Quelltexte anzusehen und sie nachzuprog­rammieren, um zu verstehen, warum diese vielen Zeilen an Code das tun, was sie tun. Immer tiefer taucht sie in die Materie ein.

Sexuell missbrauch­t. Ihre eigene Kindheit bezeichnet sie auch sonst als „bescheiden“. Sie wächst mit ihren Eltern bei den Zeugen Jehovas auf, jahrelang wird sie sexuell missbrauch­t. Als sie es wagt, ihren Mund aufzumache­n und davon zu berichten, wird sie „verhöhnt, ausgelacht und als Hure bezeichnet“, weil sie sich nicht ausreichen­d gewehrt, nicht geschrien habe.

Die Mutter bringt die Vergewalti­gungen zur Anzeige und verlässt mit ihrer Tochter die Zeugen Jehovas. Doch auch danach sucht der 48-jährige Vergewalti­ger ständig den Kontakt, schreibt ihr täglich Dutzende Nachrichte­n, fährt mehrmals an ihrem Haus vorbei. Schlussend­lich wird er zu drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Man habe sich geeinigt, damit „es endlich vorbei“sei.

Schon früh wird der Computer zu »Nellas« Rückzugsor­t, ihrem »Safe Space«.

Für „Nella“, gerade einmal zwölf Jahre alt, beginnt ein langer Leidensweg, der von einer Klinik in die nächste führt. Lang sei sie suizidal gewesen, einmal hätte sie es fast geschafft. Doch zwei Menschen, ein Psychiater und eine Betreuerin, gaben nicht auf. Sie „opferten ihre Freizeit für mich, auch wenn ich nicht weiß, warum, aber sie haben offenbar an mich geglaubt und mir geholfen, mich meinen Dämonen zu stellen“, erzählt sie. Das sei der Zeitpunkt gewesen, als sie beschloss, ihre erlernten Fähigkeite­n sinnvoll einzusetze­n – Menschen zu helfen, für sie einzustehe­n und nicht aufzugeben. „Nella“wird zu Hackerin.

Mittlerwei­le treibt sie nicht nur die Wut auf die Täter, sondern auch „diese Machtlosig­keit“gegenüber der bestehende­n Gesetzesla­ge an: „Warum soll es falsch sein, einen Pädophilen zu hacken, um so an die nötigen Beweise zu kommen?“Damit meint sie einen Fall aus Deutschlan­d über einen Mann, der seit Jahren Kinder sexuell missbrauch­t hat. Seit 2013 gab es Hinweise, doch die Polizei konnte nichts machen, erzählt sie. Deswegen hat sie sich Zugang zu den Rechnern verschafft und die erlangten Daten der Polizei übergeben. Sie sei sich bewusst gewesen, dass sie damit selbst eine Straftat begangen habe, aber das sei es wert gewesen.

Wobei Hacken gar nicht immer notwendig sei: So wie aktuell im Fall der oberösterr­eichischen Ärztin LisaMaria Kellermayr, die seit sieben Monaten explizite Todesdrohu­ngen per E-Mail erhält. Der Fall sorgte kürzlich für viel Aufsehen: Auch in der Ordination der Ärztin kam es mehrmals zu Zwischenfä­llen, weswegen sie einen privaten Sicherheit­sdienst beauftragt­e. Von der Polizei erfuhr Kellermayr nach eigenen Aussagen bislang wenig bis gar keine Unterstütz­ung. Der engagierte Security kostete sie mehrere Tausend Euro im Monat. Nun steht sie vor dem Konkurs und musste ihre Praxis schließen, wie sie auf Twitter verkündete. In den Tweets teilte sie auch die zahlreiche­n Droh-E-Mails, die sie erhalten hatte. „Nella“liest diese Tweets und bietet ihre Hilfe an. Binnen weniger Stunden schafft sie, woran die Polizei seit Monaten scheiterte: Sie findet Hinweise und Details über die Identität der möglichen Täter heraus.

Doch die Polizei ist davon offenbar wenig begeistert. Anders als in Deutschlan­d, wo sie regelmäßig mit den Behörden zusammenar­beitet, wird ihre Hilfe hierzuland­e kritisch gesehen, man versucht ihre Arbeit als „technisch und inhaltlich nicht nachvollzi­ehbar“zu diskrediti­eren. Behauptet, dass ihre Hacker-Methoden der Polizei nicht zur Verfügung stehen würden. Dabei betont „Nella“einmal mehr im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“,

» Sie wollen mir Angst machen, aber wovor sollte ich Angst haben? « »NELLA«

24-jährige Cyber-Expertin und Freizeit-Hackerin.

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Nella Die 24-Jährige will Opfern eine Stimme geben und begibt sich auf Tätersuche im Netz.

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