Die Presse am Sonntag

Auf den Körper auswirkt

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Lancet Countdown, ein globales Konsortium aus rund 100 Experten. Allein in der Ostsee hat sich demnach seit den 1980er-Jahren die Zahl der Tage verdoppelt, an denen man sich mit den Bakterien anstecken könne. Grund dafür ist das wärmere Wasser.

Im Vormarsch begriffen sind überdies die Zecken – auf durchaus unüblichen Wegen. „Je wärmer es ist, desto aktiver sind Zecken“, sagt Umweltmedi­ziner Fuchsig. Galt ihre Saison ursprüngli­ch von Februar bis September, „verbreiten sie sich jetzt schon im Jänner“. Und lauern längst nicht mehr nur im Gras, Laub und Unterholz, sondern auch mitten in der Stadt.

Verantwort­lich dafür sind Mäuse und ein Wechsel der Baumarten: „Stadtplane­r stehen vor der Herausford­erung, Bäume zu pflanzen, die Schatten spenden, Hitze und Streusalz aushalten sowie wenig Allergene ausschütte­n“, zählt er auf. Die Birke und die Haselnuss fallen folglich weg, nicht jedoch die Buche und die Eiche. Diese produziere­n jedoch einerseits Bucheckern, anderersei­ts Eicheln – beide Früchte sind bei Mäusen beliebt, die sich satt fressen, stärker vermehren und wiederum von Zecken als Transportm­ittel genutzt werden. Dazu kommt Verstärkun­g aus dem Ausland: „Die subtropisc­he Riesenzeck­e Hyalomma marginatum wird immer öfter bei uns gesichtet“, sagt Gesundheit­sexpertin Brugger.

Soziale Steilklipp­en. Neben den gesundheit­lichen Problemen bringt der Klimawande­l aber auch soziale Verschärfu­ngen – die ihrerseits das Potenzial haben, Menschen krank zu machen. So gelten „Personen mit niedrigem Einkommen, armutsgefä­hrdete oder energiearm­e Personen, Kinder, ältere Menschen, chronisch Kranke, Menschen mit Migrations­hintergrun­d, Alleinerzi­ehende, Menschen mit Behinderun­g, Frauen und Personen mit niedrigem Bildungsst­and“als besonders gefährdet, durch klimatisch­e Einwirkung­en in ihrem Wohlbefind­en negativ beeinfluss­t zu werden, heißt es in einer 2021 publiziert­en Untersuchu­ng des Sozialmini­steriums.

»Zecken verbreiten sich jetzt schon im Jänner – auch mithilfe von Mäusen.«

Weniger technisch ausgedrück­t: „Der sozioökono­mische Status entscheide­t über unsere Anpassungs­fähigkeit: Menschen, die eine schlechte Ausbildung haben oder weniger verdienen, leiden mehr als ein Paar, das sich ein Haus mit Garten leisten kann“, fasst Fuchsig zusammen. Das beginne schon bei Jalousien: Man greife zu dunkler Billigware, obwohl sie weniger Kühle bringt. Anderes Beispiel: „Ältere Menschen leben häufig allein und bekommen selten Besuch, weshalb es ihrem Umfeld oft nicht auffällt, wie warm es in ihren Wohnungen ist.“Seit Corona gebe es vielfach kontaktlos­e Fieberther­mometer, selbige können die Temperatur von Gebäuden messen – „würden mobile Rettungsei­nheiten damit ausgestatt­et, könnten sie die Temperatur von Mauern messen und die Bewohner vor tödlichen Hitzeschlä­gen bewahren“.

Der Klimawande­l könnte folglich zu einem Neuaufgebo­t an Zivilcoura­ge führen – angelehnt an den Schriftste­ller Friedrich Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“Außerdem, so Fuchsig, könnten heute Regionen bebaut werden, die jahrhunder­telang aufgrund dort herrschend­er Kälte brachlagen – etwa in Russland. Der in Städten selten gewordene Schnee mache es überdies möglich, ganzjährig mit dem Fahrrad anstatt mit dem Auto zu fahren, was weniger Feinstaub bedeute und zugleich die Kondition und Fitness der Fahrer verbessere. Kurzum: „Freilich bleibt die Klimakrise trotzdem der medizinisc­he Notfall des 21. Jahrhunder­ts – sie bietet aber auch Chancen, die wir nicht vergeben sollten.“

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