»Wenn du Nein sagst . . .«
Der Tod einer jungen Studentin hat in Ägypten überfällige Debatte über Femizide ausgelöst – und über Gewalt gegen Frauen generell.
Es geschah am helllichten Tag vor den Toren der Universität Mansoura im ägyptischen Nildelta. Ein junger Mann ging auf die Studentin Naira Aschraf zu, stach mit einem Messer auf sie ein und schnitt ihr am Ende die Kehle durch. Schockiert griffen beistehende Passanten ein, überwältigten den Mann und hielten ihn bis zur Ankunft der Polizei fest. Naira starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
Wie in vielen Fällen von Femiziden stammte der Mörder auch hier aus der Familie oder dem engeren Bekanntenkreis des Opfers. Es ist schwer, Statistiken darüber zu bekommen, wie viele Frauen in Ägypten in ihrem privaten Umfeld ermordet werden. In einem Bericht der Edraak-Stiftung für Entwicklung und Gerechtigkeit über Gewalt gegen Frauen werden jedoch 214 Fälle von im Vorjahr innerhalb der Familie, durch den Ehemann oder den ehemaligen Ehemann ermordeten Frauen aufgelistet. 51 Frauen wurden außerhalb des Familienkreises ermordet, darunter elf von Nachbarn.
Auch im Fall Naira Aschrafs kamen Täter und Opfer aus dem gleichen Dorf im Nildelta. Der Mörder hatte Naira seit Längerem gestalkt, nachdem sie sich geweigert hatte, ihn zu heiraten. Sie blockierte ihn auf Facebook und erstattete eine Anzeige. Die landete, wie meist in diesen Fällen, bei der Polizei in einer Schublade. Die junge Frau blieb schutzlos.
Derartige Frauenmorde machen in Ägypten normalerweise nur kurz Schlagzeilen, dann geht das Land wieder zur Tagesordnung über. Die Gesellschaft tut Femizide oft als eine Privatangelegenheit ab. Nur 24 Stunden nach dem Mord an Naira wurde von zwei weiteren Frauenmorden berichtet. Zwei Frauen wurden in zwei getrennten Fällen in einem Familienstreit von ihrem Bruder erstochen. In einem Fall, weil der Bruder seine Schwester für zwei Scheidungen verantwortlich machte.
Aber der Fall der Studentin Naira Aschraf bekam von Anfang an eine größere Prominenz, auch deshalb, weil der Mord in der Öffentlichkeit stattgefunden hatte. Ein Handyvideo vom Ende des Angriffs und der Überwältigung des Täters machte auf den sozialen Medien in Ägypten ebenso die Runde wie das Foto der 21-jährigen Studentin, wie sie in ihren Blue Jeans und mit ihrem gelben Hemd auf dem dreckigen Gehweg in ihrer eigenen Blutlache liegt. Die Folge war eine breite Debatte, vor allem in den sozialen Medien des Landes.
Das Nichtstun der Polizei. „Solang die Beschwerden von jungen Frauen nicht ernst genommen werden und solang diese Frauen als Troublemaker gesehen werden, die andere Mädchen anstiften, so lang wird so etwas immer wieder passieren“, sagt die ägyptische Frauenrechtlerin Nehad Abo El Komsan in einem weitverbreiteten Instagram-Video. Dass die Polizei nicht tätig wurde, sei keine Ausnahme, beklagt Shaimaa al-Tantawy, Leiterin der ägyptischen Frauenorganisation Barah Aamen,
zu deutsch „Sichere Räume“. Stalker würden oft als private Angelegenheit abgetan, erzählt sie der unabhängigen Nachrichtenplattform Mada Masr. Die Frauengruppen wehren sich seit Jahren immer wieder gegen eine Kultur, in der die Zustimmung von Frauen oft als nicht notwendig angesehen wird.
Vor zwei Jahren führte der Hit des ägyptischen Sängers Tamim Younis mit dem Titel „Wenn du Nein sagst, blüht dir etwas“zu einer öffentlichen Kontroverse. Damals warnten Frauengruppen, dass der Song ein Aufruf zur Gewalt gegen Frauen sei. Younis nahm den Titel daraufhin zwar von seinem YouTube-Kanal, aber bis heute ist er immer wieder in Clubs, auf Nilbooten oder bei privaten Partys zu hören. Ein Titel, der auch den Mörder Naira Aschrafs motiviert haben könnte.
Nur 24 Stunden nach Nairas Tod wurden zwei weitere Frauenmorde bekannt. » Stalker werden oft als private Angelegenheit abgetan. « SHAIMAA AL-TANTAWY
Scheich rechtfertigt Frauenmord. Aber der Kampf der ägyptischen Frauengruppen geht noch weiter. Sie beklagen neben der Nichtbeachtung der Polizei, wenn Frauen Anzeigen aufgeben, auch, dass in den konservativen Teilen der Gesellschaft immer wieder die Opfer statt der Täter verantwortlich gemacht werden. Auch diesmal meldete sich ein prominenter Scheich der Islamischen Al-Azhar-Universität zu Wort und machte Naira Aschrafs Kleidung verantwortlich. „Wenn dir dein Leben
Leiterin einer ägyptischen Frauenorganisation etwas wert ist, dann gehe mit einem Abbaya-Umhang aus dem Haus statt in engen Jeans, während deine Haare an deinen Wangen baumeln. Warum? Weil ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft und sie sonst nichts haben, und weil sie dich sonst schlachten werden“, kommentierte Scheich Mabrouk Attiya auf seinem Facebook-Account in einem Video, unterlegt mit dramatischer Musik.
Teile der konservativen Gesellschaft machen die Opfer verantwortlich.
Auch dieses Video verbreitete sich in Windeseile in den sozialen Medien. Doch diesmal kassierten die konservativen Apologeten der Gewalt gegen Frauen einen Rückschlag. Der Scheich wurde gleich mehrmals angezeigt. Auch der staatliche Frauenrat erklärte, dass der Scheich mit seinen Aussagen zur Gewalt und zum Mord an Frauen aufgerufen und sich damit strafbar gemacht habe.
Der besagte Scheich hat nun öffentlich erklärt, sich beurlauben zu lassen und nicht mehr in der Öffentlichkeit aufzutreten. Die Al-Azhar-Universität erließ eine Fatwa, in der die Rechtfertigung eines Mordes an einer Frau aufgrund ihrer Kleidung streng verurteilt wird. Die Debatte um Frauenmorde in Ägypten geht indes weiter. Die 21-jährige getötete Studentin ist zur Ikone geworden. „Gerechtigkeit für Naira“ist seit Tagen in den sozialen Medien in Ägypten der meistgenutzte Hashtag.
Nachahmer im Ausland. Doch auch der Mörder dient anderen als Vorbild. Wenige Tage nach dem Tod Naira Aschrafs wurde im benachbarten Jordanien die junge Studentin Iman Ershid mit fünf Schüssen getötet. Der Mörder hatte sein Opfer zuvor gewarnt: „Wenn du nicht mit mir sprichst, bringe ich dich genauso um, wie es der Typ in Ägypten getan hat.“