»Mit ihr macht man viel durch«
Die »Madame Butterfly« zieht sich durch die Karriere der Sopranistin Elena Guseva. Bei den Bregenzer Festspielen schlüpft sie heuer wieder in ihre Lieblingsrolle.
Eine Dreijährige beginnt bei der Gesangsprüfung der Mutter einfach zu singen. „Unterbrechen Sie sie nicht“, heißt es von der Jury. „Sie hat eine schöne Stimme.“Die Karriere von Elena Guseva begann früh – so will es zumindest die Anekdote, die die Sopranistin im Interview schmunzelnd erzählt. Auch wenn sie sich heute nicht an jedes Detail erinnern kann, wurde ihr berichtet, dass die Experten, die eigentlich ihrer Mutter zuhören sollten, schon damals empfahlen, sie möge doch Gesang studieren. „Mir wurde jedenfalls früh klar, dass ich mich mit Musik beschäftigen möchte“, sagt die russische Sängerin, die heute an Häusern wie der Wiener Staatsoper, der Bayerischen Staatsoper München, der Ope´ra de Lyon und der Mailänder Scala auftritt – und bei den heurigen Bregenzer Festspielen in der Titelrolle der „Madame Butterfly“zu sehen und hören sein wird.
Der Pfad zur Gesangskarriere führte dennoch über einen Umweg. Ihr eigentlicher Berufswunsch war es, Ärztin zu werden: „Einerseits waren meine Eltern aber anderer Meinung – und wie immer entscheiden bei Minderjährigen auch die Eltern mit –, andererseits war ich in Chemie im Gymnasium zu schlecht.“Die Liebe zur Musik war aber immer da, auch sang sie in Schulaufführungen oft die Hauptrolle. Als Studium wählte sie vorerst jenes zur Chorleiterin. „In meiner Heimatstadt, Kurgan, gab es kein Theater und keinen Konzertsaal. Die Gesangsklasse an der Fakultät wurde erst gegründet, als ich zu studieren begann, und man wusste noch nichts über die Qualität. Daher dachte ich, es sei im ersten Schritt gut, Chordirigat zu lernen.“
Davon profitiert sie auch heute noch sehr, beschreibt die Sopranistin, schließlich falle es ihr besonders leicht, musikalische Strukturen einer Partitur zu analysieren. „Ich kann mich auch viel besser in die Arbeit der Dirigenten hineinversetzen als andere, und ich verstehe besser, was sie wollen. Wenn ich heute eine Partie einstudiere, dann mache ich das oft allein, ohne Korrepetitor.“Solo zu singen – damit hörte sie aber auch während des ersten Studiums nie auf. Vielmehr trat sie schon damals bei Gesangswettbewerben an und bereitete sich auf die Aufnahmeprüfung am Moskauer Konservatorium vor, wo sie schließlich bei Galina Pisarenko studierte. Am Stanislawski-Theater in Moskau fand sie ihr erstes Engagement, bei dem sie gleich zahlreiche wichtige Rollen ausprobieren durfte. Auch die Madame Butterfly war darunter.
Eine Entdeckung. In Wien lernte man Elena Guseva kennen, als sie 2017 Polina in „Der Spieler“von Prokofieff sang, das damals erstmalig an der Staatsoper aufgeführt wurde. In der „Presse“war von Guseva als „Entdeckung dieses Premierenabends“zu lesen, man schwärmte von ihrer Ausdruckskraft und ihrem kraftvollen Sopran samt satt-dunklem Timbre. Es folgten die Aida – „mit Leuchtkraft“–, wieder CioCio-San in „Madame Butterfly“und Tatjana in „Eugen Onegin“. Zuletzt war Guseva im Jänner als Lisa in „Pique Dame“an der Wiener Staatsoper zu sehen, einer Rolle, die sie heuer auch an der Mailänder Scala alternierend mit Asmik Grigorian verkörperte.
Die Cio-Cio-San in Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“, die Guseva kürzlich auch an der Deutschen Oper Berlin gestaltete, ist für sie eine klare Lieblingsrolle: „Diese Partie ist mir vom Charakter her sehr nahe. Ich kann sie gut verstehen, sie ist sehr vielschichtig. Interessant wird das Stück auch dadurch, dass sie zu jedem ihrer Mitprotagonisten einen anderen Zugang hat.“Cio-Cio-San, genannt Butterfly, ist eine Geisha, die sich in einen amerikanischen Marineleutnant verliebt, während dieser in Nagasaki stationiert ist. Die Beziehung ist für ihn verantwortungsloses Spiel, für sie aber existenzieller Ernst, hat sie doch alle Brücken zu ihrer Familie abgebrochen. Doch Pinkerton reist ab. Auch das gemeinsame Kind, das Butterfly innig liebt, kann die beiden nicht wieder vereinen.
Verwandlung. Sie genieße besonders, so Guseva, wie viele verschiedene Seiten einer Persönlichkeit sie im Laufe der Vorstellung zeigen könne: „Es gibt viele Opern, in denen die Charaktere gleich oder zumindest ähnlich bleiben, hier aber macht die Figur eine riesige Verwandlung durch. Man zeigt eine große Amplitude des Lebens – vom jungen naiven Mädchen bis zur gezeichneten Frau, die sich bewusst das Leben nehmen will. Ich liebe, dass man hier mit ihr so viel durchmachen kann.“
Ihren ersten Auftritt hatte sie mit drei Jahren – bei der Gesangsprüfung ihrer Mutter.
Die Cio-Cio-San zu singen sei auch gesund, sagt Guseva: »Sie hält die Stimme frisch.«
Butterfly wolle sie jedenfalls noch oft singen, auch wenn ihre Stimme sich zuletzt mehr in Richtung Dramatik entwickelt hat: „Diese Partie hält die Stimme jedenfalls frisch, elastisch und es ist gesund, sie öfter zu singen. Ich kehre immer gern zu ihr zurück.“Trotz der Veränderungen ihrer Stimme hofft sie, auch bei lyrischen Rollen wie Mim`ı (in Puccinis „La Bohe`me“), die sie nächste Saison an der Bayerischen Staatsoper München verkörpern wird, bleiben zu können. Auch die fremde Fürstin in „Rusalka“, die sie zuletzt an der Semperoper Dresden spielte und die sie dort auch im Winter wieder singen wird, schätzt sie sehr: „Ich liebe es, einmal einen ganz anderen Charakter darzustellen: eine Frau, der alle Mittel recht sind, um an ihr Ziel zu kommen. Das ist für mich eine neue Erfahrung.“
Ob sie eine Wunschliste für zukünftige Rollen habe? „Ja, aber einige der wichtigsten Wünsche – Elisabeth in ,Tannhäuser‘, Giorgetta in ,Il tabarro‘ und Suor Angelica in der gleichnamigen Oper – werden schon in absehbarer Zeit erfüllt.“