Die Presse am Sonntag

Unisex, Lippen, Superpop: Was Jagger

Mit seinen bald 79 Jahren muss Mick Jagger nicht mehr cool sein. Dass er es noch immer ist, verdankt sich seiner Fähigkeit zur Selbstrefl­exion.

- VON THOMAS KRAMAR

Did you walk cool in the sixties, daddy?“Das ließ Mick Jagger 1987 im Song „Primitive Cool“seine Tochter fragen. Und gleich weiterbohr­en: War das damals alles nur verrückte Mode? Oder echte Leidenscha­ft? „Oh yeah“, antwortet Jagger auf alle drei Fragen, so klar und knapp wie einst sein StonesKomp­agnon Keith Richards auf die Interviewf­rage, was er denn von Sex, Drogen und Rock ’n’ Roll halte: „Wir haben alle drei erfunden.“Mit einem breiten Grinsen natürlich.

Gewiss, so eine Gründergen­eration hat’s leicht. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sich Jagger, Richards und Co. ihre Coolness so makellos erhalten haben. Warum ihnen nicht passiert ist, was gealterten Rock’n’Rollern so leicht passiert: der Luftgitarr­en-Lächerlich­keit zu verfallen. Warum sich jeder Rising Star, siehe Harry Styles, mit ihnen vergleiche­n muss. Mehr noch: Warum sie noch nicht einmal historisch geworden sind. Das Haus in der Londoner Edith Grove, in dem sie einst in den frühen Sixties hausten (cool natürlich!) und sich den schwarzen Blues aneigneten, trägt noch immer keine Plakette, es wird renoviert, aber für Anleger, nicht als Museum.

Für die Londoner sind ihre Stones nicht museal. So hatten auch die Konzerte, die nun im Hyde Park stattfande­n, keine Aura des Abschieds. Menschen aus den Generation­en Jaggers, seiner Kinder und Enkelkinde­r starrten gleicherma­ßen neidisch und/oder erotisiert auf diesen dünnen, schnellen, nervösen Mann, der ihnen mit unverschäm­t jungmännli­cher Stimme vorsang, wie das coole Leben sein kann, soll, muss. Der seine braven Kollegen rempelte und neckte. Und sogar leutselig plauderte. Er habe sich im Hyde Park jüngst Adele angeschaut, erzählte er: „Sie ist eine fantastisc­he Sängerin, aber ich habe mehr funkelnde Gewänder als sie.“

Wie selbstiron­isch ist das denn? Und wie selbstiron­isch ist es, wenn die Stones wieder – in einer, äh, funkelnden Version – „Out of Time“im Programm haben, diesen bösen, dabei in Spuren zärtlichen Abgesang auf alle, die der Zeitgeist überholt hat? Nein, „Mother’s Little Helper“– mit der Zeile

„What a drag it is getting old“– spielen sie nicht. Das würde das Spiel sprengen, das Jagger versteht wie kein anderer Sänger des klassische­n Pop: das ernste Kokettiere­n mit möglichen Rollen. Wie wäre es, ein „Street Fighting Man“zu sein? Ein Glücksspie­ler, wie in „Tumbling Dice“? Ein Held der Tränen, wie in „Angie“? Ein rassistisc­her Lüstling, wie in „Brown Sugar“(das, weil zu anstößig, aus dem Programm gestrichen wurde)? Ein Triebtäter, wie in „Midnight Rambler“? Gar der Gottseibei­uns

Nein, Jagger hat keine Lust, in Würde zu altern. Das überlässt er Keith Richards.

selbst? Wenn Mick Jagger „Sympathy for the Devil“zelebriert, hat man jedes Mal das Gefühl, dass er gern die Worte des Mephisto nachlegen würde: „Bedenkt: der Teufel, der ist alt, so werdet alt, ihn zu verstehen!“

Altern? Nein, Jagger wird nicht gern alt, und er hat schon gar keine Lust, in Würde zu altern. Das überlässt er Keith Richards, der kann das. Der ruht in sich. Das will Jagger nicht. Wenn ihm je eine abgeklärte Haltung eingefalle­n ist (in „Time Waits for No-One“z. B.), dann hat er sie sofort selbstiron­isch hinterfrag­t. Darum glückt ihm kein Alterswerk. Er weiß zu gut: Der Teufel, der ist alt; doch der Künstler, der ist jung. Aus dem Wissen um diesen unauflösba­ren Widerspruc­h nährt sich seine Coolness. Darum ist sie wach und unsaturier­t. Und darum muss Mick Jagger „(I Can’t Get No) Satisfacti­on“singen, bis die Zeit einmal wirklich um ist für ihn. Überholen lässt er sich nicht von ihr.

Familienfü­hrung (noch bis 04.09.) Mo. bis Do., 11.30 bis 12.30 Uhr Kosten: 16 Euro pro erwachsene Person (inkl. Eintritt)

Anschließe­nd Kinderprog­ramm, 13.30 bis 15 Uhr, ab 4 Jahren, Kosten: 4 Euro pro Kind

•Mo.: Malen im Schlossgar­ten

•Di.: Bogenschie­ßen und Basteln

eines Bogens

•Mi.: Gartenspaß

•Do.: Badminton

Der Kauf ist sowohl online als auch an der Kassa vor Ort möglich!

 ?? Getty Images/Lynn Goldsmith ?? „I can’t get no . . .“: Mick Jagger, geboren am 26. Juli 1943 in Dartford bei London, seit 60 Jahren Sänger der Rolling Stones.
Getty Images/Lynn Goldsmith „I can’t get no . . .“: Mick Jagger, geboren am 26. Juli 1943 in Dartford bei London, seit 60 Jahren Sänger der Rolling Stones.

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