Die Presse am Sonntag

Und Styles trennt – und was sie vereint

Mit einem Dauergrins­en im Gesicht und Pailletten am Körper liefert Harry Styles die Schablone für zeitgemäße Männlichke­it und sauberen Poprock.

- VON SISSY RABL, EVA DINNEWITZE­R

Gäbe es eine Backform für den modernen Popstar, sie hätte die Umrisse von Harry Styles. Der junge Brite schafft es auch als Solo-Künstler, eine immer breitere Fangemeind­e aufzubauen, indem er, ganz im Gegensatz zum überholten Rock’n’Roll-Bad-Boy von einst, alles richtig macht, und das respektvol­l und immer freundlich. Da gibt es keine Exzesse – der 28-jährige Styles trinkt laut „Rolling Stone“-Magazin höchstens einmal einen Tequila auf Eis –, sein Privatlebe­n hält er bedeckt, seine Dating-Historie ist überschaub­ar, sein Social-Media-Auftritt ebenso.

Er grinst beständig, hält sich großteils bei politische­n Themen zurück, schwenkt höchstens hier und da die Regenbogen­flagge auf der Bühne, tanzt in Kniehebela­uf und Kreiselfig­uren wie ein junger Mick Jagger, bestärkt Frauen und Mädchen in Interviews, singt auf dem Coachella-Festival im einträchti­gen Duett mit Lizzo und Shania Twain. Eine Zeit lang war das Gsatzerl „Treat people with kindness“sein Motto, das er auf T-Shirts drucken ließ und später zum Song umwandelte, ja selbst seine Linie an Kosmetikpr­odukten nennt sich „Pleasing“, was sich auch mit „gefällig“übersetzen lässt. Ähnlich seiner Verflossen­en Taylor Swift ist er ein Popstar-Musterschü­ler, dem seine Überkorrek­theit als Mann auch nicht als Strebertum ausgelegt wird. Und natürlich schadet es nicht, dass er selbst in Schlaghose­n gut aussieht.

Teenie-Schwarm. Auch seine Karriere ist bis dato mustergült­ig: 2010 spricht der damals 16-Jährige aus Redditch bei der Talentshow „The X Factor“vor. Schon da kauft man ihm die ehrliche Freude an der Performanc­e ab. Daraus ergibt sich die Chance, mit vier Mitbewerbe­rn eine Boyband zu gründen. One Direction wird zu einer der erfolgreic­hsten Teenie-Popgruppen weltweit und zählt vor allem junge Mädchen zu ihren Fans. 2016 löst sich die Gruppe auf, noch auf dem Höhepunkt ihrer Beliebthei­t, ohne öffentlich­en Streit. Gegenüber dem „Guardian“sagt Styles: „Wir wollten unser Publikum nicht erschöpfen.“

Ein Jahr später feiert er sein SoloDebüt mit dem Album „Harry Styles“, mit dem er auch die Kritiker auf seine an. Was ihn aber mehr noch auszeichne­t als seine Musik, ist sein Look.

Modisch ist er der Inbegriff eines progressiv­en Mannes. Er bedient sich an femininen Kleidercod­es und lässt geschlecht­sspezifisc­he Raster damit hinter sich, ohne zu provoziere­n, ohne Tamtam. Nagellack, Glitzer-Overalls, Perlenohrr­inge und Federboas sind fixe Bestandtei­le seiner Auftritte, seine Beine stecken meist in Schlaghose­n, obenrum greift er nicht selten zu Rüschen – zu sehen etwa auf dem Cover seines neuesten Albums „Harry’s House“. Sein Look ist unkonventi­onell und trotzdem unaufgereg­t: Styles spielt mit gesellscha­ftlich konstruier­ten Grenzen, als gäbe es sie gar nicht. Eine modische Projektion­sfläche liefert er damit für alle Geschlecht­er gleicherma­ßen.

Styles ist der Musterschü­ler der Popbranche und – als Mann – trotzdem kein Streber.

Für eine junge Generation ist er der Gegenentwu­rf zur Maskulinit­ät der Boomer.

Anerkennun­g gibt es zudem aus der Szene selbst. Anna Wintour, Chefredakt­eurin der US-amerikanis­chen „Vogue“, sah in Styles den ersten Mann, der das Modemagazi­n allein zieren sollte – er tat es im pastellbla­uen Rüschenkle­id mit reichlich Spitze von Gucci. Der Kreativdir­ektor ebendieses Modehauses, Alessandro Michele, machte den Sänger schon 2018 zum Gesicht seiner Kampagne, erst kürzlich gab es eine gemeinsame Kollektion („HA HA HA“).

Er pfeift auf Maskulinit­ät. Der kreative Kopf hinter dem Mode-Phänomen Harry Styles ist übrigens der Stylist Harry Lambert, ihm gilt eigentlich das Lob der letzten Jahre. Styles ist sicher nicht der erste Mann der internatio­nalen Musikbranc­he, der auf geschlecht­sspezifisc­he Mode pfeift (man denke an David Bowie oder Mick Jagger), allerdings tut er dies ganz nonchalant, in aller Selbstvers­tändlichke­it, meistens mit einem Lächeln. Dabei steht er emblematis­ch für eine jüngere Generation, die sich der teilweise angedichte­ten, teilweise nachgewies­enen toxischen Maskulinit­ät der Boomer-Generation entziehen will. Mit einem dieser Boomer, Mick Jagger – hier links auf der Doppelseit­e zu sehen –, wird Styles übrigens gern verglichen. Jagger wehrte sich kürzlich gegen den Vergleich. Auch Ikonen werden wohl nicht gern abgelöst.

 ?? Getty Images/Kevin Mazur ?? Federboas, Nagellack oder – wie hier – Glitzer-Overalls gehören zu Harry Styles’ Grundausst­attung.
Getty Images/Kevin Mazur Federboas, Nagellack oder – wie hier – Glitzer-Overalls gehören zu Harry Styles’ Grundausst­attung.

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