Wie eine Reisscheune zur Galerie wurde
Kunst verkaufen auf Ausstellungen – ist das nicht ein Tabu? Auf der Documenta wird es gebrochen: Lumbung lautet das Stichwort.
Sie hängen überall auf der Documenta: kleine Zettel mit einem Strichcode. Scannt man die Kombination mit dem Smartphone ein, landet man auf einer Galerie-Seite. Hier kann man Informationen zu verkäuflichen Werken anfragen. Klingt absurd? Definieren sich nicht Biennalen und vor allem die Documenta konträr zu Kunstmessen als verkaufsfreier Raum? Ist die Vermischung mit Kommerziellem nicht das größte Tabu auf der Documenta, wo doch der Kunstgenuss ungestört von der Gier nach Besitz gefeiert wird?
Ja. Bis heuer. Mit der Documenta Fifteen, die gerade in Kassel läuft, ist alles anders. Denn erstens handelt es sich bei den Objekten der 15.000 Teilnehmer gar nicht unbedingt um Kunst, vieles entstand in nicht näher definierten Workshops. Und zweitens steht hier sehr viel tatsächlich zum Verkauf. Lumbung Gallery heißt das Stichwort dazu. „Lumbung“ist ein populäres indonesisches Schlagwort. Es bezeichnet ursprünglich eine Reisscheune – und heute ein gemeinschaftlich ausgerichtetes Modell der Ressourcenverteilung und -nutzung. Die Kuratorengruppe Ruangrupa erhob Lumbung nun zur
Grundlage der 100-tägigen Ausstellung. Hier ist alles Lumbung − die Gruppe der 14 eingeladenen Mitglieder, die dann weitere Gäste dazuholten, sich in Lumbung Callings trafen und sich ihrer Lumbung-Werte wie Transparenz, Genügsamkeit und lokaler Verankerung versicherten.
Wer verdient hier mit? Und eben die Lumbung Gallery, die sich vom herkömmlichen Galeriensystem durch den Verteilungsschlüssel unterscheidet, wie Martin Heller betont. Zusammen mit Beat Raeber betreut der ehemalige Berliner Rechtsanwalt das Projekt. Der Hauptsitz der Lumbung Gallery ist in Zürich, wo sie vor einem Jahr The Artists gründeten: eine Internetseite für meist junge Kunst, präsentiert in temporären Sektionen, vorgeschlagen von Kuratoren. 65 Prozent des Verkaufspreises gehen an die Künstler, fünf Prozent in einen Topf, der später unter allen aus der Sektion verteilt wird, 35 Prozent an The Artists. Kuratoren erhalten 300 Euro.
In Kassel gilt ein anderer Schlüssel: Von den Einnahmen gehen 70 Prozent an die Künstler, 30 Prozent fließen in den Lumbung-Topf, über den am Ende Ruangrupa und die 14 Lumbung-Mitglieder entscheiden. Vielleicht werde eine Stiftung gegründet, erwägt Heller. Sein eigenes Honorar plus Kosten für die Anwesenheit in Kassel wird aus dem Documenta-Budget bezahlt. Eine große Herausforderung der Lumbung Gallery sei die Preisberechnung gewesen, erklärt er im Telefongespräch. Dafür addierten sie die jeweiligen Produktionskosten und die am Mindestlohn Australiens orientierte Arbeitsleistung. Australien?
Ja, dort wird von allen Ländern des in Kassel vertretenen Globalen Südens der höchste Lohn gezahlt. Auf die Summe werden noch 30 Prozent aufgeschlagen. Heraus kommt wundersamerweise in etwa jene Preisspanne, die auch im traditionellen Galerienhandel mittlerweile weltweit gilt. Zwischen 5000 und 15.000 Euro kosten etwa die Beiträge des indonesischen Geschichtenerzählers
Agus Nur Amal PMTOH. Besonders gefragt seien die kleinen Objekte von Britto Arts Trust, erzählt Heller. Die Gruppe stammt aus Bangladesch, für ihren Marktstand „Rasad“fertigten sie in Workshops in Dhaka Lebensmittel aus Keramik, Metall und Stickereien, um „zu unterstreichen, wie Lebensmittel von ihrem natürlichen Ursprung getrennt sind und nur durch chemische Veränderungen überleben können“(Katalog).
Die Preise werden bemessen am Lohn in Australien – dem höchsten im Globalen Süden.
Soll eine Biennale nicht ein verkaufsfreier Raum sein? Für viele ist das kein Widerspruch.
Inhaltlich simpel, aber hübsch anzusehen, kostet beispielsweise der in Zehnerauflage gefertigte Brokkoli pro Stück 600 Euro, die weiße Doppelbanane 220 Euro – und es gäbe schon eine Anfrage einer Institution für das gesamte Arrangement, verrät Heller. Große Nachfrage seitens der Documenta-Teilnehmer bestehe nach den Ziegeln der indonesischen Gruppe Jatiwangi Art Factory. Gegründet als Veranstalter für Video- und Musikfestivals, mittlerweile laut Eigenbeschreibung ein Tempel für „kulturell Praktizierende,