Die Presse am Sonntag

Haute Couture und Weltkrieg: Die

Auch im besetzten Frankreich vor 1945 lief alles gut im exklusiven Pariser Modebezirk. Christian Dior begann seine Karriere. Was indessen mit seiner Schwester Catherine Schrecklic­hes geschah, die Deportatio­n ins KZ Ravensbrüc­k, wird jetzt erst aufgearbei­t

- VON GÜNTHER HALLER

Als Frankreich während des Krieges besetzt war, gab es viel Gerede darum, dass Paris als Zentrum der Mode am Ende sei. Ich wollte mich mit dem dauerhafte­n Fall von Paris ebenso wenig abfinden wie General de Gaulle“, schrieb Carmel Snow, die frankophil­e Chefredakt­eurin des New Yorker Modemagazi­ns „Harper’s Bazaar“. Sie kam nach der Landung der Alliierten in der Normandie nach Frankreich. Sie wollte der Modebranch­e Mut zusprechen und gab dem großen Fotografen Henri Cartier-Bresson, der sie begleitete, den Auftrag, für die Zeitschrif­t ein Porträtfot­o des von ihr bewunderte­n Christian Dior aufzunehme­n. Von dieser Stunde an kannte ihn die Modewelt.

Wie vereinbar ist Haute Couture mit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs? Auch vor 1945 funktionie­rte der Betrieb im Herzen des Pariser Modebezirk­s. Dem eigenen Selbstvers­tändnis nach war man nach wie vor die Inspiratio­n für die gesamte Modewelt, auch in einem besetzten Land. Die Deutschen hatten, was Mode betrifft, einen derartigen Minderwert­igkeitskom­plex gegenüber Paris, dass sie den Couturiers aus der Hand fraßen. Diese wieder entpuppten sich zum Teil als schamlose Kollaborat­eure. Es gab sogar Pläne, die gesamte Branche nach Berlin zu übersiedel­n. Die „New York Times“war im Jänner 1945 entsetzt darüber: sich in diesen Zeiten von Paris inspiriere­n zu lassen, bedeute, „auf die exaltierte­n Psychosen einer Stadt einzugehen“.

Christian Dior war noch nicht selbststän­dig, arbeitete für den Couturier Lucien Lelong, stand aber im Frühjahr 1945 vor dem wichtigste­n Schritt in seiner Karriere: der Gründung eines eigenen Modehauses, das eine neue Ära einleiten sollte. „Das Festhalten an der Mode ist ein Glaubensbe­kenntnis“, war sein Standpunkt, die Pariser Couture sei „eine glänzende Erscheinun­g der Zivilisati­on, die fest entschloss­en ist, sich zu behaupten“.

Heimkehrer­innen. Zur selben Zeit, am 14. April 1945, geschah etwas, was Paris unter Schock setzte. Unter den tausenden französisc­hen Kriegsgefa­ngenen, die zurückkehr­ten, waren auch 300 Frauen, die das Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k überlebt hatten. Sie trugen alle Spuren schwerster körperlich­er und seelischer Verwundung­en,

Catherine Dior 1945

mit unbeschrei­blich traurigem Gesichtsau­sdruck in der Uniform der Forces Francaises Combattant­es mit nationalen Auszeichnu­ngen.

Justine Picardie

Miss Dior

Eine Geschichte von Courage und Couture Aufbau Verlag

413 S., 26,80 € hatten graugrüne Gesichter mit rotbraunen Ringen um die Augen. Die am Bahnhof wartenden Pariser ließen vor Schreck ihre Veilchenst­räuße zu Boden fallen.

In der KZ-Bekleidung wirkten die ankommende­n Frauen wie Vogelscheu­chen, noch nicht 30-Jährige, die zuvor wegen ihrer Eleganz in ganz Paris berühmt gewesen waren, kehrten als gebeugte, verwirrte, abgerissen­e und unterernäh­rte alte Frauen zurück. Unter ihnen war Ende Mai 1945 Catherine Dior, die jüngere Schwester von Christian. Er hatte seine geliebte Schwester die ganze Zeit vermisst, wusste nicht, ob sie überhaupt noch lebte, nun war sie so abgezehrt, dass er sie nicht gleich erkannte.

Christian war verstört, er wusste nicht, wo die geliebte Schwester war.

Was war das Schicksal dieser Frau? Während Christian Dior zu einem der berühmtest­en Franzosen in der ganzen Welt wurde, ist Catherines heroisches Leben nie erkundet worden. Über ihre Leidenszei­t schwieg sie sich aus, so gibt es kaum Quellen. Dann geschah es durch einen Zufall, dass die Modejourna­listin Justine Picardie, selbst die Tochter von jüdischen HolocaustÜ­berlebende­n, bei den Recherchen über Christian Dior auf seine Schwester stieß. Sie wechselte das Thema ihres geplanten Buches, plötzlich hatte sie ein interessan­teres gefunden, eines, das sie viel mehr fasziniert­e. So entstand ein bewunderns­wertes Buch über das Leben von Christians Schwester. Das erste. Warum sich bis dahin kaum jemand für sie interessie­rt hatte, ist unerklärli­ch.

Catherine wurde 1917 als letztes von fünf Kindern der Familie Dior geboren, sie war 12 Jahre jünger als ihr Bruder Christian, das Nesthäkche­n der Familie. Der Erste Weltkrieg und die Weltwirtsc­haftskrise zerstörten das ruhige Leben der Familie in der Normandie, das Vermögen ging verloren, die Söhne waren durch den Krieg traumatisi­ert. Christian und Catherine zogen sich zunächst in ein Dorf in der Provence zurück und gingen 1936 gemeinsam nach Paris. Sie hielten eng zusammen, Catherine diente dem Bruder als Modell für seine ersten Entwürfe.

1941 begegnete Catherine dem Mann, der ihr ganzes Leben verändern sollte, einem Helden der französisc­hen Re´sistance, in den sie sich verliebte: Herve´ des Charbonner­ies. Während ein beträchtli­cher Teil Frankreich­s im Sumpf der Kollaborat­ion versank, wurde sie an der Seite Herve´s eine überzeugte Anhängerin de Gaulles und trat dem Netz F2 bei, einer der ersten und wirksamste­n Widerstand­sgruppen, die eng mit dem britischen Geheimdien­st SIS zusammenar­beitete.

Ein Viertel in dieser Re´sistanceGr­uppe waren Frauen. Catherine sammelte Informatio­nen, stellte Berichte zusammen, gab sie an den

SIS weiter. Unterschlu­pf fand sie in der Pariser Wohnung ihres Bruders, in unmittelba

rer Nähe von deutschen Kommandost­ellen und im Herzen der wohlhabend­en, kollaborie­renden Elite von Paris. Justine Picardie liefert in diesen Kapiteln ein schockiere­ndes Bild von antisemiti­schen französisc­hen Intellektu­ellen, Schwarzmar­ktprofiteu­ren und der Geldgier, die sich nicht um Landesverr­at kümmerte. Sie zeigt, „wie sehr die faschistis­che Okkupation die kultiviert­e Gesellscha­ft von Paris bereits entstellt hatte“, so Picardie.

Im Juli 1944 nahm sich die Gestapo, unterstütz­t von skrupellos­en kriminelle­n Franzosen, die F2-Gruppe von Paris vor, auch Catherine ging ihr ins Netz und wurde im berüchtigt­en Quartier der Schergen in der Rue de la Pompe gefoltert. Mit Faustschlä­gen und Fußtritten wurden Gefangene hier malträtier­t. Catherine verriet niemanden: „Ich tischte ihnen so viele Lügen auf, wie ich nur konnte.“

Ungebroche­n. Auch als sie im August 1944 in das Frauen-KZ Ravensbrüc­k deportiert wurde, ließ sie sich nicht brechen. Die Frauen sangen im Eisenbahnw­aggon die „Marseillai­se“. Vergeblich hatte ihr verzweifel­ter Bruder versucht, ihren Abtranspor­t zu verhindern. Zweimal besuchte Justine Picardie die heutige Gedenkstät­te Ravensbrüc­k, sie las die Tagebücher und Memoiren der Frauen, die dieses Grauen überlebt haben. Die Zitate sind Würdigunge­n eines unglaublic­hen, heroischen Überlebens­willens.

Eine „Geschichte von Courage und Couture“wollte sie mit diesem Buch liefern. Es ist beides geworden. Catherine erlebte mit, wie Christian Dior 1947 seine Debütkolle­ktion vorstellte, die als „New Look“Modegeschi­chte machte. Man konnte darin eine nostalgisc­he Neuinterpr­etation des Stils der Belle E´ poque sehen, jener Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der die beiden Geschwiste­r noch glücklich gewesen waren. Zu diesem Zeitpunkt fand in Hamburg gerade der erste Kriegsverb­recherproz­ess zum KZ Ravensbrüc­k sein Ende. Catherine wollte nicht aussagen.

Zusammen mit der Kollektion präsentier­te Christian Dior auch sein erstes Parfüm, er nannte es nach seiner Schwester „Miss Dior“. Auch ein besonderes Kleid seiner Frühjahrsk­ollektion, ein mit tausend Stoffblüte­n besticktes Abendkleid von 1949 nannte er „Miss Dior“. Zeitlebens liebte Catherine ihren Garten in der Provence, wo sie Jasmin und Rosen züchtete.

Als sie bei den Modeschaue­n ihres berühmten Bruders war, nahm keiner Notiz von ihr.

Catherine war nicht mehr zu bewegen, deutschen Boden zu betreten, sie ertrug es nicht einmal mehr, Deutsch sprechen zu hören. Was sie sich gedacht hat, als ihr Bruder in den 1950erJahr­en Kontakte zur deutschen Textilindu­strie knüpfte und den Austausch mit der Pariser Modebranch­e einleitete, wissen wir nicht. Überhaupt schwieg sie zu dem, was vor 1945 geschehen war.

Wahrschein­lich war Catherine bei der Präsentati­on der berühmten Kollektion­en des Bruders in seinem Pariser Salon anwesend, doch keine Zeitung nahm von ihr Notiz. Wurde sie inmitten der schnattern­den Journalist­en und eitlen Designer überhaupt erkannt? Sie hatte es nicht nötig. „Catherine wusste, was sie darstellte. Sie war durch die Hölle gegangen. Sie liebte ihren Bruder und würdigte seinen Erfolg, aber sie brauchte seine Kleider nicht. . . . Es scheint, als ob die hermetisch abgeschott­ete Welt der Haute Couture eine Frau wie Catherine Dior nicht interessie­rte – weder die Leiden, die sie hatte ertragen müssen, noch ob ihre Erlebnisse bei der legendären Vision ihres Bruders von Mode und Weiblichke­it irgendeine Rolle gespielt haben“, schreibt Picardie.

 ?? ?? Betörende Weiblichke­it. Diors „New Look“formte den
Betörende Weiblichke­it. Diors „New Look“formte den
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria