Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

Meldungen vom nahenden Papst-Rücktritt sind stark übertriebe­n. Sie dürften der Kategorie Wunschdenk­en zuzuordnen sein. Vor oder in einer Zeitenwend­e befindet sich die katholisch­e Kirche dennoch.

- RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE VON DIETMAR NEUWIRTH

Jahrhunder­telang wussten Katholiken bestenfall­s den Namen ihres Papstes. Zu Gesicht bekommen haben sie den Pontifex maximus außerhalb Roms nie. Das sollte sich durch Fernsehen und die ausgelebte Reiseleide­nschaft Johannes Pauls II. einschneid­end ändern. Dass sich der Papst Fragen in Interviews stellt, von denen zuletzt gleich zwei in der abgelaufen­en Woche publiziert wurden, überrascht beim unkonventi­onellen Franziskus dann gar nicht mehr.

Darin gibt der 85-Jährige über seinen sich bessernden Gesundheit­szustand (das Knie, immer wieder das Knie!) ausführlic­h Auskunft und zerstört, scheinbar nebenbei, etliche Hoffnungen. Nein, nicht die vielen Hoffnungen auf diese und jene Änderungen in der katholisch­en Kirche. Gemeint sind Hoffnungen von Gruppen, die genau das Gegenteil wollen, die sich gegen Änderungen – außer rückwärtsg­ewandte – sperren und denen Papst Franziskus zu links, modernisti­sch und theologisc­h wenig reflektier­t erscheint. Sie haben sich an Spekulatio­nen delektiert oder sie sogar gestreut, der Papst könnte vor seinem Rücktritt stehen.

Eben dieser Chef der Weltkirche hat nun wieder einen interessan­ten Schritt gesetzt. Wie er in einem Interview mit der internatio­nalen Nachrichte­nagentur Reuters ankündigt, sollen künftig bei der Auswahl neuer Bischöfe in der zuständige­n Kongregati­on nicht nur andere Bischöfe mitwirken, sondern auch zwei Laien, zwei Frauen. Für die große Mehrheit auch der Katholiken ist dieses Reförmchen kaum eine Erwähnung wert. Allenfalls würde die bisherige exklusive Männerherr­schaft als Anstoß erregende Antiquiert­heit gesehen werden. Für die Kirche ist die Neuerung tatsächlic­h Neuland.

Der Papst weist sich als Meister der Praxis der kleinen Nadelstich­e aus, die der Jesuit gegen seine erzkonserv­ativen, jedem Zeichen der Zeit gegenüber blinden Widersache­r an der vatikanisc­hen Kurie, aber auch in manchen Bischofsko­nferenzen setzt. Es ist gleichzeit­ig die Taktik der kleinen Schritte, die der Papst vollzieht – relativ unbeirrt von Zurufen, egal woher, stets (so zumindest einmal die Unterstell­ung) ein klares Ziel vor Augen. Wir werden so Augenzeuge­n einer Zeitenwend­e.

Eine mehr als naheliegen­de Analogie drängt sich auf. Genauso wie der Papst zuletzt wieder den Rollstuhl verlassen und ohne Stütze vorsichtig­e Schritte machen konnte, will er auch der katholisch­en Kirche mehr Beweglichk­eit ermögliche­n. Langsam geschieht das, mit Bedacht, Schritt für Schritt. Das mag Eiligeren alles viiiiiiiel zu langsam sein. Nur übersehen sie dabei womöglich die Gefahr des Stolperns bei höherem Tempo. Eine Kirche, die wankt und ins Stolpern gerät, kann allzu leicht in Brüche gehen.

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