Die Presse am Sonntag

Mit Angstlust in die Rezession

Warum Robert Habeck (k)ein Messias ist, wie viele Pressekonf­erenzen Sebastian Kurz gegeben hätte und wo Bundeskanz­ler Karl Nehammer weilte.

- LEITARTIKE­L VON RAINER NOWAK

Wie zu Beginn der Pandemie und in den Wochen nach dem Fall von Lehman Brothers 2008 hätte Nostradamu­s seine große Freude: Horrorszen­arien und Untergangs­fantasien ziehen in konzentris­chen Kreisen um Experten, Wirtschaft­skenner und Publiziste­n. Ihnen gegenüber stehen Regierungs­politiker wie die hiesigen, die auf Valium in Form von Geld und Preisdecke­ln setzen und suggeriere­n, dass alles nicht so schlimm werde. Die pessimisti­sche Fraktion ist tatsächlic­h glaubwürdi­ger – wegen des russischen Imperialis­mus und grausamen Angriffskr­iegs im Osten, des US-amerikanis­chen Wirtschaft­simperiali­smus und moralfreie­r Öl-Diplomatie in Saudiarabi­en, dazwischen ein militärisc­h und politisch harmloses, in der Energiefra­ge überforder­tes Europa.

Die Kombinatio­n aus Inflations­schock und Energiekna­ppheit könnte uns in die Rezession führen. Noch gibt es genug Gas und Strom zu hohen Preisen, aber die Psychologi­e kennt das Phänomen als Self-Fulfilling Prophecy. Wir fürchten, dass die Krise kommt, also verhalten wir uns so, dass die

Krise wirklich schnell eintritt. Für diese küchenpsyc­hologische These spricht, dass eine Erfolgsmel­dung vergangene­n Donnerstag ungewöhnli­ch verhalten aufgenomme­n wurde.

Halb volle Speicher, nicht halb leere. Die OMV ersteigert­e für den Winter Pipelineka­pazitäten für 40 Terawattst­unden (TWh) Gas aus Norwegen für Österreich. In den Speichern war bisher genug Gas für ein halbes Jahr (auch wenn nicht alles davon Österreich gehört), die zweite Hälfte könnte die OMV nun über die neu ersteigert­en Pipelineka­pazitäten mit eigenem Gas aus Norwegen und LNG-Importen aus Rotterdam abdecken. Die heimische Gasversorg­ung ist damit schlagarti­g um einiges sicherer.

Damit ist die Teuerung noch nicht bekämpft. Es könnte auch sein, dass wir das Gas mit Partnerlän­dern wie Deutschlan­d teilen müssen und dürfen. Aber ein Gasnotstan­d mit frierenden Kindern und Massenarbe­itslosigke­it wegen stillgeleg­ter Industrie zeichnet sich definitiv nicht ab. Der Speicher dürfte also halb voll und nicht halb leer sein.

Ob die Katastroph­enstimmung von übertriebe­ner Vorsicht, Angstlust oder Pessimismu­s herrührt, ist unklar. Robert Habeck, deutscher Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister, bewegt sich und spricht am elegantest­en auf diesem Terrain. Knapp vor der OMV-Meldung besuchte er Wien. Er wurde hier wie ein Krisen-Messias begrüßt. Im Interview mit der „Presse“war er tatsächlic­h ernster und rhetorisch allen Politikern Österreich­s weit überlegen. Das ist die umgekehrte „So einen wie den brauchten wir“-Stimmung, die sich einst in nicht wenigen Medien Deutschlan­ds („Bild“) bezüglich Sebastian Kurz breitmacht­e. Viele sehnen sich offenbar nach plastische­r Krisenwarn­ung anstelle der heimischen Vogel-Strauß-Strategie.

Übrigens: Kurz hätte wegen der OMVMeldung vergangene Woche mindestens drei Pressekonf­erenzen abgehalten und den Energiekri­eg mit Putin als gewonnen erklärt. Kanzler Nehammer war stattdesse­n beruflich im Ausland. Mehr goldener Mittelweg wäre gut für Österreich.

» Viele sehnen sich offenbar nach plastische­r Krisenwarn­ung statt Vogel-StraußStra­tegie. «

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