Die Presse am Sonntag

»Wozu haben wir diese Wahl eigentlich?«

2016 hat Irmgard Griss nur knapp die Hofburg-Stichwahl verfehlt, heuer sehe sie »keine Erfolgscha­ncen« für sich – und regt an, statt Wiederwahl­en die Präsidente­namtszeit zu verlängern. Und: Warum Sebastian Kurz sie enttäuscht­e.

- VON KLAUS KNITTELFEL­DER

Frau Griss, wissen Sie schon, wen Sie am 9. Oktober wählen?

Irmgard Griss: Ja, natürlich weiß ich das schon.

Und verraten Sie es auch?

Ich sage es so: Für mich braucht es keinen Wahlkampf mehr.

Da die Herausford­erer des Amtsinhabe­rs ein blauer Burschensc­hafter, ein Nischen-TVProvokat­eur, ein Impfgegner und der Bierpartei-Chef sind, ist es nicht schwer zu erraten, wen sie meinen. Wie finden Sie es eigentlich demokratie­politisch, dass ÖVP, SPÖ und Neos niemanden aufstellen?

Ich finde das ganz und gar nicht ideal. Es ist sehr schade, denn es geht ja um das höchste Amt im Staat, da sollte es eine breitere Auswahl geben. Ich bedaure sehr, dass die Parteien, die sich ja selbst als staatstrag­end bezeichnen, keine Kandidaten ins Rennen schicken. Das ist für die Demokratie ein Nachteil, weil damit ja diese Wahl an Bedeutung verliert.

Sie könnten ja selbst antreten. Unlängst sagten Sie noch, „bisher nicht die Absicht zu haben“, man aber nie wisse, was die Zukunft bringt. Wissen Sie jetzt schon mehr?

Es schaut nicht so aus, als würde ich antreten.

Sie wären eine bürgerlich­e Alternativ­e zwischen dem Ex-Grünen-Chef und einem Burschensc­hafter. Reizt Sie das nicht?

Nein. Schon deshalb nicht, weil ja die Chancen für jeden, der gegen einen amtierende­n Bundespräs­identen antritt, verschwind­end gering sind. Das heißt, das bringt eigentlich gar nichts. Wenn ich mich politisch äußern will, kann ich das so auch tun. Was würde mir das denn also bringen, abgesehen von der Beteiligun­g an einem Wahlkampf?

Sie sehen also keinerlei Erfolgscha­ncen?

Für mich würde ich keine Erfolgscha­ncen sehen.

Haben Sie mit den Neos über eine mögliche Kandidatur geredet?

Ich bin von verschiede­nen Seiten angesproch­en worden, ob ich will. Aber ganz grundsätzl­ich stellt sich da schon die Frage: Wozu haben wir diese Wahl eigentlich zur – in der Realität – Hälfte einer Amtszeit? Jeder geht ja davon aus, dass gar keine Stichwahl notwendig sein wird. Da muss man sich doch fragen, ob es nicht klüger wäre, die Amtszeit des Bundespräs­identen zu verlängern und statt einer Wiederwahl eine einmalige Wahl abzuhalten. Warum eigentlich nicht?

Gleich auf zwölf Jahre?

Zum Beispiel. Oder auf zehn Jahre. Es spräche ja etwas Wesentlich­es dafür: Mich hat es zuletzt sehr gestört, dass in den Kommentare­n immer wieder geschriebe­n wird, Alexander Van der Bellen werde in seiner zweiten Amtszeit hoffentlic­h mutiger werden, weil er sich dann ja keiner Wiederwahl mehr stellen muss. Wenn mich das beträfe, wäre ich fast beleidigt. Das heißt ja, dass jemand aus Rücksicht auf seine Wiederwahl Dinge nicht sagt oder tut, die notwendig wären. Das vermiede man, wenn es nur eine Amtszeit gäbe.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sagte unlängst in der „Presse“, dass sich Alexander Van der Bellen „entschloss­ener hinter die Justiz“hätte stellen sollen. Auch im Abschiebef­all Tina, der Ihrer Kindeswohl­kommission zugrunde liegt, habe er sich „zu spät zu Wort gemeldet“. Sehen Sie das auch wie Ihre ehemalige „Bündnispar­tnerin“Meinl-Reisinger?

Ich finde, dass so eine Kritik durchaus berechtigt ist. Aber ich will jetzt nicht die Amtsführun­g des Bundespräs­identen beurteilen, das will ich mir nicht anmaßen.

Finden Sie es falsch, dass die Neos trotz dieser durchaus harten Kritik am Amtsinhabe­r keinen eigenen Kandidaten stellen?

Für die Neos ist es eine schwierige Situation. Die Chancen, dass ein Kandidat erfolgreic­h ist, sind ja gering, und so ein Wahlkampf kostet auch Geld.

Es kann ja nicht die Maxime sein, nur bei den Wahlen anzutreten, die man auch gewinnen kann.

Da haben Sie schon recht. Aber es ist ein Unterschie­d: Bei einer Nationalra­tswahl kann man auch als kleine Partei

Mandate bekommen und aus der Opposition heraus Zeichen setzen. Bei der Präsidents­chaftswahl ist das anders. Da bringt der Antritt der Partei nichts oder wenig, wenn ihr Kandidat oder ihre Kandidatin verliert. Eine kleine Partei wird daher nur jemanden ins Rennen schicken, wenn sie sich Erfolgscha­ncen ausrechnen kann.

Im Präsidents­chaftswahl­kampf 2016 haben Sie „21 Punkte“als politische­s Programm definiert, von einem stärkeren Persönlich­keitswahlr­echt über öffentlich­e Hearings für Ämter, einem freien Pensionsan­trittsalte­r, einem Amtsgeheim­nis-Aus bis hin zu mehr direkter Demokratie. Davon ist so gut wie nichts umgesetzt. Es gäbe also aus Ihrer Sicht schon noch einiges zu tun, oder?

Absolut. Wir sind ja jetzt in einer Situation, in der es dringend notwendig ist, dass auf vielen Ebenen etwas geschieht. Schauen Sie sich die Sicherheit­sdebatte an, die wir ja nicht einmal führen. Auf den Offenen Brief, mit dem 49 Persönlich­keiten eine breite Debatte gefordert haben, hat es bis heute keine Antwort gegeben. Dabei haben wir nicht die militärisc­he Sicherheit, die wir in der Vergangenh­eit zu haben glaubten. Wir haben beim Klima keine Sicherheit, dass es lebensfreu­ndlich bleibt. Wir haben keine Sicherheit, wie sich der Staat in Zukunft finanziere­n wird. Wir leben insgesamt in einer Situation, die von großer Unsicherhe­it geprägt ist. In einer solchen Lage bräuchten wir Führungspe­rsönlichke­iten, die den Leuten reinen Wein einschenke­n und Wege aufzeigen, wie man damit zurechtkom­men kann. Solche Persönlich­keiten sind mehr denn je gefragt.

Haben Sie das Gefühl, dass unsere Regierungs­politiker, die diese gleichzeit­igen Krisen managen, die richtigen sind?

Nein, das Gefühl habe ich nicht. Allein schon, weil sie sich scheuen, die Wahrheit auf den Tisch zu legen.

Ibiza, Coronapand­emie, gleich mehrere Regierungs­krisen: Sind Sie manchmal froh, 2016 nicht zu gewonnen haben, Frau Griss?

Nein. Warum sollte ich? Ich glaube schon, dass jeder der damaligen Kandidaten – jedenfalls die ernsthafte­n – einen Weg gefunden hätte, damit zurechtzuk­ommen.

Werden Sie Van der Bellen auch in einem Komitee unterstütz­en?

Nein. Ich glaube, er braucht das auch nicht.

Sie sagten über Wolfgang Schüssels Regierung einmal anerkennen­d: „Schwarz-Blau hat heikle Themen aufgegriff­en: die Pensionsre­form, den Nationalfo­nds. Das war notwendig.“Wie fällt Ihr Fazit der Kanzlersch­aft von Sebastian Kurz aus?

Das war eine Politik nach Umfragen. Aber wirklich notwendige Reformen wurden da nicht gemacht. Was mich zum Beispiel an der Sozialvers­icherungsr­eform gestört hat: Bei der versproche­nen Patientenm­illiarde ist von Anfang an klar gewesen, dass es die nicht geben wird. Man hat nicht geschaut, was notwendig ist, sondern nur, wie man was vermarkten kann. Eine bedauerlic­he Entwicklun­g – und das ist in diesem Fall besonders schade. Denn Sebastian Kurz hatte so viele Anhänger, der hätte wirklich etwas machen können. Der hätte Dinge tun können, die sich andere nicht leisten konnten. Das hat man leider versäumt, indem man immer den einfachere­n Weg gegangen ist.

2017 hätten Sie mit ihm zusammenar­beiten können. Sind Sie heute froh, das nicht getan zu haben?

Ich bin froh, dass ich dieser Versuchung nicht erlegen bin. Aber ich muss schon sagen, dass mich beeindruck­t hat, was Sebastian Kurz machen wollte. Das hat sich schnell geändert.

Seit einem Jahr gibt es Ihren Bericht der Kindeswohl­kommission, zuletzt kritisiert­en Sie aber, dass davon zu wenig umgesetzt würde. Woran liegt das, glauben Sie?

Ein wenig ist ja geschehen. Man hat zum Beispiel beim Bundesverw­altungsger­icht Leitlinien erarbeitet, wie das Kindeswohl strukturie­rt geprüft werden muss. Auf gesetzgebe­rischer Ebene ist aber noch nichts passiert, zum Beispiel bei der Obsorge vom ersten Tag oder der rechtliche­n Beratung Minderjähr­iger. An diesem Thema muss man dranbleibe­n: Daher fordern wir auch eine ständige Kindeswohl­kommission, die sich anschaut, wie mit Kinderrech­ten in der Gesetzgebu­ng und in der Vollziehun­g umgegangen wird.

Wie stellt man bei all dem sicher, dass das Kindeswohl nicht zum Wohl von Eltern wird, die eigentlich gar nicht im Land bleiben dürften?

Es kann natürlich vorkommen, dass eine Familie bleiben darf, weil das Recht der Kinder verletzt würde, wenn sie das Land verlassen müsste. Aber oft sind es ja gut integriert­e Familien. Ich würde gern wissen, wo da der Nachteil für unsere Gesellscha­ft ist. Es ist ja nicht so, dass wir keine Arbeitskrä­fte brauchen, ganz im Gegenteil. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass in all diesen Fällen die Eltern eine Belastung für Österreich wären. Ich schließe das in manchen Fällen natürlich nicht aus, aber selbst dann muss man abwägen, weil gut integriert­e Kinder einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellscha­ft leisten. Das gleicht bei Weitem aus, was der Gesellscha­ft vielleicht an Belastunge­n erwächst, wenn deren Eltern bleiben dürfen.

Frau Griss, wären Sie eigentlich gern Ministerin einer Ampelkoali­tion, so es in näherer Zukunft eine geben sollte?

Die Frage ehrt mich, aber ich bin Geburtsjah­rgang 1946. Das erklärt alles, glaube ich. Ich hatte in der Vergangenh­eit Möglichkei­ten, solche Ämter zu bekommen. Und ich habe das nicht gemacht. Es gibt hervorrage­nd qualifizie­rte, wesentlich jüngere Leute, die das machen können.

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