Warum Nehammer kein Habeck ist
Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck gilt als neuer Maßstab in politischer Rhetorik. Neben ihm wirken österreichische Politiker vergleichsweise blass.
Zuerst überraschte Nehammer beim ÖVP-Bundesparteitag mit der umstrittenen Aussage: „So viele Viren [...], aber das kümmert uns jetzt nicht mehr.“Wenig später folgte der nächste verbale Ausrutscher. Beim Tiroler Parteitag empfahl er für den Umgang mit der Teuerung „Alkohol oder Psychopharmaka“, wobei er Ersteres für „grundsätzlich okay“hielt. Die Aussagen hinterließen Verärgerung und vor allem die große Frage: War das ernst gemeint?
Eher nicht, attestiert die Sprechtrainerin und Kommunikationsstrategin Tatjana Lackner. Wahrscheinlich werde Nehammer gerade aus der Partei gesagt: „Schau, dass du leutselig, unmittelbarer, bürgerlicher bist“, vermutet Lackner. Wenn Politikerinnen und Politiker in angespannten Situationen versuchen, die Stimmung zu lockern, sei das meist besser gemeint als gemacht, findet die Expertin.
Missglückte Witze auf Kosten gewisser Personengruppen seien keine schöne Optik für einen Kanzler, sagt auch Rhetoriktrainer und KeynoteSpeaker Gabriel Schandl. Insbesondere nicht im Lichte des ÖsterreichBesuchs des deutschen Vizekanzlers Robert Habeck (Grüne), dem medial zugeschrieben wird, durch seine lockere Art eine „Zeitenwende“in der politischen Kommunikation einzuleiten. So spricht Habeck etwa Dinge „In Your Face“direkt an oder lässt Jugendwörter wie „Alter“in TV-Diskussionen einfließen.
Aus zweiter Reihe. Österreichs Bundeskanzler sei hingegen kein Charismatiker, hält Lackner fest. „Nehammer ist ein Mann aus der zweiten Reihe.“Das könne man ihm auch nicht vorwerfen. Man müsse sich stattdessen die Frage nach Alternativen stellen. Schließlich gebe es in Österreichs Repertoire an politischem Personal mittlerweile kaum noch Personen, die über Jahre hinweg für den Job ausgebildet wurden. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) oder Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) würden den Kanzlerjob auch nicht besser machen, vermutet Lackner.
Auch im Vergleich zum „theoretisch ausgebildeten Diplomaten“Alexander Schallenberg mache sich aber Nehammer gut. Kleine Erinnerungshilfe: Der jetzige Außenminister hatte im Winter vergangenen Jahres rund zwei Monate das Kanzleramt inne. Auch er leistete sich den einen oder anderen rhetorischen Fehler. So war ihm etwa von der Opposition vorgeworfen worden, sich nicht klar genug gegen das „System Kurz“zu positionieren. Seine zwanghafte Neutralität wurde ihm als „blindes Folgen“ausgelegt. Wieder zurück im Außenministerium legte Schallenberg nach: „Wir haben 1938 erlebt, wie es ist, alleingelassen zu werden“, sagte er im Hinblick auf den Ukraine-Krieg in der „ZiB 2“und erntete vernichtende Kritik. Schallenberg betreibe Geschichtsrevisionismus und stelle Österreich als Opfer des Zweiten Weltkriegs dar, hieß es.
Schandl hat für Fehler dieser Art kein Verständnis. Der Mangel an Alternativen sei keine Entschuldigung dafür, dass man mit missglückten Witzen Menschen vor den Kopf stoße. Solche Aussagen seien eines Kanzlers nicht würdig, findet der Experte – egal, ob sie mit Augenzwinkern gemeint sind oder nicht. Außerdem gebe es auch in Österreich durchaus Beispiele für gelungene Rhetorik. FPÖ-Abgeordneter Christian Hafenecker etwa sei jemand, der sehr klar kommuniziert und auch deshalb eine große Menge an Unterstützern hinter sich hat. Auch Nationalratsabgeordneter August Wöginger (ÖVP) sei durchaus ein „Freund klarer Worte“und spiele somit in der obersten Liga mit. Ein Robert Habeck sei aber trotzdem nicht dabei.
Das mache aber nichts, meint Tatjana Lackner. Denn im Ausland sehe es auch nicht nur rosig aus. Jemanden wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zur „Wunderikone“hochzustilisieren, sei genauso wenig glaubwürdig. Problematisch wird das laut Gabriel Schandl hierzulande auch bei Klimaministerin Leonore Gewessler. Sie wolle in erster Linie souverän wirken, „versuche“genau da aber etwas zu viel und verliere damit an Authentizität. Unter demselben Syndrom leide SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Auch sie sei fachlich kompetent, schaffe es aber nicht, ihre Inhalte ansprechend zu verpacken. Bei Gewessler komme noch hinzu, dass sie gerne beschwichtige und versucht, Dinge „schönzureden“. In diesem Punkt unterscheide sie sich auch maßgeblich von Habeck, der dafür bekannt ist, die Dinge beim Namen zu nennen. Die Bevölkerung erwarte sich von politischen Personen die Wahrheit, meint Schandl. Darum gelte das Credo: Lieber zu direkt als zu vorsichtig – und zwar auch, wenn die Wahrheit nicht einfach ist. Sie werde jedenfalls nicht besser, indem sie verschwiegen werde.
Unter Gürtellinie. Besonders problematisch wird es laut Schandl aber, wenn sich politische Figuren in Diskussionen verstricken lassen, die unter die Gürtellinie gehen – und zwar sowohl als Initiatoren als auch als Angesprochene. So geschehen unlängst zwischen Nehammer und Rendi-Wagner im Parlament. „George Bernard Shaw (irischer Schriftsteller, Anm.) sagte einmal: ,Es gibt zwar einfache Antworten auf komplexe Fragen, aber die sind meist falsch‘ – damit meinte er Sie, Frau SPÖ-Vorsitzende“, konterte Nehammer Rendi-Wagner in der Energiedebatte. Solche Sätze sorgen aber nicht für Entkräftung oder Versachlichung, meint der Experte. Es handle sich hier um eine Reaktion und nicht um eine Antwort. Denn: Wer antworte, nehme sich kurz Zeit. Wer nur reagiere, tue es sofort und aus seinen Emotionen heraus – ein unschöner Zug, bei dem beide Seiten nicht gut wegkommen. Dabei ginge es auch weitaus eleganter.
Gleichzeitig sei der Wunsch, Grenzen zu setzen, verständlich, hält
Schandl fest. Nicht zuletzt wegen Akteuren wie FPÖ-Chef Herbert Kickl herrsche im Parlament eine unglaubliche Unkultur des politischen Dialogs. Kickl sei zwar rhetorisch eigentlich gut aufgestellt, nehme sich aber durch seine wüste Art und das ständige Kritisieren der anderen selbst viel Wind aus den Segeln. Auch Habeck ist im Deutschen Bundestag konfrontiert mit Zwischenrufen. Anstatt persönlich zu werden, geht er aber gänzlich anders damit um als in Österreich üblich. Er hält kurz inne, spricht den Vorfall indirekt an und kontert dann sofort mit sachlicher, faktischer Argumentation. Im Gegensatz zu Nehammer wirke Habeck ungezwungen und lässig, genau das ist laut Schandl dessen großer Pluspunkt: Menschen würden keine abgehobenen, realitätsfremden Politiker wollen, sondern „Down-to-Earth-so-wie-wirMenschen“, die in Lösungen denken statt in Problemen.
Perfektion versus Flapsigkeit. Die Zustände in Österreich seien ein hausgemachtes Problem, findet Lackner. „Effekt-Rhetoriker“, wie es Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) oder der frühere FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache waren, hätten die Skepsis der Zuhörer zudem verstärkt. Das Vertrauen einer enttäuschten Bevölkerung wiederzugewinnen dauere eben.
Man merke, dass die viel kritisierte Message Control von Kurz und Co. nicht mehr existiere. In Deutschland oder den Vereinigten Staaten sei der Anspruch an Redner dementsprechend höher. Wenn man aber die Rhetorik der Volksvertreter ständig in der Luft zerreißt, werde bald niemand mehr diesen Job machen wollen, warnt Lackner: „Seien wir froh über das, was wir haben.“
Überraschende Beispiele für gelungene Rhetorik: Wöginger und Hafenecker.