»Das Vertrauen ist erodiert«
Epidemiologin Eva Schernhammer hält die geplante Aufhebung der Isolationspflicht für positiv Getestete für keine gute Idee. Ein solcher Schritt käme zu früh und sei zu riskant.
Alles deutet darauf hin, dass die fünftägige Isolationspflicht für positiv Getestete kommende Woche aufgehoben und durch „Verkehrsbeschränkungen“ersetzt wird. Großveranstaltungen, sensible Einrichtungen wie Spitäler und Pflegeheime sowie Innenräume, in denen nicht durchgehend Maske getragen werden kann, Restaurants etwa, müssen also zehn Tage lang gemieden werden. Begrüßen Sie dieses Vorhaben?
Eva Schernhammer: Nein, das halte ich für keine gute Idee. Auch eine asymptomatische Person kann ansteckend sein, wenn auch in geringerem Ausmaß als jemand mit Symptomen. Derzeit gibt es einfach zu viele offene Fragen und Unsicherheiten, die gegen eine Aufhebung der Isolationspflicht sprechen. Selbst dann, wenn ein solcher Schritt an Begleitmaßnahmen wie eine Maskenpflicht in Innenräumen gekoppelt wäre.
Welche offenen Fragen sind das?
Vorrangig: Wie entwickelt sich das Virus weiter, und ändert das etwas an der Wichtigkeit, Infektionsketten zu unterbrechen? Zudem müsste dem Maskentragen generell, aber auch dem „korrekten“Maskentragen in diesem Fall, eine neue Wichtigkeit zukommen. Denn was ist mit jenen, die die Maske nicht ordentlich tragen oder nur auf inkonsistente oder inkonsequente Weise? Oder die sie nicht alle acht Stunden wechseln bzw. immer dann, wenn sie feucht wird? In einem Großraumbüro beispielsweise kann niemand durchgehend eine Maske tragen, das ist unrealistisch und auch nicht kontrollierbar. Darüber hinaus ist das Vertrauen in der Gesellschaft erodiert. Niemand verlässt sich auf die Solidarität der anderen. Dazu gibt es sogar ernüchternde Daten aus Großbritannien. Zum Beispiel, dass die Einhaltung der Isolationsregeln nach dem Fall der verpflichtenden Isolation bei coronapositiven Menschen von 80 Prozent auf 50 Prozent abgenommen hat. Eine „freiwillige Isolationspflicht“funktioniert leider nur sehr beschränkt.
Das sind nachvollziehbare Gründe gegen die Aufhebung der Isolationspflicht. Aber was ist mit dem Argument der Engpässe in der systemkritischen Infrastruktur wie etwa im Gesundheitsbereich? Wegen infektionsbedingter Ausfälle beim Personal können Dienste nicht besetzt und müssen nicht dringende Operationen verschoben werden.
Gerade im Gesundheitsbereich kann doch nicht zugelassen werden, dass potenziell infektiöse Personen Kontakt zu Patienten haben, die zumeist zu vulnerablen Personengruppen gehören – Maskenpflicht hin oder her. Ja, wir brauchen ausreichend Personal. Aber von diesem Personal darf keine Gefahr ausgehen – nicht nur in Spitälern und Pflegeeinrichtungen, auch in anderen Bereichen der kritischen Infrastruktur haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz. Wir hätten ja auch keine Impfstoffe zugelassen, ohne sie gründlich zu testen. Nur, weil Bedarf bestand.
Sie sind also strikt gegen eine allfällige Aufweichung der Isolationspflicht für positiv Getestete?
Im Moment ist es zu früh für eine solche Maßnahme, sie würde das falsche Signal aussenden.
Nämlich?
Dass wir im Herbst nichts zu befürchten haben. Was uns in den kommenden Monaten erwartet, wissen wir derzeit schlichtweg nicht. Wir beobachten schon länger, dass sich die Subvarianten von Omikron der Immunantwort immer effizienter entziehen können. Wenn eine von ihnen auch noch pathogener wird, also wieder häufiger zu schweren Verläufen führt, stehen wir erneut vor einem großen Problem.
Auch, weil der Impfschutz nach und nach abnimmt. Daher halte ich Maßnahmen wie das Ende der Maskenpflicht in Innenräumen und der Isolationspflicht für positiv Getestete für zu früh und zu riskant. So weit sind wir noch nicht.
Apropos Impfschutz. Werden Sie sich eigentlich ein viertes Mal impfen lassen? Für immunkompetente Personen unter 65 Jahren liegt ja keine entsprechende Empfehlung des Nationalen Impfgremiums vor, explizit davon abgeraten wird aber auch nicht.
Ja, ich werde mich im Herbst ein viertes Mal impfen lassen. Unabhängig davon, ob bis dahin ein adaptierter Impfstoff verfügbar ist. Meine dritte Impfung erfolgte im Oktober 2021.
Sie kamen bisher ohne Infektion davon?
Ja. Vielleicht, weil ich besonders vorsichtig bin und kein Problem damit habe, in einem Supermarkt als eine von wenigen eine Maske zu tragen. Ich mache Gebrauch davon, mich proaktiv selbst zu schützen, und dadurch reduziere ich auch die Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken. Im Herbst werden wir voraussichtlich ohnehin wieder breitflächig Maske tragen müssen.
Eine Frage noch, sie ist aber sehr persönlich.
Nur zu.
Sie sind eine Wissenschaftlerin mit zwei Professuren in Österreich und den USA, haben in Harvard studiert und genießen internationales Renommee. Wie konnten Sie sich als Mitglied der Impfpflichtkommission einspannen lassen, um als Feigenblatt der Regierung die Aufhebung der missglückten Impfpflicht zu rechtfertigen? Wie können Sie das mit Ihrer Selbstachtung vereinbaren?
Das kann ich ganz einfach beantworten. Ich habe diese Aufgabe stets als sehr wichtig empfunden. Mein Zugang war immer der, dass Einschätzungen