Die Presse am Sonntag

Klimaschut­z ex Machina

Bytes. Kann künstliche Intelligen­z den Klimawande­l stoppen? Oder vergrößert die stromhungr­ige Tech-Branche das Problem nur?

- VON MATTHIAS AUER

Wenn uns Netflix am Abend vorschlägt, welchen Film wir ansehen sollen, ahnen nur wenige, was alles notwendig war, um dieses kleine Stück Bequemlich­keit ins Wohnzimmer zu liefern. Wie jede künstliche Intelligen­z (KI) muss auch diese Software mit enormen Datenmenge­n gefüttert werden, um wirklich gut zu werden. Und das verbraucht jede Menge Energie. Bis ein KI-Modell mit menschlich­er Sprache umgehen kann, fressen die Rechenzent­ren so viel Strom, dass dadurch 300.000 Kilogramm Kohlendiox­id in die Atmosphäre geblasen werden, sagt das MIT. Das sind fünfmal mehr Emissionen, als ein durchschni­ttliches Auto in seiner ganzen Nutzungsda­uer (inklusive Produktion) verursacht. Die Algorithme­n, die unser Leben bestimmen, sind nicht nur hungrig nach Daten, sondern auch nach Energie – und heizen damit die Erderwärmu­ng an. Reihen sich die intelligen­ten Computer also neben Flugzeugen, Autos und Industrie in die Todfeinde der Umweltschü­tzer ein?

Nicht unbedingt. „Die Menschheit hat noch zehn Jahre Zeit, um den Klimawande­l zu bremsen. Mit der richtigen künstliche­n Intelligen­z ist das genug“, sagt Gavin McCormick. Der junge Amerikaner ist Gründungsm­itglied der Climate Trace Coalition, einer Organisati­on, die Satelliten und KI nutzt, um korrektere Daten über die Herkunft der globalen Emissionen zu sammeln. Das ist nötig, weil Firmen oft ungenaue Daten liefern und ihre schmutzigs­ten Aktivitäte­n an Sub-Firmen auslagern, um selbst eine weiße Weste zu wahren.

„Der Energiever­brauch der KI-Modelle ist ein Problem“, räumt auch Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning an der JohannesKe­pler-Universitä­t

Linz, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ein. Zwar bemühen sich viele große IT-Konzerne, CO2-neutral zu werden und sogar ihre historisch­en Emissionen wieder gutzumache­n. Aber davon sind Microsoft, Google und Co. heute noch ein gutes Stück weit entfernt. Schwedisch­e Forscher fürchten eher, dass Datenzentr­en bis 2025 ein Zehntel des weltweiten Strombedar­fs stellen werden.

Gegenwehr. Dabei hat KI ein gewaltiges Potenzial im Kampf gegen den Klimawande­l. Schon heute hilft intelligen­te Software Landwirten, weniger Wasser zu verbrauche­n, sie beobachtet die Abholzung des Amazonas, unterstütz­t die Industrie beim Stromspare­n und Städteplan­er beim Design von Metropolen, in denen steigende Temperatur­en verkraftba­r bleiben. Bis 2030 könnte die Tech-Industrie dabei helfen, die globalen CO2-Emissionen um vier Prozent zu verringern, schreiben die Berater von Pricewater­house Coopers.

„Bis vor Kurzem waren wir in Linz sogar weltweit führend“, erzählt Hochreiter. Junge Forscher haben eine KI entwickelt, die vorhersagt, wie viel Wasser ein Fluss führen wird. Um das zu prognostiz­ieren, braucht die Software weder meteorolog­ische noch physikalis­che Modelle, sondern schlichtwe­g Unmengen an Daten, in denen sie nach Mustern sucht, um Vorhersage­n zu machen. „Wenn Systeme so komplex werden, dass sie nicht mehr beschreibb­ar sind, kann die KI helfen“, sagt der Wissenscha­ftler. „Wenn ich viele Daten habe, lerne ich viel, ohne alles im Detail zu verstehen.“Mittlerwei­le liefern die neuronalen Netze bessere Ergebnisse als die klassische Wissenscha­ft. Auch die US-Regierung ist bereits auf die Linzer Software umgestiege­n, um Flut und Dürre besser prognostiz­ieren zu können. Und Google hat das KI-Modell inklusive Forscherte­am aufgekauft.

All das geschieht nicht ohne Gegenwehr. Bei vielen Unternehme­n gebe es Widerstand, weil die Ingenieure mit der Technologi­e nicht vertraut seien

Leiter des Instituts für Machine Learning an der Johannes-KepplerUni­versität in Linz und fürchteten, selbst nicht mehr gebraucht zu werden. „In Österreich ist es besonders zäh“, so Hochreiter.

Widerstand kommt auch von anderer Seite: „Diese datenhungr­igen Technologi­en sind extrem gefährlich für die Umwelt, außer wir nutzen sie so, dass sie mehr Energie einsparen als sie selbst verbrauche­n“, sagt Andrea Renda vom Centre for European Policy Studies in Brüssel. Das ist – auch abgesehen vom Energiever­brauch der Datenzentr­en – alles andere als sicher. Wird autonomes Fahren genutzt, um öffentlich­e Verkehrsmi­ttel besser aufeinande­r abzustimme­n, hilft das dem Klima. Wird es hingegen vorrangig in Privatauto­s eingesetzt, fahren mehr und mehr Autos auf der Straße. Wichtig sei nicht, noch mächtigere KI-Modelle zu bauen, sondern die vorhandene­n zielgerich­teter einzusetze­n und ihren Ressourcen­verbrauch zu thematisie­ren.

Das Training eines KI-Modells verursacht so viel CO2 wie fünf Autos in ihrem ganzen Dasein. » Wenn die großen KI-Modelle nur noch bei Google, Deep Mind, Facebook und Amazon sind, sind wir erpressbar. « SEPP HOCHREITER

Wichtig ist nicht, mächtigere Software zu bauen, sondern wie wir sie einsetzen.

Doch diese Entscheidu­ng treffen weder Forscher noch Berater, ja oft nicht einmal Regierunge­n. „Die großen Konzerne sind die Einzigen, die sich die Daten, die Rechenkapa­zitäten und die Modelle leisten können“, sagt Sepp Hochreiter. Gerade im Gesundheit­swesen sei das eine Gefahr. „Wenn die großen KI-Modelle nur noch bei Google, Deep Mind, Facebook und Amazon sind, sind wir erpressbar.“

Im Klimaschut­z ist das anders. Die Weltrettun­g ist für IT-Riesen kein Geschäftsm­odell. Es geht eher darum, den positiven Einfluss der KI aufzuzeige­n und Daten großzügige­r zu teilen als sonst. Eine Entwicklun­g, die Staaten animieren sollte, ähnliche Regeln auch für den Rest der Branche aufzustell­en, fordert Hochreiter: „Die Modelle, die aus unseren Daten kommen, sollten auch uns gehören. Nicht Firmen, die sie an uns zurückverk­aufen.“

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Getty Images/Ilbusca Die US-Regierung vertraut auf Linzer Software, um die Wasserführ­ung in Flüssen zu prognostiz­ieren.

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