Klimaschutz ex Machina
Bytes. Kann künstliche Intelligenz den Klimawandel stoppen? Oder vergrößert die stromhungrige Tech-Branche das Problem nur?
Wenn uns Netflix am Abend vorschlägt, welchen Film wir ansehen sollen, ahnen nur wenige, was alles notwendig war, um dieses kleine Stück Bequemlichkeit ins Wohnzimmer zu liefern. Wie jede künstliche Intelligenz (KI) muss auch diese Software mit enormen Datenmengen gefüttert werden, um wirklich gut zu werden. Und das verbraucht jede Menge Energie. Bis ein KI-Modell mit menschlicher Sprache umgehen kann, fressen die Rechenzentren so viel Strom, dass dadurch 300.000 Kilogramm Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen werden, sagt das MIT. Das sind fünfmal mehr Emissionen, als ein durchschnittliches Auto in seiner ganzen Nutzungsdauer (inklusive Produktion) verursacht. Die Algorithmen, die unser Leben bestimmen, sind nicht nur hungrig nach Daten, sondern auch nach Energie – und heizen damit die Erderwärmung an. Reihen sich die intelligenten Computer also neben Flugzeugen, Autos und Industrie in die Todfeinde der Umweltschützer ein?
Nicht unbedingt. „Die Menschheit hat noch zehn Jahre Zeit, um den Klimawandel zu bremsen. Mit der richtigen künstlichen Intelligenz ist das genug“, sagt Gavin McCormick. Der junge Amerikaner ist Gründungsmitglied der Climate Trace Coalition, einer Organisation, die Satelliten und KI nutzt, um korrektere Daten über die Herkunft der globalen Emissionen zu sammeln. Das ist nötig, weil Firmen oft ungenaue Daten liefern und ihre schmutzigsten Aktivitäten an Sub-Firmen auslagern, um selbst eine weiße Weste zu wahren.
„Der Energieverbrauch der KI-Modelle ist ein Problem“, räumt auch Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning an der JohannesKepler-Universität
Linz, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ein. Zwar bemühen sich viele große IT-Konzerne, CO2-neutral zu werden und sogar ihre historischen Emissionen wieder gutzumachen. Aber davon sind Microsoft, Google und Co. heute noch ein gutes Stück weit entfernt. Schwedische Forscher fürchten eher, dass Datenzentren bis 2025 ein Zehntel des weltweiten Strombedarfs stellen werden.
Gegenwehr. Dabei hat KI ein gewaltiges Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel. Schon heute hilft intelligente Software Landwirten, weniger Wasser zu verbrauchen, sie beobachtet die Abholzung des Amazonas, unterstützt die Industrie beim Stromsparen und Städteplaner beim Design von Metropolen, in denen steigende Temperaturen verkraftbar bleiben. Bis 2030 könnte die Tech-Industrie dabei helfen, die globalen CO2-Emissionen um vier Prozent zu verringern, schreiben die Berater von Pricewaterhouse Coopers.
„Bis vor Kurzem waren wir in Linz sogar weltweit führend“, erzählt Hochreiter. Junge Forscher haben eine KI entwickelt, die vorhersagt, wie viel Wasser ein Fluss führen wird. Um das zu prognostizieren, braucht die Software weder meteorologische noch physikalische Modelle, sondern schlichtweg Unmengen an Daten, in denen sie nach Mustern sucht, um Vorhersagen zu machen. „Wenn Systeme so komplex werden, dass sie nicht mehr beschreibbar sind, kann die KI helfen“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn ich viele Daten habe, lerne ich viel, ohne alles im Detail zu verstehen.“Mittlerweile liefern die neuronalen Netze bessere Ergebnisse als die klassische Wissenschaft. Auch die US-Regierung ist bereits auf die Linzer Software umgestiegen, um Flut und Dürre besser prognostizieren zu können. Und Google hat das KI-Modell inklusive Forscherteam aufgekauft.
All das geschieht nicht ohne Gegenwehr. Bei vielen Unternehmen gebe es Widerstand, weil die Ingenieure mit der Technologie nicht vertraut seien
Leiter des Instituts für Machine Learning an der Johannes-KepplerUniversität in Linz und fürchteten, selbst nicht mehr gebraucht zu werden. „In Österreich ist es besonders zäh“, so Hochreiter.
Widerstand kommt auch von anderer Seite: „Diese datenhungrigen Technologien sind extrem gefährlich für die Umwelt, außer wir nutzen sie so, dass sie mehr Energie einsparen als sie selbst verbrauchen“, sagt Andrea Renda vom Centre for European Policy Studies in Brüssel. Das ist – auch abgesehen vom Energieverbrauch der Datenzentren – alles andere als sicher. Wird autonomes Fahren genutzt, um öffentliche Verkehrsmittel besser aufeinander abzustimmen, hilft das dem Klima. Wird es hingegen vorrangig in Privatautos eingesetzt, fahren mehr und mehr Autos auf der Straße. Wichtig sei nicht, noch mächtigere KI-Modelle zu bauen, sondern die vorhandenen zielgerichteter einzusetzen und ihren Ressourcenverbrauch zu thematisieren.
Das Training eines KI-Modells verursacht so viel CO2 wie fünf Autos in ihrem ganzen Dasein. » Wenn die großen KI-Modelle nur noch bei Google, Deep Mind, Facebook und Amazon sind, sind wir erpressbar. « SEPP HOCHREITER
Wichtig ist nicht, mächtigere Software zu bauen, sondern wie wir sie einsetzen.
Doch diese Entscheidung treffen weder Forscher noch Berater, ja oft nicht einmal Regierungen. „Die großen Konzerne sind die Einzigen, die sich die Daten, die Rechenkapazitäten und die Modelle leisten können“, sagt Sepp Hochreiter. Gerade im Gesundheitswesen sei das eine Gefahr. „Wenn die großen KI-Modelle nur noch bei Google, Deep Mind, Facebook und Amazon sind, sind wir erpressbar.“
Im Klimaschutz ist das anders. Die Weltrettung ist für IT-Riesen kein Geschäftsmodell. Es geht eher darum, den positiven Einfluss der KI aufzuzeigen und Daten großzügiger zu teilen als sonst. Eine Entwicklung, die Staaten animieren sollte, ähnliche Regeln auch für den Rest der Branche aufzustellen, fordert Hochreiter: „Die Modelle, die aus unseren Daten kommen, sollten auch uns gehören. Nicht Firmen, die sie an uns zurückverkaufen.“