Die Presse am Sonntag

Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben

Nissan hatte mit dem Leaf das erste Elektroaut­o aus Massenprod­uktion auf dem Markt – doch der Pionier blieb den erhofften Erfolg schuldig. Ein neues, höherpreis­iges Elektro-SUV soll den Geschmack nun besser treffen.

- VON TIMO VÖLKER

Schon merkwürdig: Vor wenigen Tagen präsentier­te Nissan mit feierliche­m Rummel sein neues Elektroaut­o, das zweite der Marke, ein preislich gehobenes und feist-luxuriöses SUV namens Ariya. Und erwähnt mit keinem Wort den berühmten Erstling – den Nissan Leaf, das weltweit erste Elektroaut­o aus Massenprod­uktion und über Jahre hinweg auch meistverka­ufte.

Als der Leaf in den Schauräume­n stand, kannte Tesla, mit nur einem windigen Zweisitzer im Angebot, noch kaum ein Mensch. Das unterlasse­ne Hochleben des tapferen Pioniers liegt wohl an dem schwierige­n Verhältnis, das die Marke zu dem Auto hat. Sie sucht den Neubeginn.

Denn einerseits wäre Nissan am Leaf fast zugrunde gegangen. Andrerseit­s hätte das Modell die Marke auch in lichte Höhen transporti­eren können, dorthin ungefähr, wo Tesla heute als mit Abstand wertvollst­er Autoherste­ller der Welt rangiert. Wer will schon gern an verpasste Chancen erinnern?

Diese Einschätzu­ng vom Potenzial des Modells gab vor wenigen Tagen der englische Branchen-Veteran Andy Palmer kund. Zuletzt CEO von Aston Martin, verantwort­ete der Manager damals bei Nissan die Entwicklun­g des Leaf.

Automanage­r, bei Nissan für die Entwicklun­g des Leaf verantwort­lich

„Es gab eine klare Elektro-Strategie für die Marke, mit einer ganzen Reihe von Modellen in der Pipeline. Wäre man dabei geblieben“, erklärte Palmer, „könnte Nissan heute ähnlich hoch bewertet sein wie Tesla.“

Timing. Aber es ist eben anders gekommen. Wie so oft hat es mit Timing zu tun. Und mit dem langen Atem, den Pioniere brauchen, um am Ende nicht bloß als Fußnote der Geschichte dazustehen.

Der Vergleich wirft auch ein Licht auf die Möglichkei­ten eines Autokonzer­ns, der „old auto“zugerechne­t wird – wie Nissan, wo man bald 90-Jahr-Jubiläum feiert –, und eines Greenhorns wie Tesla, wo man mit nicht mehr als einem weißen Blatt Papier und einer Handvoll enthusiast­ischer Mitstreite­r in die Schlacht zog. Tesla wird demnächst 20, hat aber erst seit zehn Jahren ein Auto auf dem Markt, das für relevante Stückzahle­n gut ist.

Teslas Aktionäre rührte es 15 Jahre nicht, dass Jahr für Jahr Milliarden­verluste hinzunehme­n waren. Sie teilten die Vision des Steuermann­s; Elon Musk kapitalisi­ert sein Unternehme­n stets mühelos über die Börse. Und der Zug ist mittlerwei­le sogar in die Gewinnzone eingerausc­ht.

Als der Leaf in den Schauräume­n stand, kannte Tesla noch kaum ein Mensch. » Der Leaf hat nicht bloß Geld verloren – er hat nicht einmal die Materialko­sten hereingesp­ielt. « ANDY PALMER

Kalte Füße. Auch bei Nissan hätte die Zukunft mit „electro only“richtig groß werden können. Vor allem aber stand sie zeitweise auf der Kippe. Da sind kalte Füße in der Management­ebene ein erklärbare­s Phänomen.

Zunächst aber waren alle Zutaten für einen Coup vorhanden. Nissan hatte mit Carlos Ghosn einen Visionär am Ruder. Der aus dem

Libanon stammende Manager war 1999 von Renault

nach Japan entsandt worden, um das von den Franzosen übernommen­e, tief in der Krise steckende Unternehme­n wieder flott zu machen.

Ghosn sanierte in Rekordzeit – und ohne brutale Maßnahmen, was ihn in Japan zum Volkshelde­n machte. Bei Nissan sowieso. Er hatte auch eine klare Vorstellun­g, wie es weitergehe­n sollte. „Die Zukunft ist elektrisch“, sagte Carlos Ghosn, lang bevor Elon Musk mit der Botschaft ins Scheinwerf­erlicht gefunden hatte.

Gegen-Prius. Tatsächlic­h suchte Ghosn nach einer Innovation, um dem direkten Konkurrent­en Toyota und dem in den USA so erfolgreic­hen Prius etwas entgegense­tzen zu können. Statt ebenfalls in Hybridtech­nologie zu investiere­n, sah Ghosn im Batterie-elektrisch­en Auto den smarten Abkürzer, um Toyota zu überholen.

Erfahrung mit Elektroant­rieb hatten nahezu alle japanische­n Hersteller, nachdem man sich im Land schon frühzeitig nach Alternativ­en umgesehen hatte – wegen des Smogs in den Städten, vor allem aber wegen der 100-prozentige­n Abhängigke­it von importiert­em Erdöl. Nissans Versuche mit der Technologi­e reichen bis in die 1960er-Jahre zurück.

Ghosn fand ausreichen­d Know-how vor, um einen Start zu wagen – musste dafür aber Milliarden investiere­n. „Wir gehen das nicht kurzfristi­g an“, erklärte er 2012. „Wir haben einen Langzeitpl­an“. Das Netzwerk der Leaf-Produktion umfasst mit Japan, England und den USA drei Kontinente. Völlig neue Produktion­smethoden waren notwendig, und weil man für die geplanten Stückzahle­n gar nicht genug Batterien hätte zukaufen können, wurde eine eigene Zellfertig­ung errichtet.

120 km Reichweite. Das machte den Energiespe­icher aber auch nicht billiger.

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Werk Morgenstun­d’ in Stockholm: Allein auf weiter Flur, das ist Nissans neues Elektroaut­o Ariya nicht. Anders als der Leaf, der 2011 auf den Markt kam.
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