Wann krähte der erste Hahn?
Zeit und Ort der Domestikation des Huhns waren lang umstritten. Nun zeigen Datierungen, dass sie vor 3600 Jahren in Thailand stattfand.
Kriton, wir schulden dem Asklepios einen Hahn. Opfert ihm den!“Das waren die letzten Worte, die der Schierling dem Sokrates erlaubte, viel wurde über sie gerätselt. Sie enthalten aber auch zwei klare Informationen: Zum einen gab es im Todesjahr des Philosophen, 399 v. Chr., in Griechenland Haushühner, und zum zweiten wurden sie nicht für den Verzehr durch Menschen gehalten, sondern Göttern dargeboten.
Andernorts galten sie selbst als höhere Wesen bzw. Vermittler des Überirdischen: Den Zoroastern in Persien kündete ihr Weckruf nicht nur vom baldigen Sieg des Lichts über die Finsternis, sondern auch von dem des Guten über das Böse; Priester in Rom lasen aus dem Appetit der Vögel das Schicksal, und als Hühner 249 v. Chr. auf dem Schiff des Generals Publius Claudius Pulcher überhaupt nichts fraßen, ließ er sie ins Meer werfen („Vielleicht wollen sie trinken“), in der anschließenden Seeschlacht gegen die Karthager verlor er 93 Schiffe; selbst auf vielen christlichen Kirchen thront der Hahn, im 9. Jahrhundert hat Papst Nikolaus I. es zur Erinnerung an die Verleugnung Christi durch Petrus angeordnet.
Symbolische Bedeutung hatte dieser Vogel also schon lang, offenbar dafür und seiner Schönheit wegen war er domestiziert worden – als exotisches Schaustück –, wohl auch der Aggressivität der Männchen wegen, Hahnenkämpfe wurden in vielen Kulturen früh dargestellt. Auf den Tisch kamen Hühner hingegen in großem Stil erst bei den Römern, in so großem, dass 162 v. Chr. in der „Lex Faunia“das Mästen verboten wurde, weil es zu viel Getreide verschlang. Findige Halter reagierten mit der Kastration von Hähnen – die dadurch Gewicht ansetzten –, andere bauten riesige Brutanstalten auf.
Mit diesem ersten Anlauf zur Massentierhaltung war es mit dem Ende Roms vorbei, in den folgenden Jahrhunderten wurden andere Geflügel bevorzugt, Enten und Gänse. Der zweite und folgenreichere kam erst zu Beginn der 1950er-Jahre, als in den USA unter Züchtern der Wettbewerb „Chicken of Tomorrow“ausgeschrieben wurde,
Sieger wurde Franco Saglio mit seiner Rasse „White Rocks“, dieses Huhn wird fünf Mal so groß und wächst drei Mal so schnell wie seine Ahnen – in der Natur und der frühen Landwirtschaft –, es ernährt heute die Menschen rund um die Erde, ist – mit 21,4 Milliarden Exemplaren (2018), die ihr eigenes Gewicht kaum tragen können und oft zu 50.000 in Ställen zusammengepfercht sind – der mit Abstand wichtigste tierische Protein-Lieferant.
Das ist das vorläufige Ende der Geschichte, zusammengetragen hat viel davon Andrew Lawler in seinem Buch „Why did the Chicken cross the World?“Und wie hat die Geschichte begonnen, wer hat das Huhn wann und wo aus wem domestiziert? Darwin sah den Ahnen in einem Mitglied der Fasanenartigen, dem höchst scheuen waldbewohnenden Bankiva-Huhn, einer Unterart von Gallus gallus spadiceus. Damit behielt er im Prinzip recht, die Details allerdings sind unklar und umstritten. Gab es wirklich nur diesen einen Ahnen? Offenbar nicht, das sieht man den beiden schon äußerlich an; Das Haushuhn hat eine andere, gelbliche Hautfarbe, sie muss von einem anderen Wildhuhn eingekreuzt worden sein, darauf hat Jonas Eriksson (Uppsala) aufmerksam gemacht (PLoS Genetics 4. 8.).
Fleischberge, Eierlegemaschinen. Das kann früh geschehen sein, vermutlich war es aber eher ein Nebenprodukt der Zucht der jüngeren Zeit, in der aus dem Wildhuhn – das ein Kilo hatte und vier bis acht Eier im Jahr legte – zwei Spezialisten wurden, ein Fleischberg und eine Eierlegemaschine. Mutationen von zwei Genen ermöglichten es, die eine änderte den Zuckerhaushalt, die andere entkoppelte die Reproduktion von den Jahreszeiten, Linus Girdland Flink (Durham University) hat es gezeigt (Pnas 111, S. 6148). Den Raum und Zeitpunkt der Abspaltung seines Ahnen von anderen Wildhühnern konnte Ming-Shan Wang (Yunnan) 2020 in einer Genomanalyse eingrenzen – es war vor 12.600 bis 6.300 Jahren in Südostasien (Cell Research 30: 693) –, das sagt aber nichts darüber, wann aus dieser Linie domestiziert wurde.
Klären können das nur archäologische Funde, und um diese entbrannte heftige Konkurrenz: Vorn lagen 10.000 Jahre alte Knochen aus China, dicht gefolgt von anderen in Indien und Pakistan, aber auch Europa kam ins Spiel mit 7000 Jahren alten aus Bulgarien. Aber alle diese Knochen sagten nichts darüber, ob sie von wilden oder von domestizierten Vögeln stammten, und, wichtiger, sie wurden meist nicht direkt datiert, man schloss aus den Fundschichten auf ihr Alter. Das öffnete dem Irrtum Tür und Tor, Masaki Eda (Hokkaido University) hat es zusammengefasst (Animal Frontiers 11, S. 3): Die vorgeblich 7000 Jahre alten Knochen aus Bulgarien waren gerade 150 Jahre alt, nicht viel besser stand es um Funde aus China, deren Authentizität auch dadurch in Zweifel geriet, dass in der Region vor 10.000 Jahren Umwelt- und Klimabedingungen herrschten, unter denen Gallus gallus nicht leben konnte (Jaqueline Pitt, Journal of Archaeological Science 74, S. 1).
Weiter im Süden wäre es möglich gewesen, in Myanmar, Laos oder Thailand. Und in Letzteres, in das 3600 Jahre alte Reis- und Hirseanbaugebiet Bon Non Wat, weist nun Joris Peters (München), der Knochen von 690 Fundstellen in 89 Ländern morphologisch prüfte – auf Charakteristika des Haushuhns – und mit Radiokarbon datierte (Pnas 6. 6.): Als die Wälder in Bon Non Wat zu Feldern wurden, fanden sich bald auch die Waldbewohner ein, die Körner pickten und sich an Menschen gewöhnten. Und von ihnen geschätzt und gehalten wurden, lang nicht zum Verzehr, frühe Knochen zeigen keine Schnittspuren, zudem fand man sie oft als Grabbeigaben für Menschen, manche hatten gar eigene Gräber.
Später wurden sie auf den Weg nach Westen gebracht, vor 4000 Jahren waren sie in Mesopotamien, vor 2800 bei den Etruskern in Italien, 1000 Jahre später in Skandinavien und England, das zeigte auch gerade Julia Best (Cardiff ), die die Ausbreitung des Huhns in Europa rekonstruierte (Antiquity 6. 6.). Und dabei das gleiche Muster wie überall auf der Erde fand: Erst Jahrhunderte nach der Einführung des Huhns landete es auch auf dem Tisch, für die Briten bezeugte es Cäsar in De Bello Gallico (5. 12): „Von einem Hasen, einer Henne oder Gans auch nur das Mindeste zu genießen halten sie für unerlaubt; doch hegen sie diese Tiere zur Lust und zum Vergnügen.“
Domestiziert wurde nicht für den Verzehr, sondern der Schönheit der Vögel wegen.
Der erste Anlauf zur Massentierhaltung kam in Rom, der zweite in den USA.