Die Presse am Sonntag

Das Kunststück wiederholt

Zum zweiten Mal in Folge stehen die ÖFB-Frauen bei der Fußball-EM im Viertelfin­ale. Der Sieg über Norwegen bezeugt die Entwicklun­g rund um die Erfolgsfak­toren von 2017.

- VON SENTA WINTNER

sterreich hat das Kunststück erneut vollbracht: Zum zweiten Mal nach 2017 hat das Nationalte­am bei einer EM-Endrunde den Einzug ins Viertelfin­ale geschafft und gehört damit zu den besten acht Teams Europas. Nach dem hochverdie­nten 1:0-Sieg über Norwegen, das den zweiten Gruppenpla­tz hinter Gastgeber England besiegelte, war auch im Falmer Stadium in Brighton wieder Party angesagt. Die Musikbox hatte einmal mehr auf der offizielle­n Pressekonf­erenz ihren Auftritt, bis das Team nach der Rückfahrt ins Quartier nach Bagshot ankam, war es halb zwei Uhr nachts – und für viele angesichts der überwältig­enden Emotionen an Schlaf nicht zu denken.

So tat Teamchefin Irene Fuhrmann laut eigener Aussage bis halb sechs Uhr früh kein Auge zu, für sie stand am Samstag ebenso wie für die Spielerinn­en Regenerati­on auf dem Programm. Am Donnerstag findet das ÖFB-Abenteuer mit dem Viertelfin­ale gegen Deutschlan­d seine Fortsetzun­g. Eine Einordnung des bisher Erreichten:

Das aktive Mitspielen auch gegen Topgegner ist Österreich­s erklärtes Entwicklun­gsziel seit der EM 2017. War der Auftakt gegen England ambitionie­rt, aber zu harmlos, rief das Team gegen Norwegen nun sein Potenzial ab. Norwegens Star-Offensive um Ada Hegerberg wurde gleich in der Anfangspha­se die Schneid abgekauft, selbst hielt man den Druck durch Pressing konstant hoch. „Die erste Halbzeit war auf den Punkt: souverän, reif, kontrollie­rt. Das war eine unserer besten Leistungen. Ich bin stolz auf das ganze Team“, resümierte Fuhrmann ihr 24. Spiel als Cheftraine­rin. „Entscheide­nd ist nicht nur, dass uns ein Sieg gegen einen besser platzierte­n Gegner gelungen ist, sondern auch das Wie.“

Denn selbst, als in der zweiten Halbzeit schon allein der Krafteinte­ilung wegen Spielberuh­igung angesagt war, verlief die Umstellung – inklusive

Wechsel auf Fünferkett­e – ohne Einbußen der Souveränit­ät. Österreich hatte Chancen auf das zweite Tor, Norwegen seine erst, als es im Finish den Frust in einen bedingungs­losen Sturmlauf packte – und Torhüterin Manuela Zinsberger mit zwei Glanztaten unterstric­h, welch sicherer Rückhalt sie ist.

Dieses Team lebt von den Emotionen, das zeigt sich nicht nur bei den ausgelasse­nen Feiern mit Musikbox, sondern in der guten Stimmung in jedem Training. Der Überschwan­g mag für manche ungewohnt sein, ist aber Teil des Erfolgsgeh­eimnisses. „Das sind Momente, an die man sich noch lang erinnern wird, da ist es in Ordnung, wenn man feiert“, sagt die Teamchefin. Die Gefahr, dadurch den Fokus zu verlieren oder abzuheben, bestehe dennoch nicht. „Als Trainerin habe ich es leicht, denn wenn nötig, ist die richtige Einstellun­g absolut da.“

Dieser intensive Zusammenha­lt ist es auch, der auf dem Platz die Extrameter gehen und in jedem Zweikampf alles geben lässt. Umgekehrt zeigte Norwegen vor, dass selbst höchste individuel­le Qualität wie sie bei Hegerberg oder Caroline Graham Hansen in der Ballbehand­lung zu sehen war, nur in einer funktionie­renden Mannschaft zum Tragen kommt. Zumal im ÖFBTeam Stammkräft­e wie Sarah Zadrazil (Bayern München), Barbara Dunst (Frankfurt) oder Nicole Billa (Hoffenheim) seit 2017 bei internatio­nal renommiert­en Klubs als Leistungst­rägerinnen ebenfalls gereift sind, für Fuhrmann bleibt dennoch entscheide­nd: „Wir treten als Einheit auf.“

Im Viertelfin­ale am kommenden Donnerstag wartet auf Österreich in Brentford das Duell mit Deutschlan­d und damit besondere Brisanz. Obwohl dieser Klassiker im Frauenfußb­all erst zum dritten Mal ausgetrage­n wird (beide Duelle zuvor verlor Österreich, zuletzt

1 Sieg gegen Norwegen

Im sechsten Duell gelang den ÖFBFrauen der erste volle Erfolg gegen die in der Weltrangli­ste zehn Plätze besser gereihten Skandinavi­erinnen (Rang 11 vs. 21).

1 EM-Tor

war es für Nicole Billa, die sich damit inklusive Endrunde 2017 bis zum achten Spiel gedulden musste.

16 ÖFB-Spielerinn­en

kamen bislang zum Einsatz. Für Barbara Dunst, Marina Georgieva, Katharina Naschenwen­g, Laura Wienroithe­r, MarieThere­se Höbinger und Julia Hickelsber­gerFüller waren es jeweils die EM-Debüts. 2018), ist die Rivalität nicht zuletzt aufgrund der vielen Deutschlan­d-Legionärin­nen im Team groß. Man kenne und verfolge einander, betonen Spielerinn­en und Trainerin unisono.

„Wir brennen auf das Duell. Es wird wieder eine Top-Performanc­e brauchen, aber wir setzten uns keine Grenzen“, so die Teamchefin. Die Herausford­erung gegen die Nummer fünf der Welt wird eine große, denn die DFB-Auswahl habe sich nach dem Umbruch unter Martina Voss-Tecklenbur­g sehr gut entwickelt. „Sie haben ganz viel Qualität, einen tollen Mix an alten und jungen Spielerinn­en.“Der Fokus wird aber wie in allen Partien auf der eigenen Spielidee liegen, das ist das Selbstvers­tändnis, das sich das ÖFBTeam über die Jahre erarbeitet hat.

DIE REIFE

DER TEAMGEIST

DER AUSBLICK

DIE ERWARTUNG

War der Aufstieg 2017 die große Sensation und versetzte das ganze Land in Ekstase, war es dieses Mal fast schon die allgemeine Erwartungs­haltung. Dass sich die Spielerinn­en von diesem Druck nicht beeinfluss­en lassen, ist für die Teamchefin ebenso ein wichtiges Qualitätsm­erkmal. „Es ist unglaublic­h, mit welcher Lockerheit sie in dieses Turnier gegangen sind. Phasenweis­e scheint es fast surreal, weil das Event so groß ist und wir trotzdem immer bei uns bleiben.“

Diese öffentlich­e Aufmerksam­keit gilt es freilich auch für sich zu nutzen. Noch mehr als 2017, als der ÖFB zu spät und langsam reagierte, sollen auf großer Bühne langfristi­ge Weichen gestellt werden. Denn so sehr sich die Rahmenbedi­ngungen für das Nationalte­am, also die Spitze, seit dem letzten EM-Höhenflug profession­alisiert haben, so sehr stagniert die Basis. „Ich hoffe wirklich, dass sich mehr für den Sport begeistern. Wir müssen immer noch mit so wenigen Spielerinn­en auskommen. Was wir daraus machen, ist fasziniere­nd, und umso höher einzuschät­zen“, so Fuhrmann. Ihr Team ist in Europas Spitze angekommen und möchte dort auch bleiben.

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