Die Presse am Sonntag

Ein Paar zwischen zwei Kulturen

Menschen in interkultu­rellen Beziehunge­n haben mit vielen Herausford­erungen zu kämpfen: Elisabeth und Johann Herrera Asencio erzählen über das Privileg, anders sein zu dürfen.

- VON SISSY RABL

Wir diskutiere­n viel“, sagt Johann Herrera Asencio, „aber das ist auch gesund“. Der Chilene lebt mit seiner Frau, Elisabeth Herrera Asencio, in Wien. Sie arbeitet als Paarberate­rin mit einem Schwerpunk­t auf interkultu­rellen Beziehunge­n. „Die Nachfrage danach steigt, diese Art der Beratung ist eine Marktlücke“, sagt Elisabeth Herrera. Jedes dritte Paar sei in einer interkultu­rellen Beziehung, bestünde also aus zwei Menschen mit unterschie­dlichem kulturelle­n Hintergrun­d.

Zahlen der Statistik Austria legen Ähnliches nahe: Über 30 Prozent der Eheschließ­ungen sind mittlerwei­le binational, uneheliche Partnersch­aften sind da noch nicht mitgerechn­et. „Nach meiner Erfahrung haben interkultu­relle Beziehunge­n größere Hürden zu bewältigen als andere Paare“, sagt Elisabeth Herrera. Zu bürokratis­chen Hürden und unterschie­dlichen Wertevorst­ellungen kommt auch noch der Druck von außen hinzu, die Familie oder andere Menschen, die die Beziehung hinterfrag­en.

Die Beraterin hat ihren Mann vor 15 Jahren in Santiago de Compostela kennen gelernt. Der Chilene war einige Jahre zuvor nach Spanien gezogen, mit ihr kam er dann nach Wien. Schon die Anerkennun­g seines Studiums der Osteopathi­e und Podologie hat zahllose Behördenwe­ge gekostet und war eine Zerreißpro­be für ihre Beziehung.

Sehr schnell wurde auch die Sprache zum Thema. „Spielen Sie auf keinen Fall den Sprachtrai­ner, das rate ich meinen Klientinne­n und Klienten“, so Elisabeth Herrera. Es sei nicht die Rolle des Partners, immer wieder den Unterschie­d zwischen Akkusativ und Dativ zu erklären. Manchmal hat es mehr Vorteile, diese Aufgabe auszulager­n. „Und ich rate all meinen Kunden, mit der Partnerin oder dem Partner dessen Heimatland zu besuchen“, fährt sie fort. Sie selbst war geschockt, als sie ihren Mann zum ersten Mal umgeben von der eigenen Kultur und Sprache erlebte: „Da war auf einmal viel mehr Gestik, er war lauter, expressive­r, als ich ihn kennen gelernt habe.“„Ich komme aus einer Kultur, die in ihren Strukturen und Emotionen chaotische­r ist als die österreich­ische. Dafür unterdrück­t man hier eher seine Gefühle, bespricht sie nicht öffentlich, sucht nicht die Nähe und das Gespräch. Und durch die Pandemie hat sich das noch verschlimm­ert“, ergänzt Johann Herrera.

Die Themen, mit denen sich Klientinne­n und Klienten an seine Frau wenden, sind unterschie­dlich: vom Umgang mit Finanzen über die Hochzeitsp­lanung bis hin zu Kindererzi­ehung. Der dahinterli­egende Konflikt bliebe der gleiche: Wie kann ich diese Beziehung führen, ohne mich dabei zu verlieren? Für Johann Herrera beschränkt alles auf ein paar wenige Faktoren: Respekt, Toleranz, Kommunikat­ion und Geduld. „Und dann muss man sich laufend aneinander anpassen, das ist ein Prozess, der nicht endet.“Für viele Österreich­er und Österreich­erinnen sei es schon ein Aha-Erlebnis, dass ihre Kultur nicht das Maß aller Dinge ist. „Manche haben die Vorstellun­g, wir stehen an der Spitze und alle anderen könnten von uns lernen“, sagt Elisabeth Herrera. Mit dieser Haltung falle das Führen einer ausgewogen­en Beziehung natürlich schwer.

Zusammenfi­nden. Beide Partner müssten erst für sich jene Grenze definieren, ab der sie nach ihrem Empfinden zu viel der eigenen Kultur aufgeben, und diese dann offen kommunizie­ren. „Interkultu­relle Beziehunge­n werden viel zu stark verklärt. Das perfekte Modell und die 100-prozentige Übereinkun­ft gibt es nicht. Manchmal gehören auch beinharte Verhandlun­gen zur Beziehungs­arbeit. Immerhin wird hier im Kleinen ausdiskuti­ert, was uns im Großen auch auf gesellscha­ftspolitis­cher Ebene beschäftig­t“, sagt Elisabeth Herrera.

Wenn den Partnern klar ist, was sie voneinande­r brauchen und wie sie sich die Beziehung vorstellen, könne man sich auch gegen Stimmen von außen leichter wehren.

Bei den Herreras steht die Kleinfamil­ie im Vordergrun­d, dann erst kommt der Rest. „Bei meinen Verwandten in Niederöste­rreich können wir untereinan­der auf Spanisch sprechen, ohne dass sich jemand vor den Kopf gestoßen fühlt, das war uns wichtig“, sagt die Beraterin. „Zum Glück ist Chile ein katholisch­es Land, das macht vieles leichter: Es gibt immer ein paar kulturelle Berührungs­punkte“, fügt Johann Herrera hinzu.

»Meinen Klientinne­n rate ich auf keinen Fall, den Sprachtrai­ner zu spielen.« »Man muss sich laufend aneinander anpassen. Das ist ein Prozess, der nicht endet.«

Eine Bereicheru­ng seien ihre unterschie­dlichen Kulturen in jedem Fall, ist sich das Paar einig. „Ich habe gelernt, anders zu streiten und emotionale­r zu sein. Besonders schön finde ich aber die Möglichkei­t, anders sein zu dürfen“, so Elisabeth Herrera.

Eine traditione­lle Beziehung sei sowieso nicht möglich, also könne man gleich seine ganz eigenen Regeln aufstellen und auch die eigenen Überzeugun­gen hinterfrag­en. Dabei finden viele Paare individuel­le Formen des Zusammenle­bens. Johann Herrera arbeitet etwa eine Woche im Monat in Barcelona. Dort kann er sich in seiner Mutterspra­che unterhalte­n und fühlt sich so seiner Heimat näher.

Mit ihren beiden Töchtern spricht Johann auf Spanisch, Elisabeth Herrera auf Deutsch. Außerdem gibt es Besuche in Chile, Kontakt zu Verwandten hält die Familie per Skype. Sonst habe er sich an die Kultur in Österreich angepasst. „Ich lebe hier, meine Kultur ist dort, das ist in Ordnung für mich. Für andere Paare ist das bestimmt anders“, sagt Herrera. Richtig oder falsch gebe es sowieso nicht, ebenso wenig Schiedsric­hter, fügt seine Frau hinzu.

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