Die Frau ohne Begleitung
Warum es keine Schande ist, als Frau allein zu leben und das immer mehr Frauen sogar sehr bewusst und selbstbestimmt tun, erzählt Katja Kullmann.
Das Alleinsein hat einen schlechten Ruf. Derzeit ganz besonders. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie und mehreren strengen Lockdowns, in denen Kontakt zu Menschen außerhalb des eigenen Haushalts schwierig oder gar verboten war, wurden Menschen, die nicht gebunden sind, noch mehr bedauert als sonst. Am schlechtesten aber ist der Ruf von Frauen, die allein sind.
Katja Kullmann ist Single, seit mehr als 14 Jahren – und es geht ihr gut damit. Deswegen hat sich die deutsche Autorin und freie Journalistin entschlossen, ein Buch über sich und ihresgleichen zu machen. Schon im Titel „Die singuläre Frau“schwingt nicht nur der Begriff „Single“mit, sondern es steht „die einzigartige“oder „unverwechselbare“Frau im Vordergrund.
Katja Kullmann, heute 52 Jahre alt, hatte in ihren Zwanzigern und Dreißigern drei längere Beziehungen mit Männern gehabt, eine beschreibt sie sogar als „eheähnlich“, aber irgendwann waren die aus und es kam kein neuer, fester Partner nach. Irgendwann stellte sie mehr aus Zufall fest, dass sie bereits 14 Jahre allein lebte. In der Ö1-Sachbuchsendung „Kontext“erklärte sie, „dass alle Versuche mich als zum Alleinleben talentierte Person in so einen ,Pärchen-Knast’ zu zwingen, nicht geglückt sind“.
»Alle Versuche, mich in einen ›Pärchen-Knast‹ zu zwingen, sind nicht geglückt.«
Wobei das härter klingt als in ihrem Buch. Denn Kullmann sagt auch, sie lehnt das Geschlecht der Männer nicht ab, „ich möchte nur nicht mehr mit ihnen in einer Beziehung sein“. In ihrem Buch jedenfalls schildert sie sowohl ihre ganz persönliche Geschichte und wie sie von der Partnerschafts-Frau eher ungeplant zur zufriedenen singulären Frau wurde. Noch viel mehr Raum bekommt aber die Geschichte der Frau ohne Begleitung, von der es heute viele gibt: In Deutschland leben 18 Millionen Alleinstehende, neuneinhalb Millionen davon sind Frauen. Historisch gesehen hat sich das weibliche Alleinleben erst in den vergangenen 250 Jahren etabliert und immer während wirtschaftlicher und politischer Krisen besonders stark ausgeprägt. Die Frau ohne Gatte ist also noch ein relativ junges Phänomen, immerhin waren Frauen bis weit in die 1970er-Jahre von ihrem Ehemann in allen Belangen abhängig, so durfte er per Gesetz über die Berufsauswahl seiner Frau bestimmen und ihr eine Berufsausübung sogar verbieten.
Alles in Ordnung mit mir? Kullmann analysiert treffend, wie schlecht angeschrieben die ungebundene HeteroFrau, also die Frau ohne Kind und ohne Begleitung heute immer noch oder wieder ist. Und wie sehr die Betroffenen darunter oft noch immer leiden: „Wenn sie weder in beruflicher noch in queerfeministischer Hinsicht etwas zu bieten hat, wenn kein einziger der LGBTQIA+Buchstaben auf sie passt, wenn sie bloß eine ,Hete‘ ist, die nichts als ein komplett durchstandardisiertes heterosexuelles Begehren verspürt, ohne selbiges aber mit jemandem auszuleben, dann, ja, dann kommt sie womöglich auch selbst ab und an ins Grübeln, ob bei ihr wirklich alles in Ordnung ist.“Die Autorin macht es sich zur Aufgabe, nicht nur den Ruf der alleinstehenden Frau zu retten, sondern auch zu erläutern, warum Frauen in vielen Fällen besser dastehen als in einer Beziehung. Fragen von Care-Arbeit und Mental Load, Doppelbelastung von Kindererziehung und Erwerbsarbeit oder Verteilungsfragen stellen sich für sie nicht. Wer freiwillig und gern allein ist, ist sich dieser Sonderstellung meist bewusst.
Schon im vergangenen Herbst veröffentlichte der deutsche Autor Daniel Schreiber seinen Essay „Allein“. Was auffällt: Im Unterschied zu ihm, der sein Leben als alleinstehender homosexueller Mann vor allem während der Pandemie eher als Belastung empfand, schildert Katja Kullmann glaubhaft, dass sie gern und glücklich allein ist. Zudem liefert sie viele Beispiele aus Literatur, Kunst und Politik von Frauen, die das auch sind. Das dichte Literaturverzeichnis und die Anmerkungen am Ende des Buches bieten zahlreiche Anregungen, sich weiter in das Thema zu vertiefen. Nicht nur Beyonce´ hat mit „All the Single Ladies“eine Hymne auf die selbstständige, alleinstehende Frau geschrieben.
Kullmann erinnert an die Frauenbewegung, deren Rückgrat unverheiratete Frauen waren, und betont, dass ihre Recherchen zum Thema „mich auffallend oft zu Amerikanerinnen und Französinnen führten“. Sie scheinen diejenigen zu sein, die am wenigsten Furcht vor dem Alleinsein haben.
Aber sie gibt auch sehr viel preis von sich und ihren früheren Partnern und versucht sehr ehrlich aufzudröseln, wieso es so gekommen ist, dass sie allein lebt. Ihr Buch ist besonders reich an kleinen Anekdoten aus dem Alltag und spart auch nicht an Selbstkritik oder der Beobachtung, dass man als alleinlebender Mensch, egal ob Mann oder Frau, mit der Zeit seine Muster hat, manche würden sagen, „eigen“wird. Als sie beispielsweise eine ebenfalls alleinlebende Bekannte, die in der Nähe wohnt fragt, ob sie mit ihr ins Kino gehen wolle, holt sie sich zunächst eine Abfuhr. Die Bekannte erklärt ihr aber zunächst brüsk, wieso sie eigentlich lieber allein ins Kino gehe und auch danach lieber allein sein. Wer mag dagegen etwas einwenden?
Zeit für einen neuen Begriff. Bücher über das Alleinsein oder die Einsamkeit gibt es viele. Das Gute an Katja Kullmanns Buch ist erstens, dass sie keinen Ratgeber schreibt. Sie will anderen Frauen weder sagen, wie sie mit dem Alleinsein besser zurechtkommen können und schon gar nicht, wie sie wieder einen Partner finden. Und zweitens schreibt sie nicht nur einen launigen soziogeschichtlichen Abriss über die Frau ohne Begleitung, sondern stellt klar, dass es Zeit ist für einen neuen Begriff und eine neue Haltung zur alleinstehenden Frau. Dabei leugnet sie nicht, dass nicht alles rosig ist, wenn man allein durchs Leben geht. Aber niemand würde behaupten, dass in einer Ehe oder Partnerschaft immer alles perfekt ist, oder?
BUCH UND AUTORIN
Katja Kullmann, Jahrgang 1970, ist Autorin und Journalistin, wurde 2002 bekannt mit ihrem Buch „Generation Ally“über die „Töchter der Emanzipation“. Soeben erschien „Die singuläre Frau“bei Hanser (334 Seiten, 24,70 Euro). Ebenso zum Thema Alleinsein: Daniel Schreibers Buch „Allein“erschien schon im September 2021 bei Hanser (160 Seiten, 20,95 Euro).