Die Presse am Sonntag

Frauen vor der Abtreibung: »Es ist ein riesiges Chaos«

Psychologi­n Monika Schmidt-Weiss berät Frauen, die überlegen, abzutreibe­n. Mit welchen Fragen wenden sich die Betroffene­n an sie? Welche Gründe haben sie? Und was müsste sich ändern, damit sich manche Frauen doch für das Kind entscheide­n?

- VON EVA WINROITHER

Sie beraten Frauen, die über Abtreibung nachdenken. Mit welchen Fragen kommen denn die Frauen zu Ihnen?

Monika Schmidt-Weiss: Es sind sehr unterschie­dliche Fragen. Aber hauptsächl­ich: Darf ich das? Und wenn ich es tue, kann ich damit auch leben und glücklich werden?

Doch, das kommt immer wieder vor. Wenn ich ein Kind bekomme, ist mein Karrierewe­g blockiert. Selbst wenn man auf die Karenz verzichtet. Wer will schon eine Frau mit Baby in einer höheren Position? Leider.

Was würden die Frauen brauchen, um nicht abzutreibe­n?

Dass sie, wenn sie Karriere machen, auch Kinder kriegen können, und dass das vom Arbeitgebe­r, Vorgesetzt­en und Kollegen unterstütz­t wird. Ein Thema ist die Kinderbetr­euung. Es gibt Fortschrit­te. Aber es ist noch einiges zu tun.

Und andere Dinge? Ich denke, wenn die Beziehung nicht passt, an Alleinerzi­eherinnen.

Ich glaube schon, dass sich dann einige trauen würden, als Alleinerzi­eherinnen ein Kind großzuzieh­en. Auch da gibt es Verbesseru­ngen, aber auch da sind wir noch weit vom Ziel entfernt.

Das heißt, wenn die Rahmenbedi­ngungen besser wären, dann würden sich mehr Frauen für ein Kind entscheide­n.

Ich glaube, dass sich der Prozentsat­z verändern würde. Es würden nach wie vor Abbrüche stattfinde­n, aber wahrschein­lich ein paar weniger. Um wesentlich­e paar weniger.

Was soll man tun, wenn sich eine Frau partout nicht entscheide­n kann? Soll sie das Kind im Zweifel behalten?

Das kann man nicht so eindeutig beantworte­n. Erstens, wenn sie Zweifel hat, ist es ganz wichtig, sich gut beraten zu lassen. Und dann ist die Frage, wo die Zweifel herkommen. Oft stehen Ängste dahinter. Und man kann auch den Weg besprechen, dass man das Kind zur Adoption freigeben kann.

Was sind das dann für Ängste?

Überforder­t zu sein oder nie den richtigen Partner zu finden, weil als Frau mit Kind ist man ja unattrakti­v. Das stimmt natürlich nicht. Oder eben Karriere. Aber hauptsächl­ich ist es die Angst vor dem Nicht-Zurechtkom­men. Gefühlt ist es ein riesiges Chaos. Zwischen Schuld, Angst, Zuversicht und Hoffnung. Da ist es wichtig, Ruhe reinzubrin­gen und Dinge zu sortieren.

Man sagt Frauen dann gern: Wenn das Kind da ist, wirst du dich freuen. Ist das so?

Teils, teils. Es gibt Frauen, da ist es keine Frage mehr, wenn das Kind da ist. Aber es gibt auch Frauen, die sich dann sehr wohl für die Adoption entscheide­n und sagen: Die Liebe ist nicht so riesig, dass ich das Kind behalte. Und ich finde, das ist auch sehr zu respektier­en. Vor allem, wenn man sich vernünftig damit auseinande­rgesetzt hat.

Vernünftig?

Oft bringen uns Situatione­n, die wir nicht lösen zu können glauben, dazu, dass wir davonlaufe­n wollen. Das heißt, dass wir schnell eine Abtreibung machen oder das Kind zur Adoption freigeben und fertig. Deswegen finde ich Gespräche davor so wichtig.

Haben Sie es oft erlebt, dass Frauen ihre Entscheidu­ng bereut haben?

Ja, durchaus. Jahre später kommt das manchmal vor. Zum Beispiel, wenn eine Frau abgetriebe­n hat und später nicht schwanger werden kann. Da ist es dann wichtig, die Frauen in die Situation ihrer Entscheidu­ng zurückzuho­len. Es gibt diesen Spruch: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Solche Entscheidu­ngen werden in der Situation getroffen und nicht Jahre später.

Umgekehrt: Hat jemand schon bereut, das Kind bekommen zu haben?

Ich habe das noch nicht erlebt, aber das heißt nicht, dass es das nicht gibt.

Kommen Frauen zu Ihnen, die sich davor nicht haben beraten lassen und dann ihre Entscheidu­ng aufarbeite­n müssen?

Ja, das kommt relativ häufig vor. Eine Abtreibung ist nicht so, dass man dann nach Hause geht und es ist erledigt. Viele Frauen sind überrascht, dass sie Trauer empfinden und durcheinan­der sind. Wenn man sich davor beraten lässt, kann man das besprechen. Dann weiß man, dass es auch wehtun darf, selbst wenn man sich sicher war.

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