Nun darf auch eine Frau fischen
Beim jährlichen Ausfischen des Stadtbaches in Memmingen darf erstmals eine Frau mitmachen – sie musste dafür vor Gericht ziehen.
Was die Memminger Zünfte im Mittelalter eingeführt haben, genauer gesagt Mitte des 15. Jahrhunderts, sieht heute folgendermaßen aus: Etwa 1200 Männer halten sich am Geländer des Stadtbaches fest – der Bach schlängelt sich beschaulich durch die Innenstadt –, um dann nach einem lauten Startzeichen kollektiv in den Bach zu springen, „neijucken“, wie es in diesen Gefilden heißt. Im Bach: Regenbogenforellen. Große, kleine, dicke, dünne. Mit „Bären“genannten Fischernetzen fangen die Männer die Forellen, so viele wie möglich natürlich. Irgendwo zwischen null und zwei Dutzend Fischen endet dann für jeden Teilnehmer das große Bachausfischen, der Höhepunkt des Fischertages, ein Volksfest im bayerischen Memmingen.
Heuer wird auch Christiane Renz neijucken. Nahe des Hauptplatzes sitzt sie am Geländer und lugt in den Bach, ein paar besonders große Exemplare sichtet sie schon, überhaupt wimmelt es im Stadtbach. Ja, sie freue sich, sagt Renz, Memmingerin, seit den 1980erJahren im Fischertagsverein aktiv, der im offiziellen Auftrag der Stadt den Fischertag ausrichtet.
Als erste Frau nimmt sie also Teil an diesem Spektakel, aber die Teilnahme war ein Kraftakt – sie musste sie sich gerichtlich erstreiten. Der Verein wollte Frauen partout nicht in den Stadtbach springen lassen. „Ich habe es zwei Jahre lang auf dem normalen Weg versucht“, erzählt Renz. „Über eine Satzungsänderung. Der Vorstand hat sich komplett dagegen gestellt.“Sie habe, so Renz, nicht einmal eine Kompromissbereitschaft erkennen können. Wobei: Wie hätte ein Kompromiss denn aussehen sollen? Nur mit einem Bein im Wasser stehen? Nur einen halben Fisch fangen? Renz muss seufzen, sie sagt nur: „Wir haben 2022.“
Der Verein darf sich nicht mehr auf die Tradition berufen und Frauen ausschließen.
Den Hinweis, den sie letztlich gebraucht habe, fand sie in einem Urteil des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 2017: Das höchste Steuergericht erkannte den Freimaurern ihre Gemeinnützigkeit ab, da die Loge Frauen von der Mitgliedschaft ausschließt. Mithilfe der Berliner Anwältin Susann Bräcklein strebte Renz also einen Prozess an. Das Amtsgericht gab ihr Recht und nach der Berufung des Vereines auch das Landgericht. Vereine mit einer großen Außenwirkung wie der Fischertagsverein – immerhin besuchen Zehntausende Menschen die Feierlichkeiten – dürfen Frauen demnach einfach nicht diskriminieren. „Es besteht immer noch ein Unterschied, ob ich eine private Skat-Runde organisiere oder sich fünf Frauen zum Singen treffen“, sagt Renz. Aber ab dem Moment, an dem der Verein eine Monopolstellung innehat, greift der nunmehr von ihr erwirkte Diskriminierungsschutz.
Freiheitsrechte. Die alten Gebäude im Zentrum strahlen Erhabenheit aus, stolz nennt sich Memmingen die „Stadt der Freiheitsrechte“, haben doch hier die oberschwäbischen Bauern Anfang des 16. Jahrhunderts ihr bahnbrechendes Verständnis von Gemeinwesen verschriftlicht: Wahlen, gerechte Verteilung, Selbstbestimmung sowie die Freiheit des Einzelnen wurden