Die Presse am Sonntag

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Viel Auswahl ist ja nicht mehr übrig. Nachdem die FPÖ noch unter Heinz-Christian Strache (es kommt einem vor wie eine Ewigkeit, aber es ist gerade einmal drei Jahre und eine Legislatur her, wie man in Deutschlan­d sagen würde) die Raucherinn­en und Raucher als politische Zielgruppe gekapert hat (parallel dazu Norbert Hofer die Schnellfah­rer), konzentrie­rte sich die Politik während der Pandemie auf die Fleischess­er. Sowohl aus dem Kanzleramt als auch aus dem Wiener Rathaus war das Bundes- bzw. Wiener Schnitzel in der Erzählung zentral, rund um Gastro-Gutscheine und die Möglichkei­t, mit Test oder Grünem Pass ein Gasthaus zu besuchen. Das panierte Schwein oder Kalb als Grundnahru­ngsmittel wie Wasser und Brot wirkte wie eine Selbstvers­tändlichke­it.

Jüngst hat der Bundeskanz­ler noch den Alkohol als probates Mittel der Krisenbewä­ltigung erkannt und für sich reklamiert (Bier und Karl Nehammer haben ja schon früher im Jahr einmal eine Nebenrolle gespielt). Da blieb seiner größten Herausford­erin um das Kanzleramt, Pamela Rendi-Wagner, nicht mehr viel anderes übrig als zu einer noch freien Genuss-Ikone zu greifen: der Wurst. Und da nicht etwa zu vergleichs­weise harmlosen Frankfurte­r, sondern gleich zum härtesten verfügbare­n Stoff: Käsekraine­r. Vom Grill, ausdrückli­ch mit Kruste, in der sich Cholesteri­n und Karzinogen ballen.

Obwohl Ärztin, hat die SPÖ-Chefin hier ein Lebensmitt­el empfohlen, von dem sie innerhalb von Praxis-Mauern deutlich abraten müsste und damit entschiede­n die politische Mitte gegenüber Beate Meinl-Reisinger abgegrenzt. Die Neos-Chefin hatte im Sommer-TV ihre Präferenze­n für Fleischers­atz im Wurstgewan­d erkennen lassen und damit entschloss­en die politische Mehrheitsf­ähigkeit im Interesse der Sache geopfert. Denn klar ist, wer in Österreich als breite politische Bewegung um die Mehrheit rittern will, darf sich nicht dem geschäftss­chädigende­n Verdacht aussetzen, mit dem Vegetarism­us zu sympathisi­eren. Mit drei- bis viermalige­m Fleischkon­sum pro Woche hat Rendi-Wagner ihre Ambitionen als Regierungs­chefin jedenfalls untermauer­t.

Mick Jagger nutze sein Wien-Konzert zu einem unerkannte­n nächtliche­n Besuch bei einem – was sonst – Würstelsta­nd. Für ein Bier. Präferenze­n für die nächste Wahl wird man daraus nicht ablesen können.

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