Warum das Römische Reich von der Landkarte verschwand
Die rheinland-pfälzische Landesausstellung in Trier hat ein großes Medienecho und verzeichnet einen Besucherrekord. Das Thema, der Untergang des Römischen Reiches, findet offenbar Interesse. Nur an Klarheit über die wahre Ursache fehlt es noch immer.
Das Ende des Römischen Reiches im 5. Jahrhundert nach Christus ließ den abendländischen Denkern keine Ruhe, und dies nicht nur in Kreisen der Altertumskundler, sondern auch der Zeithistoriker und Politiker. Schließlich haben wir hier einen möglichen Referenzpunkt für nachfolgende Imperien vor uns, sei es das britische Empire, die Sowjetunion, die Imperialmacht USA. Gibt es überzeitliche Muster und Kriterien für Aufstieg und Fall von Weltreichen? Das trieb Intellektuelle um, ließ ihnen keine Ruhe.
Kann man aus der Kenntnis der Vergangenheit auch einen Blick in die Zukunft werfen? Die Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, aber man kann wiederkehrende Muster entdecken. Die ganze Welt diskutierte 1987 das Buch von Paul Kennedy über „Aufstieg und Fall der großen Mächte“. Er sah einen gleichbleibenden Rhythmus von Aufstieg, Überdehnung, Erschöpfung und Abstieg bei den großen Mächten.
Zurück zu Rom. Jeder suchte nach den Gründen des Zerfalls, jedes Phänomen schien irgendwann plausibel, von Anarchie bis zur Apathie, von der Bleivergiftung bis zur Bodenerschöpfung, von der Charakterlosigkeit bis zum Christentum, und so kann man das ganze Alphabet durchgehen. Historiker konstruierten Kausalitäten, suchten je nach Sichtweise nach plausiblen Ereignissen, die ihre Thesen belegen sollten und zäumten so das Pferd von hinten auf. Glaubte einer die Ursachen gefunden zu haben, widersprach ihm ziemlich schnell ein anderer. So kamen mehr als 200 verschiedene Theorien zusammen.
Dekadenz. Man muss sie nicht alle aufzählen, zumal die meisten heute als überholt gelten können, auch die viel genannte „Dekadenz“. Ihr gab der britische Historiker Edward Gibbon in seinem epochalen Werk „The History of the Decline and Fall of the Roman Empire“neben Christentum und Germanen die Schuld und schloss damit
Der Untergang des Römischen Reiches
Drei Museen teilen sich in der Stadt Trier das Thema auf: das Rheinische Landesmuseum, das Museum am Dom und das Stadtmuseum Simeonstift.
700 Exponate in 31 Ausstellungssälen.
Dauer: 25. Juni bis 2. November 2022.
Das Buch dazu erschien im Verlag wbg Theiss, hat 464 Seiten und kostet 42 €. an prominente Vordenker wie Montesquieu und Voltaire an. Das wird heute differenzierter betrachtet, was aber keineswegs zur Einigkeit führt. Das Rätsel scheint nicht einfach lösbar zu sein. Offenbar handelt es sich um einen hochkomplexen Prozess, der sich über längere Zeiträume hinwegzog und sich gegen monokausale Erklärungen sperrt.
Verwirrend: Es gibt mehr als 200 Theorien, warum Rom untergegangen ist.
Eine Verwirrung können wir noch anbieten: Ist das Weströmische Reich überhaupt im Jahr 476, wie wir in der Schule gelernt haben, untergegangen? Oder gibt es im 5. Jahrhundert einen längeren, schleichenden Transformationsprozess? Was ist 476 geschehen? Ein sonst reichlich unbekannter Autor berichtet, dass der Offizier Odoaker an der Spitze einer meuternden Einheit den schwachen jungen Kaiser Romulus Augustus abgesetzt habe. Die Kaiserinsignien wurden von ihm nach Ostrom geschickt, mit der lakonischen Bemerkung: In Italien sei ein Kaiser unnötig geworden, es gebe hier neue Zeiten. Doch Romulus wurde nicht getötet, wohl aus Mitleid, und nicht wenige stellen das Epochendatum 476 infrage. Der Hof existierte weiter, sagen sie, 80 Jahre noch: „Das Jahr 554, von dem noch nie jemand etwas gehört hat, das aber insofern wichtig ist, als in diesem Jahr der weströmische Kaiserhof abgeschafft wird“(Henning Börm).
Auch ausgewiesene Experten haben wohl nicht den gesamten Literaturkomplex zu dem Thema intus, jedenfalls gilt: Die Faszination dieses Themas ist nicht aus der Welt zu schaffen. Das zeigt auch die große Ausstrahlungskraft, die von der aktuellen Landesausstellung im rheinland-pfälzischen Trier ausgeht. „Der Untergang des Römischen Reiches“ist das Thema. Es wird gleich in drei Trierer Museen präsentiert, der zentrale Teil im
Rheinischen Landesmuseum umfasst 1000 m2. Jedes Museum geht auf seine Weise an das spannende Thema heran. Eines analysiert die Faktoren des Untergangs, eines spiegelt die Rolle des frühen Christentums. Und das dritte zeigt, wie spätere Generationen den Untergang Roms wahrgenommen und gedeutet haben.
Die Bezüge zu der Örtlichkeit liegen auf der Hand:
In Trier wurde römische Ge
schichte geschrieben, die Stadt war eine der Metropolen des Weströmischen Reiches und spätrömische Kaiserresidenz, die zahlreichen Römerbauten in der Stadt, die Porta Nigra, Wahrzeichen der Stadt, das Amphitheater und die Thermen machen das Thema sinnlich erfahrbar. Alle, die sich für die Antike interessieren, bewundern Trier, die älteste Stadt Deutschlands.
Liest man den gewichtigen Begleitband zu der Ausstellung, der den aktuellen Forschungsstand präsentiert, merkt man: Der Weg in den Untergang war nicht geradlinig, sondern ein Geflecht aus zahlreichen Ereignissen und Prozessen. Lang war das Reich straff verwaltet, intelligent geführt und gut verteidigt, doch irgendwann nahmen die Strukturprobleme des Kaisertums überhand. Gegen Ende des 3. Jahrhunderts war von Diokletian das römische Mehrkaisertum eingeführt worden. Zwei Oberkaiser und zwei Unterkaiser regierten ihnen zugewiesene Gebiete des Reiches. Rom verlor als Zentrum jede Bedeutung, und damit die alten Institutionen. Städte wie Trier oder Ravenna wurden zu Residenzen.
Vier konkurrierende Kaiser an der Spitze, das musste zur inneren Entfremdung und somit Destabilisierung führen. Die Strahlkraft der Monarchie verteilte sich, Generäle stießen in das Vakuum. Viele Kaiser gaben in der Folge der Bekämpfung ihrer innerrömischen Rivalen den Vorzug vor dem Schutz des Reiches vor auswärtigen Aggressoren. So nahmen die Bürgerkriege im Land beängstigende Ausmaße an und führten zu einer gewaltigen Vernichtung der eigenen Ressourcen.
Doch das ist nur ein Erklärungsstrang. Die innenpolitische Instabilität führte auch zu einer Budgetkrise: In Provinzen wie Gallien, Britannien, Spanien oder Africa brachen die Steuereinnahmen weg, bald reichten die Finanzmittel nicht mehr zur Bezahlung der Soldaten aus. Das wurde jenseits der Grenze bemerkt: Es kam zu Angriffen und Raubzügen durch auswärtige, ethnisch heterogene kriegerische Gruppen. Als Plünderer und Erpresser waren sie auf schnelle Beute aus. Gliederte man sie als Soldaten des Imperiums ein, als sogenannte Foederaten, und siedelte sie an, begannen sie immer eigenmächtiger zu agieren. Sie entglitten der Kontrolle, weil sie weiterhin ihren eigenen Königen unterstanden und nicht in die reguläre Armee eingegliedert wurden. Manche Verbände etablierten eigene Herrschaftsgebiete.
Abwärtsspirale. Mitte des 5. Jahrhunderts existierte keine einheitliche römische Armee mehr, die Klammer hatte sich aufgelöst. Wieder ein Verlust an Ansehen und Rückhalt für die Kaiser, die immer nur kurz an der Macht waren. Hohe Beamte, Generäle, Männer aus Patriziergeschlechtern regierten für sie. Das brachte wieder Gegenkaiser hervor usw. Ein Prozess der Reichsfragmentierung, eine Abwärtsspirale.
Jedenfalls muss man, und das tut der vorliegende Band zur Ausstellung, einen größeren Zeitraum ins Auge nehmen als nur die letzte Phase im 5. Jahrhundert. Überblickt man alle historisch überlieferten kriegerischen Konflikte in der Spätantike, in die Rom verwickelt war, sieht man, dass es kaum noch längere Friedensperioden gab. Es ist erstaunlich, wie unter diesen Umständen das Reich überhaupt durchhalten konnte.
Diskutiert werden auch naturwissenschaftliche Ursachen, Klimaveränderungen und Seuchen sowie die Rolle des Christentums. Bischöfe erhielten zunehmend eine politisch-administrative Bedeutung, die an die Stelle der immer schwächer werdenden kaiserlichen Zentralmacht trat. Das vollzieht sich regional ganz unterschiedlich. In Trier kann man Erscheinungsformen des Niedergangs im 5. Jahrhundert verfolgen, doch es gibt nicht nur Spuren des Verfalls.
So spricht die Forschung eher von einer Transformation des Römischen Reichs als von seinem Untergang. Erst 554 kommt es wirklich zu dem wenig spektakulären Verwaltungsakt, der dem Imperium den Rest gab: Der oströmische Kaiser Justinian schaffte den weströmischen Hof definitiv ab. Erst jetzt existierte das Reich nicht mehr.
Vier konkurrierende Kaiser zugleich, das musste zur Destabilisierung führen.