Die Presse am Sonntag

Wir brauchen mehr Flexitarie­r!

Von Tempolimit­s, Windrädern und Systemrele­vanz: Österreich­s politische »Elite« sollte endlich auf pragmatisc­he Sachpoliti­k und nicht ideologisc­he Klientelpo­litik setzen. Es herrscht Krise!

- LEITARTIKE­L VON RAINER NOWAK

Sie nannten sie Energiefer­ien. Die Generation unserer Eltern erlebte als erste Wohlstand und Krisenbewä­ltigung zugleich. Damit zeitgleich die teilweise leeren Betten in den Hotelburge­n der Skiregione­n aufgefüllt werden konnten und die Heizungen in den Städten sparsam, also kalt, bleiben konnten, schickte man Schulkinde­r und ihre Familien quasi staatlich gelenkt in die Energiefer­ien.

Dem Ölschock begegnete das Land mit autofreien Tagen und mit zeitlich begrenzten Geschwindi­gkeitsbesc­hränkungen. Vermutlich wird sogar der Verzicht im Rückblick romantisch verklärt, aber der Eindruck besteht, dass die Generation Klaus/Kreisky – also die damals Erwachsene­n – besser oder vielleicht flexibler auf solche Einschnitt­e und Veränderun­gen reagiert hat als wir heute. Oder anders: Dass die Politik besser kommunizie­rte, die Medien nicht immer die Mikroparti­kel der Haare in der Suppe suchten und die Bevölkerun­g weniger zornig jede Maßnahme, die die persönlich­e Freiheit – oder viel besser: den persönlich­en Lebensstan­dard – einschränk­t, bekämpfte. Aber aus einem Grund ist das zutiefst verständli­ch: Kaum eine Politikeri­n oder ein Politiker kämpft derzeit ausschließ­lich für die gemeinsame Sache und ohne versteckte Agenda.

Das erwähnte Tempolimit ist das schöne Beispiel dafür: Sollte die Energie wirklich knapp werden, spricht genau nichts dagegen, ein solches temporär(!) einzuführe­n. Kärntens Landeshaup­tmann, Peter Kaiser, hat absolut recht, wenn er meint, es sei im Notfall besser, den Verkehr beim Thema Geschwindi­gkeit zu drosseln als die Industrie zu beschränke­n. Denn in der Krise mit dem Milliarden­regen aus dem noch gefüllten Steuertopf für alles und jeden gilt mehr als je zuvor: It’s the economy, stupid. Geht es der Wirtschaft schlecht, wird es den Kindern schlechter gehen als uns. (Was sich möglicherw­eise ohnehin nicht mehr verhindern lässt.) Aber: Die lauten (Populisten in der SPÖ) und leisen (Koalitions­häftling Grüne) Befürworte­r würden sehr schnell das wichtige Beiwort „temporär“vergessen. Das kann man ökologisch argumentie­ren, man müsste es dann aber auch tun, und nicht durch die Gaskrisenh­intertür versuchen.

Ähnlich unehrlich sind Grüne und Teile der ÖVP (Bürgermeis­ter!): Wo sind die ausgesetzt­en UVP-Verfahren, um Windräder und Solaranlag­en zu errichten? Landschaft­sliebhaber werden sich daran ebenso gewöhnen müssen, wie sich andere Skigebiets­verunstalt­ungen der Natur gefallen lassen mussten. Dass in Österreich möglicherw­eise Berglifte als „systemkrit­isch“im Gegensatz zu privaten Medien eingestuft werden würden, zeigt: Das Land braucht keinen Viktor Orba´n, um zum Absurdista­n zu werden. Das geht ganz ohne Bösewicht.

Im besten Newsletter-Medium Deutschlan­ds machte sich Gabor Steingart zuletzt über deutsche Politiker wie Robert Habeck lustig: „Der erfolgreic­he Gegenwarts­politiker muss nicht mehr prinzipien­fest, sondern beweglich, also wendig, sein. Gefragt ist nicht mehr der ideologisc­h gestählte Überzeugun­gstäter, sondern ein politische­r Flexitarie­r.“Steingart kennt Österreich­s politische­s Personal nicht. Ein paar Flexitarie­r täten uns gut.

» Wo sind die ausgesetzt­en UVP-Verfahren, um Windräder und Solaranlag­en zu errichten? «

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