Der Gasmann von Wien mit neuer Mission
Wien Inside. Die Lebensadern der Großstadt: Start einer »Presse«-Serie, die aufzeigt, wie Wien funktioniert. Und was es zum (Zusammen-)Leben braucht. Etwa Energie. Diese wird zu einem Gutteil aus russischem Erdgas gewonnen.
Und wenn Wladimir Putin doch den Gashahn zudreht? Diese Frage mag so manchen in Sorge versetzen. Ihn aber nicht. Kein Wehklagen, keine sarkastische Bemerkung. Nicht einmal ein Achselzucken. Der Mann, den man Wiens Gas-Chef nennen kann, bleibt durch und durch sachlich.
Was also passiert, wenn aus Russland kein Erdgas mehr kommt? „Dann“, sagt Helmut Meixner, „greift Österreich kurzfristig auf Lagerbestände im eigenen Land zurück. Und was die Transportleitungen betrifft – da werden die verantwortlichen Unternehmen, die Gas Connect Austria und das Austrian Gas Grid Management, dahinter sein, dass die Transportrichtung der großen Pipelines umgedreht wird, damit Österreich verflüssigtes Erdgas aus Deutschland oder Italien beziehen kann.“
Das geht so einfach? „Ja, das ist recht einfach. In weiser Voraussicht wurden die großen Erdgas-Transportleitungen in und nach Österreich für den bidirektionalen Betrieb ausgelegt. Gas kann in beide Richtungen fließen.“
Gemeint ist LNG. Heruntergekühltes und dadurch verflüssigtes Erdgas, etwa aus den USA. Es kommt in europäischen Küsten-Terminals an, zum Beispiel in Rotterdam, wird wieder gasförmig gemacht und dann durch die Pipelines gejagt. Aber um all das richtig zu verstehen, muss man mit der Erzählung von vorn beginnen.
Ein heißer Julitag. Helmut Meixner steht in der Großgasregelstation in Wien Simmering, und es sieht hier genau so aus, wie man sich das vorstellt. Überall Rohre. Fette, gelbe Rohre. Sie kommen aus der Erde an die Oberfläche und transportieren eine Fracht, die aus der westsibirischen Tundra auf den Weg geschickt wurde. Und dieser Tage die Essenz aller Dinge zu sein scheint: Gas. Erdgas. Methan. CH4.
Simmering, der elfte Bezirk, ist ein Arbeiterbezirk. Es sind Betriebsstätten, wie die Großgasregelstation, die diese
Zuschreibung rechtfertigen. Hier wird Gas verteilt. 24 Stunden am Tag. Monteure, Techniker, Installateure, Werkmeister sorgen dafür, dass die Millionenstadt Wien und Teile von Niederösterreich den begehrten Energieträger bekommen. Vor allem im Süden der Großstadt erstreckt sich das Leitungsnetz weit hinein in die Umlandgemeinden – fast bis Baden.
Das Gas fließt über den niederösterreichischen Anlaufknoten Baumgarten nach Wien. Hier wird der Druck „runtergeregelt“. Von oftmals bis zu 70 Bar (dieser Druck besteht auch in den großen Gasspeichern) bis auf drei Bar. Danach, in Gasdruck-Regelanlagen, wird der Druck noch weiter abgesenkt, auf 0,1 Bar. Das muss sein. Nur so kann der begehrte Rohstoff via Wiener Netze seine Abnehmer finden. Übrigens: Nicht nur die Verteilung von Gas, auch jene von Strom, Fernwärme, Fernkälte und auch von Daten (Telekommunikation) obliegt den Wiener Netzen mit ihren 2400 Mitarbeitern. Und ihren zwei Millionen Kunden.
Lässt man die Wiener Perspektive beiseite und blickt auf ganz Österreich, so gilt: Circa 80 Prozent des importierten Energieträgers Erdgas (Methan) kommen aus Russland. Dieses fließt teilweise in Kraftwerke (übrigens auch mit 70 Bar). Die erzeugen Strom oder Fernwärme. Hauptsächlich aber strömt es zum Endkunden. Sprich: zur Industrie zu 57 Prozent sowie an die Haushalte zu 30 Prozent. Die Industrie ist also der größte Gasfresser in Österreich.
Aber wieder zurück nach Simmering. Der Boden des städtischen Areals ist nicht nur von Rohren durchzogen – er ist auch geschichtsträchtig. Schon vor 120 Jahren wurde von hier aus, nämlich vom Kraftwerk Simmering, Energie in der Großstadt verteilt. Es war Strom, der aus Dampfkraft gewonnen wurde.
Heute versorgt das von Wien Energie betriebene Kraftwerk mit den markanten rot-weiß-rot getünchten Kaminen 730.000 Haushalte und gut 7000 Firmen mit Strom. Außerdem liefert es Fernwärme für knapp 270.000 Haushalte. Herzstück ist eine Gas- und Dampfturbinenanlage. Zudem gibt es hier ein Biomasse-, ein Wasserkraftwerk, ein Windrad, eine SolarenergieAnlage und eine Großwärmepumpe.
Das Gas kann in den großen Transportleitungen in beide Richtungen fließen.
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